| # taz.de -- Parlamentswahlen in Frankreich: Demokratischer Endspurt | |
| > Vor der Stichwahl in Frankreich am Sonntag kämpft das Linksbündnis NFP in | |
| > Lille noch um letzte Stimmen. Unterwegs in einem gespaltenen Land. | |
| Bild: Der 38-jährige Medhi (links), der Politiker Ugo Bernalici (Mitte), Rente… | |
| Croix, Lille und Seclin taz | Das Lokal „Le Flandre“ in Seclin ist nicht | |
| eines, in das man als Außenstehende reinkommt und alles wird plötzlich | |
| still. Die Kneipe ist auch ein Tabakwarengeschäft, Lotto-Lose werden hier | |
| verkauft, es herrscht ein reges Kommen und Gehen. Der Geruch von Anis liegt | |
| in der Luft. Es ist knapp nach 13 Uhr – für zwei Männer an einem kleinen | |
| Tisch eine gute Zeit, sich einen Pastis mit der dazugehörigen Wasserkaraffe | |
| zu leisten. Ob und wen sie am Sonntag wählen wollen – keine Ahnung. „Ich | |
| wähle RN – immer schon“, mischt sich die 62-jährige Sandrine ein. Stolz | |
| erfüllt ihre Stimme. Sie hat fast ihr ganzes Leben als Putzkraft | |
| gearbeitet, jetzt ist sie in Rente. | |
| Um über die Runden zu kommen, geht sie jeden Dienstag zur Essensausgabe der | |
| „restos du coeur“, einer ähnlichen Organisation wie die Tafel in | |
| Deutschland. „800 Euro bekomme ich monatlich. Es reicht nicht“, sagt sie | |
| wütend. „Die Einwanderer dagegen kommen hier an und bekommen einfach ein | |
| Haus“, glaubt die Rentnerin zu wissen. Die Vorschläge des Linksbündnisses | |
| Neue Volksfront (NFP) wiederum gefallen ihr gar nicht. Ein | |
| Netto-Mindestlohn von 1.600 Euro – „Wer soll das zahlen? Das macht doch | |
| kein Arbeitgeber mit!“ Auch zur Preisdeckelung von lebensnotwendigen Gütern | |
| macht sie nur eine wegwerfende Handbewegung: Populismus. Was sie sich von | |
| der rechtsextremen Partei [1][Rassemblement National (RN)] an der Macht | |
| erhofft? Nichts Besonderes. Aber man müsse es wenigstens mal ausprobieren, | |
| findet sie. „Wissen Sie, ich brauche ja nicht viel“, sagt Sandrine. „Mit | |
| 1.000 Euro wäre ich schon zufrieden. Wenn ich das im Monat hätte, dann | |
| würde ich nicht mal wählen gehen.“ | |
| Sandrine gehört zu den 40,07 Prozent Wähler*innen aus dem 5. Wahlkreis | |
| im Département Nord, die am 30. Juni für den rechtsextremen Rassemblement | |
| National gestimmt haben. Dass sie „immer schon“ so gewählt habe, ist in | |
| Seclin, einer Kleinstadt nahe von Lille im Norden Frankreichs, allerdings | |
| eher selten. „Ich war früher Kommunist“, sagt Pascal, der diesen Sonntag | |
| ebenfalls dem RN seine Stimme geben wird. „Ich habe die Kommunisten gewählt | |
| wie alle anderen auch. Aber dann wurden wir verraten.“ Der | |
| Anfangsechzigjährige glaubt nicht mehr an die Versprechen der Linken. | |
| Vorher hat er im Transportwesen gearbeitet, viel geschleppt. Nun sei er im | |
| Krankenstand, sein Rücken sei von der Arbeit kaputt. Seine Zähne sind es | |
| auch. Ob es ihm gut gehe? „Man ist froh, wenn man sich bis zum Ende des | |
| Monats durchschlägt“, sagt er. | |
| Als am Abend der [2][EU-Parlamentswahlen] am 9. Juni die krachende | |
| Niederlage des Mitte-Lagers unter Präsident Emmanuel Macron klar wurde, | |
| hatte der Präsident überraschend das Parlament aufgelöst und Neuwahlen in | |
| einem Zeitraum von drei Wochen ausgerufen. Die erste Wahlrunde fand am 30. | |
| Juni statt. Nun kommen alle Parteien mit mehr als 12,5 Prozent in ihrem | |
| Wahlkreis in die zweite Runde – der oder die Sieger*in erhält einen der | |
| 577 Sitze im Parlament. Landesweit stimmten etwa 33 Prozent der | |
| Wahlberechtigten für die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN). | |
| 28 Prozent der Stimmen gingen an das Linksbündnis „Neue Volksfront“ (NFP) | |
| und 20 Prozent an das Parteienbündnis, das ironischerweise den Namen | |
| „präsidentielle Mehrheit“ trägt. Von einer Mehrheit für die Macron-Parte… | |
| kann allerdings längst keine Rede mehr sein. | |
| In 297 von 577 Wahlkreisen lagen die Rechtsextremen im ersten Wahlgang | |
| vorne. In 39 Wahlkreisen haben sich RN-Kandidat*innen mit mehr als 50 | |
| Prozent der Stimmen direkt im ersten Wahlgang als Parlamentsabgeordnete | |
| durchgesetzt – davon allein 12 in den nördlichen Départements Nord und | |
| Pas-de-Calais. In den anderen Wahlkreisen gibt es am 7. Juli eine zweite | |
| Wahlrunde. Es könnte sein, dass der rechtsextreme RN mehr als die Hälfte | |
| aller Sitze im Parlament erhält. Mit einer absoluten Mehrheit würde der | |
| Parteivorsitzende [3][Jordan Bardella] Premierminister, außerdem könnte die | |
| Partei dann das Land mehr oder weniger kompromisslos regieren. Zu Bardellas | |
| Plan gehört unter anderem, dass Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft | |
| bestimmte Berufe nicht mehr ausüben sollen. | |
| Mehrere schwarze Personen sitzen ebenfalls vereinzelt im Lokal „Le | |
| Flandre“. Eine Frau aus der Elfenbeinküste, die nicht wählen wird, sagt: | |
| Sollte Marine Le Pen an die Macht kommen, müsse man das akzeptieren. Ein | |
| deutlich unangenehmeres Gefühl scheint der Rentner Amadou zu haben, der | |
| eigentlich in Paris wohnt und nur wegen Ausweispapieren nach Seclin kommen | |
| musste. In der Kneipe füllt er gerade seine Lotto-Lose aus. Er war vorher | |
| Philosophielehrer und sagt mit leiser Stimme, dass er in Paris für das | |
| Linksbündnis NFP stimmen werde. | |
| NFP hat nach dem ersten Wahlgang angekündigt, in allen Wahlkreisen seine | |
| Kandidat*innen zurückzuziehen, in denen sie nur drittstärkste Kraft | |
| geworden sind. Damit verzichten linke Kandidat*innen auf eine | |
| Machtoption, geben ihre Stimmen den gegnerischen und liberalen | |
| Mitte-Parteien rund um Macron. Damit setzen sie die klare Priorität: | |
| Hauptsache, die Rechtsextremen [4][kommen nicht an die Macht]. Die | |
| Mitte-Parteien „Ensemble!“ und „Horizons“ sind hingegen zögerlicher, w… | |
| ihre Positionierung gegen die Rechtsextremen angeht. Ex-Premierminister | |
| Édouard Philippe warnte vor beiden Extremen und sagte, er wolle weder dem | |
| NFP noch dem RN seine Stimme geben. Damit setzt er das demokratisch und | |
| menschenrechtlich angelegte Linksbündnis mit einem autoritären und | |
| rechtsextremistischen Vorhaben gleich. Nach und nach besannen sich eine | |
| Reihe von Mitte-Kandidaten, im Falle einer Drittplatzierung auch ihre | |
| Kandidatur zurückzuziehen. | |
| Wirft man einen Blick auf die Einfärbungen der Wahlkreis-Landkarte im | |
| Département Nord, fällt eine gelb-rosa Insel inmitten der braunen | |
| RN-Einfärbungen auf. Das ist Lille. In der Stadt wird überwiegend links, | |
| manchmal auch liberal gewählt, in den Vororten und in der ländlichen | |
| Umgebung hingegen hat der RN teilweise mehr als 50 Prozent geholt. „In den | |
| ländlichen Gebieten sowie in den Mittel- und Kleinstädten gibt es ein | |
| Gefühl der Verlassenheit“, erläutert der französische Ökonom Thomas Piket… | |
| gegenüber der taz. Zu dem Thema hat er erst 2023 mit der Autorin Julia Cagé | |
| ein Buch geschrieben. „Solche Orte haben die Deindustrialisierung der | |
| letzten Jahrzehnte mit voller Wucht abbekommen“, so Piketty. Es gebe kaum | |
| Zugang zu öffentlichen Diensten – wie Nahverkehr, Krankenhäuser, | |
| Universitäten. „Die Wahlen 2024 zeigen, dass dieser territoriale Bruch sich | |
| noch verschärft hat: Seit einem Jahrhundert waren die Unterschiede im | |
| Wahlverhalten zwischen großen, städtischen Agglomeraten und kleinen Orten | |
| nicht mehr so enorm.“ | |
| Der Kontrast zwischen dem kleinen Lokal in Seclin und der Innenstadt von | |
| Lille untermalt diese Aussagen geradezu bilderbuchartig. Am Dienstagabend | |
| nach der ersten Wahlrunde trifft sich eine Gruppe von linken Aktivisten an | |
| der Metrostation Marbrerie. Es ist hier längst nicht mehr so schick wie in | |
| der Altstadt. Ugo Bernalicis kommt dennoch in Anzug zum Flyer-Stand seiner | |
| Partei „La France insoumise“ (LFI), die zu dem Linksbündnis NFP gehört. Er | |
| hat in der ersten Runde 47,3 Prozent der Stimmen in diesem Wahlkreis von | |
| Lille erhalten – seine Wiederwahl ins Parlament im zweiten Wahlgang gilt | |
| als gesichert. Doch auch für den Rest Frankreichs gibt der LFI-Politiker | |
| sich zweckoptimistisch. „Wir geben nicht auf“, sagt er, „denn das ist in | |
| erster Linie eine Kopfsache. Wenn man nicht glaubt, dass man gewinnen kann, | |
| dann gehen die Leute auch nicht wählen.“ Bernalicis schwingt also | |
| leidenschaftliche Reden, welche Möglichkeiten es noch gibt, das Ruder | |
| herumzureißen. „Es gibt noch eine gute Million Leute, die mobilisiert | |
| werden können“, ist er überzeugt. | |
| Die Wahlbeteiligung lag bei dieser ersten Runde der Parlamentswahlen | |
| allerdings schon vergleichsweise hoch. 66,7 Prozent der Wahlberechtigten | |
| gaben ihre Stimme ab – bei den letzten Parlamentswahlen 2022 waren es nur | |
| 47,5 Prozent. Bernalicis vergleicht die Beteiligung allerdings nicht mit | |
| den letzten Parlamentswahlen, sondern mit den Präsidentschaftswahlen, bei | |
| den traditionell immer mehr Menschen ihre Stimme abgeben. 2022 lag die | |
| Beteiligung bei 72 Prozent und war damit trotzdem historisch niedrig. | |
| „Vergessen Sie nicht, am Sonntag wählen zu gehen“, ruft die 23-Jährige | |
| Morgane den Menschen zu, die auf der Rolltreppe an der Metrostation | |
| hochkommen. Sie drückt ihnen zwei Flyer in die Hand: Einen Flyer der NFP | |
| und einen der Partei La France insoumise (LFI). Die Studentin ist selbst | |
| kein Parteimitglied und will es auch nicht werden. Sie hat sich erst vor | |
| zwei Wochen dem Aktionsteam in ihrem Viertel angeschlossen, kurz nach | |
| Macrons Ankündigung von Neuwahlen. „Wie viele andere Studierende habe ich | |
| am Tag der Parlamentsauflösung gedacht: Jetzt ist der Moment, wo man etwas | |
| tun muss.“ Der Moment, in dem eine rechtsextreme Machtübernahme so nahe und | |
| gefährlich wie noch nie erscheint. | |
| Auch den 38-jährigen Medhi hat das in Bewegung versetzt. Er ist heute zum | |
| ersten Mal dabei, hat vorher noch nie Flyer verteilt. „Es ist dringend | |
| notwendig“, sagt er. Auf den Flugblättern stehen ein paar Direktmaßnahmen | |
| übersichtlich aufgelistet, auf die sich das Linksbündnis aus Kommunisten, | |
| Grünen, Sozialisten und France Insoumise geeinigt habt: ein monatlicher | |
| Netto-Mindestlohn von 1.600 Euro, eine Deckelung der Preise von | |
| Lebensmitteln, die Rücknahme der umstrittenen Rentenreform, ein Plan zur | |
| Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie. Auch steht dort | |
| geschrieben, wogegen Jordan Bardellas Partei RN in der Vergangenheit | |
| gestimmt hat – etwa die Besteuerung von „Superprofiten“ oder ein Programm | |
| zur Bekämpfung von Ärztemangel in ländlichen Gegenden. | |
| Manche Passant*innen lehnen die Flyer ab, weil sie ohnehin schon | |
| überzeugt sind. „Alles Gute“ wünschen sie im Vorbeigehen. Andere nehmen d… | |
| Flyer freudig routiniert entgegen. „Am meisten Diskussion gab es bei einer | |
| Flyer-Aktion vor einer Schule, als die Eltern ihre Kinder abgeholt haben“, | |
| erzählt Morgane. Da seien nicht alle so in Eile gewesen, hätten sich auf | |
| Gespräche eingelassen. In den Gesprächen fiel ihr auf, dass viele Menschen | |
| überhaupt nicht wählen gehen. „Ich verstehe das und finde es interessant, | |
| mit ihnen darüber zu sprechen und ihnen vielleicht Lust zu machen, es doch | |
| zu tun, selbst wenn es nur ein oder zwei Leute sind“, sagt sie. | |
| Während Morgane, Medhi, Ugo Bernalicis und die Rentnerin Patricia Golabek | |
| am Stand stehen bleiben und den Metro-Eingang bespielen, ziehen drei junge | |
| Studenten los, um die Flugblätter in die Briefkästen im Viertel zu werfen. | |
| Ob es nicht sinnvoller sei, ein paar Kilometer aus Lille herauszufahren? | |
| Dort mit Menschen zu sprechen, wo durchschnittlich jede*r zweite | |
| rechtsextrem wählt? Die langjährige Aktivistin Patricia Golabek zuckt mit | |
| den Schultern. Dazu habe es Aufrufe gegeben, ja schon. „Ich selbst habe | |
| gesundheitliche Probleme und brauche einen Stock zum Gehen“, sagt sie. Für | |
| sie sei das zu anstrengend, aus der Stadt zu fahren. Die anderen wissen | |
| nicht ganz, was sie darauf sagen sollen. Es scheint so, als hätten sie | |
| darüber noch nicht nachgedacht. | |
| Die Situation beschreibt eine offene Wunde unter den Linken. „Langfristig | |
| muss die Linke einen großen Teil der unteren Mittelklasse in den | |
| Kleinstädten zurückgewinnen“, sagt auch Wirtschaftswissenschaftler Piketty. | |
| „Die soziale Ungleichheit muss als Thema die Überhand gewinnen über das | |
| Thema der Spaltung zwischen Stadt und Land.“ | |
| Doch RN-Wähler*innen, das ist nicht nur die enttäuschte | |
| Arbeiter*innenklasse der deindustrialisierten Kleinstädte. Die | |
| Mittvierzigerin Régine etwa gehört vermutlich eher nicht zur Kundschaft der | |
| Kneipe „Le Flandre“. Sie fährt einen stattlichen SUV, arbeitet in einer | |
| Anwaltskanzlei in Lille, lebt in der Nähe von Seclin und bezeichnet sich | |
| überraschend als untere Mittelschicht. „Ja, ich wähle seit ein paar Jahren | |
| schon RN“, bekennt sie ohne Umschweife. Kaufkraft und finanzielle | |
| Verbesserungen interessieren sie allerdings nur mäßig. „Aber die soziale | |
| Hängematte muss ein Ende haben!“, ist ihre vehemente Überzeugung. Und: | |
| Sicherheit! Ja, auf dem Land sei alles mehr oder weniger in Ordnung. „Aber | |
| gehen Sie mal nach Lille. Da hängen diese ganzen Jugendlichen ab, überall | |
| wird man belästigt, selbst in den Läden.“ | |
| Es gibt noch wohlhabendere RN-Wähler*innen als Régine. In Croix, das zum | |
| Großkonglomerat von Lille gehört und im selben Metronetz verbunden ist, ist | |
| die Konzentration an sehr reichen Bewohner*innen unter den höchsten in | |
| Frankreich. Hier stehen hübsche Villen hinter hochgezogenen Zäunen, ein | |
| Tennisplatz bietet Freizeitbeschäftigung, das gesamte Viertel wird | |
| videoüberwacht. Zu sprechen ist hier niemand, man ist verschanzt hinter | |
| Zäunen oder fährt mit dem Auto direkt in die Garage. Es gibt buchstäblich | |
| kaum Kontakt zur Straße. Stärkste Kraft in Croix sind die neoliberalen | |
| [5][Macron-Parteien] geworden, gefolgt von einer grünen Kandidatin des | |
| Linksbündnis NFP. Und doch hat auch hier der Rassemblement National an | |
| dritter Stelle ganze 28 Prozent der Stimmen erhalten. Tatsächlich | |
| schmeichelt das Wirtschaftsprogramm von Jordan Bardella den Reichen. Die | |
| Partei hat gegen die Besteuerung der Superprofite gestimmt und will | |
| zukünftig Unternehmen und Arbeitnehmer steuerlich entlasten. | |
| Zurück in der Kneipe „Le Flandre“ in der Kleinstadt Seclin: „Ich habe | |
| Angst, ja“, sagt Inès, die draußen vor dem Café steht und an ihrer | |
| Zigarette zieht. Nicht vor einem autoritären Umbau, auch nicht vor einer | |
| rechtsextremen Regierung als solcher. „Wenn der RN gewinnt, dann wird hier | |
| alles brennen“, fürchtet sie. Sie selbst wisse nicht, wen sie wählen soll. | |
| „Aber wenn der RN durchkommt, werden uns alle vorwerfen, Rassisten zu sein, | |
| man wird uns zerstören wollen. Ich habe Angst vor einem Bürgerkrieg.“ | |
| „Ihnen sage ich gar nichts“, ruft ein anderer Mann schnippisch und baut | |
| sich mit verschränkten Armen vor dem Eingang des Lokals auf. „Ich werde | |
| eure Umfragen nicht noch weiter füttern.“ Doch der Mann im Trägerhemd | |
| bleibt trotzdem stehen. „Ich glaube nicht, dass ich wählen gehe“, sagt er. | |
| „Sein Vater“, sagt RN-Wähler Pascal, „wäre vor vielen Jahrzehnten einmal | |
| fast der Bürgermeister von Seclin geworden.“ Als Kommunist. Und jetzt wähle | |
| er also RN? „Nein, nein.“ Der Mann wendet sich ab. Ein paar Minuten später | |
| taucht er wieder auf. „Na los, fragen Sie mich alles.“ | |
| Im Tête-à-Tête an einem Tisch drinnen stellt er sich als Alain Crespel vor | |
| und erzählt wie in einem Bekenntnis, dass der Rechtsextremismus ihm Angst | |
| mache. Auch er sei tief enttäuscht von den vermeintlich linken Politikern. | |
| Aber der RN sei rassistisch. Es scheint, als sei es ihm äußerst peinlich, | |
| das zu sagen. Er ist ein Freund von Pascal. Ob er mit ihm darüber redet? | |
| „Nein, nie“, antwortet Alain knapp. Man kenne sich lange, lasse sich seine | |
| Ansichten. Dann korrigiert er seine Aussage von vorhin: Ja, ja, natürlich | |
| gehe er wählen am Sonntag. Allein, um die Erinnerung seines kürzlich | |
| verstorbenen und antifaschistischen Vaters aufrechtzuerhalten, und weil es | |
| auch sonst einfach notwendig sei. | |
| Laut Thomas Piketty gibt es neben Nichtwähler*innen eine andere Gruppe, | |
| auf die es am Sonntag ankommt. „Alles wird von den Macron-Wählern | |
| abhängen“, sagt er. „Ich hoffe sehr, dass sie die Linke dem RN vorziehen, | |
| trotz der unverantwortlichen Aussagen der Regierung, die teilweise die | |
| nationalistische Rechte mit der Linken gleichsetzt.“ Wenn die | |
| Wahlbeteiligung hoch sei, gebe es eine Chance, dass die linken Kräfte | |
| wenigstens einigermaßen gleichauf mit den Rechten seien, und dann auch | |
| gleich stark im Parlament vertreten. „Damit bleiben die Karten offen.“ | |
| 6 Jul 2024 | |
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