# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Iran: Im Schatten des Obersten Führers | |
> Vor der Wahl in Iran am Freitag sind noch drei Konservative und ein | |
> Reformer im Rennen. Den Reformern hat Chamenei eine Falle gestellt. | |
Bild: Anhängerinnen des iranischen Präsidentschaftskandidaten Massud Peseschk… | |
Berlin taz | Iran steht vor einer Wahl, die eher eine Show ist als ein | |
demokratischer Prozess. Wegen des [1][Hubschrauberabsturzes von | |
Ex-Präsident Ebrahim Raisi] im Mai wird am Freitag ein neuer Präsident | |
gewählt. Vor zwei Wochen hat der sogenannte Wächterrat sechs Kandidaten | |
zugelassen, von denen zwei ihre Kandidatur aber am Mittwoch beziehungsweise | |
Donnerstag wieder zurückzogen. | |
Bereits die Auswahl des Wächterrats hatte auf eine Konzentration der Macht | |
in den Händen von Ali Chamenei hingewiesen, dem Obersten Führer des Landes. | |
In Iran sehen viele Menschen die Wahl daher als weitgehend entschieden an, | |
mit minimalem Einfluss der Wähler*innen. | |
Die offizielle politische Landschaft Irans ist in zwei Fraktionen geteilt: | |
Prinzipalisten (Konservative) und Reformer. Unter den zugelassenen | |
Kandidaten verbleiben nach dem Rückzug von Amirhossein Ghazizadeh Haschemi | |
und Alireza Zakani noch drei Konservative, die Chamenei nahestehen, und ein | |
Kandidat, der sich als Reformer präsentiert. Wirklich oppositionelle | |
Kandidaten werden nicht akzeptiert. | |
Die Hauptkandidaten sind Mohammad Bagher Ghalibaf, Said Dschalili und | |
Massud Peseschkian. Darüber hinaus kandidiert noch ein weniger prominenter | |
Kandidat, der so gut wie keine Chancen hat und offenbar nur antritt, um den | |
Wahlkampf in Schwung zu bringen: Mostafa Pour-Mohammadi. | |
Der ehemalige Militärkommandeur Ghalibaf ist derzeit Parlamentsvorsitzender | |
und war bis 2017 Bürgermeister der Hauptstadt Teheran. Der 62-Jährige ist | |
ein überzeugter Anhänger Chameneis. Er gehört sowohl den mächtigen | |
paramilitärischen Revolutionsgarden als auch der Polizei an. Sein Name ist | |
zudem eng mit der weit verbreiteten Korruption im Land verbunden. Ghalibaf | |
würde wohl den Kurs der bisherigen Regierung fortsetzen, hart gegen | |
abweichende Meinungen vorgehen und für begrenzte Atomverhandlungen mit | |
westlichen Staaten eintreten. | |
Said Dschalili, Mitglied des sogenannten Schlichtungsrats, ist dagegen für | |
seine entschiedene Ablehnung des Atomabkommens bekannt, das 2015 | |
geschlossen wurde. Derzeit liegt es auf Eis, nachdem die USA unter Donald | |
Trump 2018 ausstiegen, woraufhin sich auch Iran nicht mehr an die | |
Abmachungen hielt. Dschalili leitete von 2007 bis 2013 das iranische Team | |
in den Atomverhandlungen. Sie scheiterten damals zunächst an seinen | |
kompromisslosen Positionen bei der Frage nach der Urananreicherung. Die USA | |
und die UN verhängten als Reaktion schwere Sanktionen gegen Iran. Die | |
Auswirkungen waren so gravierend, dass Dschalili selbst von Chamenei | |
nahestehenden Diplomaten wie Ex-Außenminister Ali Akbar Velayati scharf | |
kritisiert wurde. | |
Reformer von Gnaden des Regimes | |
Massud Peseschkian gilt als Reformer. Er ist bekannt für seine Zeit im | |
Kabinett von Mohammad Chatami (1997–2005) sowie für kritische Äußerungen zu | |
sozialen Fragen. Im Reformlager war er nie eine bekannte Figur. Er hat aber | |
Anhänger in seiner Heimatprovinz Ost-Aserbaidschan, was ihm als einer der | |
wenigen reformistischen Kräfte im konservativ dominierten Parlament seinen | |
Platz sichert. Im Gegensatz zu einigen Reformern, die aufgrund ihrer | |
Positionen inhaftiert wurden, ist Peseschkian bei der Regierung nie in | |
Ungnade gefallen. Er ist sogar eng verbunden mit Chamenei. Obwohl er | |
zunächst von der Parlamentswahl im März ausgeschlossen worden war, wurde er | |
später durch eine Intervention Chameneis zugelassen. | |
Viele reformorientierte Anhänger in Iran setzen keine großen Hoffnungen in | |
Peseschkian. Er gilt als Notkandidat, während andere, besser qualifizierte | |
Personen nicht zugelassen wurden. Dass sich Peseschkian selbst nicht allzu | |
ernst nimmt, zeigte eine Äußerung am Tag der Registrierung für die Wahl. Er | |
sei nur gekommen, um „den Wahlofen anzuheizen“, sagte er. Zwar haben | |
Reformer eine breit angelegte Kampagne für ihn gefahren, dennoch ist es | |
unwahrscheinlich, dass er Erfolg haben wird, solange die Öffentlichkeit | |
sich von der Wahl eher distanziert und die Wahlbeteiligung gering ausfällt. | |
Obwohl Peseschkian wenig Chancen hat, Präsident zu werden, zieht er viel | |
Aufmerksamkeit auf sich. Die Nachrichten drehen sich aktuell vor allem um | |
ihn. | |
Indem Chamenei Peseschkian zugelassen hat, hat er den Reformern eine Falle | |
gestellt, da sie wahrscheinlich scheitern werden. Trotzdem ermutigen die | |
Reformer die Menschen zur Stimmabgabe, indem sie Themen wie die | |
Wiederaufnahme der Atomverhandlungen und die Abschaffung der Sittenpolizei | |
auf die Agenda setzen. Ein großer Teil der Gesellschaft sieht die Reformer | |
jedoch als Feigenblätter, die den Anschein eines echten Wettbewerbs | |
zwischen den Kandidaten wahren sollen. Am Ende wird ohnehin derjenige | |
siegreich aus der Wahl hervorgehen, den sich Chamenei wünscht. | |
Konfrontation zwischen Ghalibaf und Dschalili | |
Wahrscheinlicher als ein Sieg Peseschkians ist eine Konfrontation zwischen | |
Ghalibaf und Dschalili. Spekulationen zufolge ist Ghalibaf aus mehreren | |
Gründen die geeignetere Wahl für Chamenei. Erstens dürfte er aufgrund | |
seiner militärischen Erfahrung bei der Unterdrückung des Widerstands gegen | |
das Zwangskopftuch und der Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit | |
erfolgreicher sein. Zudem gilt er als konservativer Politiker und | |
Technokrat, der in der Lage ist, den Weg der Regierung Raisi fortzusetzen. | |
Dschalili dagegen fehlt es an Regierungserfahrung. Zudem würde er als | |
Präsident die internationalen Spannungen noch weiter erhöhen, was nicht in | |
Chameneis Interesse liegt, der sich vor dem Hintergrund des Gazakriegs | |
derzeit ohnehin schon in einer heiklen Situation mit Israel befindet. | |
Dass Chamenei wahrscheinlich Ghalibaf bevorzugt, wird durch die Tatsache | |
untermauert, dass Ghalibaf bei der [2][Parlamentswahl im März] gegen die | |
Kandidaten der sogenannten Paydari-Front gewann, die eng mit Dschalili | |
verbunden ist. Allgemein wird angenommen, dass dieser Sieg von Chamenei | |
hinter den Kulissen orchestriert wurde. | |
Sollte ein kompromissloser Hardliner wie Dschalili iranischer Präsident | |
werden und Donald Trump nächstes Jahr als US-Präsident zurückkehren, ist | |
die Wahrscheinlichkeit eines neuen Atomabkommens nahezu null. Schlimmer | |
noch: Die Situation könnte zu einem offenen Krieg in der Region eskalieren. | |
Kommt hingegen ein Konservativer wie Ghalibaf an die Macht, der Chamenei | |
ebenso gehorsam ist wie Raisi, aber nicht so radikal wie Dschalili, wird | |
die Islamische Republik ihre pragmatische Politik und die fragmentierten | |
Verhandlungen mit den USA fortsetzen, besonders wenn Joe Biden und die | |
Demokraten in den USA an der Macht blieben. Dies könnte das beste Szenario | |
für Chamenei sein, denn in der Ära Biden konnte Iran trotz der | |
US-Sanktionen täglich eine Million Barrel Öl verkaufen. | |
27 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Mahtab Gholizadeh | |
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