# taz.de -- Nach dem Tod von Irans Präsident: „Schau, wie sie heulen“ | |
> Das Regime in Teheran inszeniert Trauer, doch die meisten Iraner feiern | |
> den Tod des Präsidenten Raisi. Sie tanzen und singen „Helikopter, | |
> Helikopter“. | |
Bild: Machtdemonstration des Regimes: Trauerfeier für Präsident Raisi am Mitt… | |
Babak Majidi (Name geändert) kommt aus dem Lachen nicht heraus. „Schau dir | |
mal das Bild an“, sagt er per Sprachnachricht. „Wie sie heulen!“ Der | |
30-jährige Geschäftsmann aus Maschhad hat per Chat ein Foto geschickt, auf | |
dem Frauen in schwarzem Tschador mit schmerzverzerrten und weinenden | |
Gesichtern zu sehen sind – in den Händen halten sie Bilder des | |
[1][verstorbenen iranischen Staatspräsidenten Ebrahim Raisi]. | |
Ebrahim Raisi ist tot, verstorben in der vergangenen Woche bei einem | |
Helikopterabsturz. Der Präsident war mit einer Delegation im Grenzgebiet zu | |
Aserbaidschan; auf dem Rückweg stürzte der Hubschrauber ab, vermutlich | |
wegen schlechten Wetters und schwierigen Geländes. Mit ihm starben weitere | |
Offizielle des iranischen Regimes, darunter auch Außenminister Hossein | |
Amir-Abdollahian. | |
Babak Majidi ist einer von vielen Millionen Iraner:innen, die den Tod | |
dieser höchsten Männer im Staat feiern. Der größte Teil der Bevölkerung ist | |
froh, dass mit Ebrahim Raisi eine der erbarmungslosen Figuren der | |
Islamischen Republik verschwunden ist. Die Bilder von trauernden Menschen | |
auf den Straßen sind für Babak Majidi Ausdruck der Hilflosigkeit des | |
Regimes vor der offensichtlichen Freude der Menschen im Land über den Tod | |
ihres Repräsentanten – viele der Trauernden seien entweder bezahlt worden | |
oder gehörten zu den Profiteur:innen des Systems, sagt er. „Wir sind | |
alle froh, dass dieses Monster niemanden mehr töten kann“, so Majidi. | |
Im Iran verbinden viele Menschen den Namen Ebrahim Raisi mit zwei | |
Ereignissen: mit den Massakern der 1980er Jahre und mit der brutalen | |
Niederschlagung der Proteste der „[2][Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung im | |
Jahr 2022]. An beiden Ereignissen war Raisi maßgeblich beteiligt. Darüber | |
hinaus hatte er in der Islamischen Republik stets hohe Positionen inne und | |
galt als enger Vertrauter des Revolutionsführers Ali Khamenei. Er wurde | |
sogar als Nachfolger des 85-Jährigen gehandelt. | |
## Sie tanzt im Sommerkleid | |
Den Ruf als „Schlächter von Teheran“ verdiente sich der damalige | |
Generalstaatsanwalt mit seiner Rolle im vierköpfigen Todeskomitee im Jahr | |
1988. Eine „falsche“ Antwort vor Raisi und seinem Komitee – das konnte | |
schon ein Nein auf die Frage sein, ob man betete –, und die Menschen wurden | |
den Henkern übergeben. Innerhalb weniger Wochen schickte Ebrahim Raisi | |
mindestens 5.000 politische Gefangene in den Tod. | |
Die Machthaber ließen die Leichen der Menschen verschwinden, in | |
Massengräbern verscharren. Viele der Angehörigen wissen bis heute nicht, | |
was mit ihren Kindern, Eltern oder Geschwistern geschehen ist. Sie kämpfen | |
um Anerkennung und Aufklärung. Es war eines der größten Massaker des 20. | |
Jahrhunderts. | |
Eine dieser Angehörigen ist Mansoureh Behkish. In den Massakern der 1980er | |
Jahre wurden ihre Schwester, vier Brüder und ein Schwager hingerichtet. | |
Jahrelang setzte sich Mansoureh Behkish dafür ein, die Verbrechen | |
aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Dafür | |
wurde sie verhaftet und saß mehrere Male im Gefängnis. | |
Kurz nach dem Tod Raisis veröffentlichte sie in den sozialen Medien ein | |
[3][viel geteiltes Video]. Im Sommerkleid tanzt die ergraute Mansoureh | |
Behkish beschwingt zu iranischer Musik. Man spürt die Erleichterung einer | |
Frau, die ihr ganzes Leben unter der Islamischen Republik gelitten hat; der | |
Mann, der fünf ihrer Familienmitglieder ermorden ließ, wurde in den Augen | |
von Menschen wie ihr endlich bestraft. In einem System der absoluten | |
Straflosigkeit für die Mächtigen, die schlimmste Menschenrechtsverbrechen | |
begehen, muss das als seltenes Geschenk gesehen werden. Denn in der | |
Islamischen Republik sind es stets die Machtlosen, die leiden. | |
„Manche denken, dass das für Raisi ein zu einfacher Tod war“, sagt Mahin | |
Salehi (Name geändert). „Sie hätten sich gewünscht, dass er für seine | |
Verbrechen eines Tages vor Gericht stehen würde.“ Auch diese Meinungen gebe | |
es, sagt die 32-Jährige. Sie lebt in Teheran und leidet, wie viele Frauen | |
im Iran, unter dem Leben in der Islamischen Republik. Während der „Frau, | |
Leben, Freiheit“-Proteste verlor sie ihre Stelle an der Hochschule, weil | |
sie sich weigerte, ein Kopftuch zu tragen. | |
Sie ist froh, dass Raisi tot ist. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich | |
über den Tod eines Menschen freuen würde“, sagt sie. „Aber daran siehst d… | |
was sie mit uns gemacht haben.“ Viele ihrer Freund:innen saßen in den | |
vergangenen Monaten im Gefängnis, sie selbst entkam den Schergen des | |
Regimes kürzlich wieder einmal nur knapp. Sie ist eine von vielen Frauen im | |
Iran, die ihre Kopftücher im September 2022 ablegten und sich bis heute | |
nicht mehr der Zwangsverschleierung beugen. | |
Als im September 2022 Proteste ausbrachen, die unter dem feministischen Ruf | |
„Frau, Leben, Freiheit“ ein Ende der systematischen Unterdrückung von | |
Frauen und schließlich auch den Fall der Islamischen Republik forderten, | |
war es Staatspräsident Raisi, der größtmögliche Brutalität gegen die | |
Protestierenden anordnete. Den oft jungen Menschen wurde auf Befehl in | |
Augen und Genitalien geschossen, mehr als 520 Menschen wurden auf den | |
Straßen ermordet. | |
Eine von ihnen war die 62-jährige Minou Majidi. Ihre Töchter, die | |
inzwischen in Großbritannien leben, veröffentlichten kurz nach der | |
offiziellen Bestätigung des Tods von Raisi ein [4][Video in den sozialen | |
Netzwerken]: Darin stoßen die jungen Frauen mit einem zufriedenen Lächeln | |
auf dem Gesicht mit einem Bier an – über das kurze Video haben sie | |
fröhliche iranische Musik gelegt. Eine männliche Stimme singt mit | |
iranischem Akzent „Helikopter, Helikopter“. [5][In einem Interview mit dem | |
Guardian ] sagte eine der Töchter, Mahsa Piraei: „Wir freuen uns, weil sie | |
Mörder waren.“ | |
## „Das sind alles Lügner“ | |
Gleichzeitig wissen Mahsa Piraei und die vielen anderen Menschen, die | |
zumindest einen Moment der Genugtuung erleben dürfen, dass sich die | |
grundsätzliche Situation im Land nicht ändern wird. Zwar waren diese zwei | |
besonders grausame und eifrige Willfährige der Islamischen Republik. An | |
solchen fehlt es dem System aber nicht. | |
Revolutionsführer Ali Khamenei hat sich in seiner langen Machtzeit eine | |
große Gefolgschaft an Systemtreuen herangezüchtet. Der nächste Präsident, | |
der nächste Außenminister, die das brutale System weitertragen, werden | |
kommen. Zwar ist für Ende Juni eine Präsidentschaftswahl angesetzt; eine | |
Wahl haben die Menschen aber weiterhin nicht. Das System bestimmt, nicht | |
das Volk. | |
Beim Begräbnis am vergangenen Mittwoch waren viele Menschen auf den | |
Straßen, um die Toten zu betrauern. Es war für Ali Khamenei wichtig, eine | |
vermeintlich große Unterstützung seines Systems zu demonstrieren. Die | |
Unterstützer:innen des Systems gibt es; viele von ihnen arbeiten für | |
den Staat oder profitieren indirekt von ihm, sie bekommen Macht, Geld oder | |
beides. Die Loyalist:innen sind mit geschätzt 10 bis 15 Prozent zwar in | |
der Minderheit. Aber wenn es nötig ist, wissen die Machthaber, wie sie ihre | |
Leute auf die Straßen bringen. Die Trauerfeier war wichtig als | |
Propagandaveranstaltung. Auch Hamas-Führer Ismail Haniyeh soll anwesend | |
gewesen sein. | |
Trotzdem muss sich die Machtriege nicht sorgen, dass in dieser Situation | |
erneut Proteste ausbrechen könnten. Die Gewalt der vergangenen zwei Jahre, | |
für die auch Raisi und Amir-Abdollahian verantwortlich waren, sitzt den | |
Menschen noch in den Knochen. | |
Erst vor ein paar Wochen wurde die Sittenpolizei wieder in alter Stärke auf | |
die Straßen gesandt, um die Frauen des Landes unter den Schleier zu | |
zwingen. Im Jahr 2023 wurden mehr als 800 Menschen hingerichtet – es war | |
eines der blutigsten Jahre in Iran seit Langem. Unzählige Menschen wurden | |
seit September 2022 inhaftiert, gefoltert und getötet – allein mit dem | |
Ziel, die Bevölkerung davon abzuschrecken, wieder zu protestieren oder | |
Widerstand zu leisten. Ein System, das gegen einen Großteil der Bevölkerung | |
regiert, hat nur ein Mittel: Gewalt. Und vor dieser fürchten sich viele | |
Menschen. | |
Eine Woche nach dem Tod von Raisi und Amir-Abdollahian ist die Freude im | |
Land auch deswegen noch spürbar. Mahin Salehi, die Hochschullehrerin, die | |
kein Kopftuch tragen wollte, hat dafür eine Erklärung. Sie glaubt, dass die | |
Menschen das Gefühl haben, das Schicksal sei zumindest dieses eine Mal auf | |
ihrer Seite. „Manche sagen, dass es Karma war“, sagt Salehi. Denn sowohl | |
vom Schicksal als auch von der Welt fühlen sich viele Iraner:innenn | |
schon lange alleingelassen. | |
Die Beileidsbekundungen aus der EU und von Bundeskanzler Olaf Scholz | |
überraschen sie nicht mehr. „Das sind alles Lügner“, sagt Babak Majidi, d… | |
Geschäftsmann aus Maschhad, über die westlichen Staaten. Ihr Gerede von | |
Freiheit und Demokratie könne er nicht mehr hören. „Ich glaube ihnen kein | |
Wort mehr.“ | |
24 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Tod-von-Irans-Praesident-Raisi/!6008936 | |
[2] /Sacharow-Preis-fuer-Protestbewegung/!5980097 | |
[3] https://twitter.com/BehkishM/status/1792530184135942612 | |
[4] https://twitter.com/mahsa_piraei/status/1792220356830212566 | |
[5] https://www.theguardian.com/global-development/article/2024/may/20/people-a… | |
## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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