# taz.de -- Frankreichs Premier Attal bliebt im Amt: Präsident Macron bittet u… | |
> Frankreichs bisheriger Premier Gabriel Attal bleibt vorläufig im Amt. Die | |
> linke Volksfront will auch ohne absolute Mehrheit regieren. | |
Bild: Marine Tondelier gilt in den Medien als Favoritin für das Amt der Premie… | |
Paris taz | Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron reist am | |
Dienstagabend zum Nato-Gipfel nach Washington. Die Innenpolitik kann | |
warten. Das Treffen mit seinen Amtskolleg*innen im Ausland gibt ihm | |
Zeit, über die [1][Enttäuschung der Parlamentswahl] hinwegzukommen. Und er | |
kann sich überlegen, wie er aus der politischen Sackgasse herausfindet, in | |
die er sich und das Land mit der Auflösung der Nationalversammlung und den | |
Neuwahlen selbst gebracht hat. Was Macron tun muss: den Premierminister | |
ernennen. Doch noch am Wahlabend am Sonntag ließ er mitteilen, dass er sich | |
alle Zeit nehmen wolle, bevor er eine Entscheidung diesbezüglich treffen | |
werde. | |
Bereits kurz nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen hatte Gabriel | |
Attal angekündigt, als Premierminister zurückzutreten. Am Montagvormittag | |
bot er dann Staatschef Macron seinen Rücktritt an. Der jedoch lehnte ab und | |
bat seinen Regierungschef, „für den Moment und im Interesse der Stabilität | |
des Landes“ samt seinen Ministern im Amt zu bleiben. Macron will damit vor | |
allem für die kommenden Wochen, in denen in Paris die [2][Olympischen | |
Sommerspiele] stattfinden, eine offene Regierungskrise vermeiden. | |
Für Macrons Entscheidung nach der Europawahl, Neuwahlen einzuberufen, hatte | |
es viel Kritik gegeben. Er muss gehofft haben, mit einem solchen | |
[3][Wahlpoker] die politischen Kräfteverhältnisse zu seinen Gunsten zu | |
verschieben. Das Gegenteil ist eingetreten. Statt, wie er versprochen | |
hatte, politische Klarheit zu schaffen, ist die Lage nach der Wahl | |
komplizierter denn je. | |
Es gibt in der neuen Nationalversammlung drei große Blöcke: Erstens die | |
[4][Linksparteien der Neuen Volksfront] (Nouveau Front Populaire – NFP) mit | |
182 Sitzen. Dazu gehören die Sozialisten, die Grünen, die Kommunisten und | |
La France insoumise. Zu ihnen kann man 12 von diversen Linken (außerhalb | |
der Volksfront) und einen Teil der 10 gewählten Regionalisten hinzuzählen. | |
Zweitens die macronistischen Parteien der Allianz Ensemble mit insgesamt | |
168 Abgeordneten. Drittens das rechtsextreme Rassemblement National (RN) | |
mit lediglich 126 Sitzen, plus 17 Sitze der Dissidenten der rechten Partei | |
Les Républicains (LR), die mit Ex-LR-Chef Eric Ciotti mit RN eine Wahlunion | |
gebildet hatte. Les Républicains kommen noch auf 60 Sitze. Keiner der drei | |
großen Blöcke hat auch nur annähernd die absolute Mehrheit erreicht, die | |
bei 289 von 577 Stimmen liegt. | |
Diese Ausgangslage macht es Macron nicht gerade leicht. Die Verfassung | |
stellt es ihm frei, einer Person seiner Wahl die Verantwortung der | |
Regierungsbildung zu übertragen. In der Regel ist das ein führendes | |
Mitglied der stärksten Fraktion. Daran ist Macron allerdings nicht | |
gebunden. | |
Laut dem Verfassungsrechtler Dominique Rousseau in der Zeitung Libération | |
entspräche es den republikanischen Gepflogenheiten, dass der | |
Staatspräsident zunächst jemanden aus den Reihen der linken Volksfront | |
nominiert – da diese die Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Sollte die | |
Person daran scheitern, eine Regierung hinter sich zu vereinen, könnte | |
Macron auch den anderen Fraktionen eine Chance geben. | |
Verfassungsrechtlich ist es aber auch möglich, beispielsweise die bisherige | |
Regierung des Macronisten Gabriel Attal so lange im Amt zu lassen, wie es | |
dem Präsidenten Macron beliebt. Wie sinnvoll das ist, ist eine andere | |
Frage: Attals Partei Ensemble hat mit den Neuwahlen 87 Sitze verloren (von | |
250 auf 163) und liegt auf Platz zwei. In einer so schwachen Position | |
können lediglich laufende Geschäfte abgewickelt werden. Regieren sieht | |
anders aus. | |
„Eine Minderheitsregierung kann amtieren, wenn sie nicht (durch einen | |
Misstrauensantrag) gestürzt wird. Es ist nicht an der Regierung, zu | |
belegen, dass sie das Vertrauen der Nationalversammlung hat, sondern | |
umgekehrt an (den oppositionellen Abgeordneten) der Nationalversammlung, | |
den Beweis zu erbringen, dass dieses Vertrauen nicht existiert“, schreibt | |
der Verfassungsrechtler Dominique Rousseau. | |
## „Wir haben gewonnen, jetzt werden wir regieren“ | |
So könnte auch die Volksfront demnächst versuchen, eine Regierung zu | |
bilden. Immerhin hat sie die meisten Stimmen erzielt – müsste ohne | |
Koalitionspartner allerdings eine Minderheitsregierung bilden. | |
„Wir haben gewonnen, jetzt werden wir regieren“, rief Marie Tondelier auf | |
der Siegesfeier der Volksfront. Die 37-jährige Vorsitzende der Grünen, die | |
mit ihrer hellgrünen Weste gut sichtbar eine führende Rolle in der | |
Wahlkampagne gespielt hat, gilt für die französischen Medien als Favoritin | |
unter den möglichen Anwärter*innen auf den Posten des Premierministers | |
oder der Premierministerin einer Linksregierung. | |
Sie ist aber nicht die Einzige, die im Rennen ist. Zu den Namen, die am | |
häufigsten genannt werden, gehört der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon von | |
LFI, der indes bei den anderen Parteien wegen seiner ständigen | |
Provokationen mittlerweile auf Ablehnung stößt. Raphaël Glucksmann wäre | |
wiederum seitens der Sozialisten, für die er bei den Europawahlen ein | |
unverhofft gutes Resultat erzielt hatte, der geeignete Mann. Glucksmann | |
selbst schlug indes den früheren CFDT-Gewerkschaftsboss Laurent Berger vor. | |
## Es könnte zu einer neuen Machtprobe kommen | |
Die internen Diskussionen innerhalb der Volksfrontparteien, wer welche | |
Rolle in der möglichen künftigen Regierung spielen soll, laufen nicht ohne | |
Spannungen ab. Gegner der Mitte und von rechts versuchen das für sich | |
auszunutzen. Bei einer Fernsehdebatte sagte ein Sprecher des RN, die linke | |
Wahlunion werde bereits an der Frage eines zukünftigen Premierministers | |
zerbrechen. | |
Darauf antwortete die LFI-Abgeordnete Aurélie Trouvé voller Zuversicht: | |
„Wir haben uns in bloß vier Tagen auf eine Volksfront geeinigt, auf | |
gemeinsame Kandidaturen in allen Wahlkreisen und auf ein gemeinsames | |
Programm mit 150 Punkten. Wir werden uns auch noch in dieser Woche auf den | |
Namen unseres Volksfront-Regierungschefs einigen.“ | |
Die neue Nationalversammlung wird am 18. Juli zu einer außerordentlichen | |
Sitzung zusammentreten. Dabei soll zunächst ein*e Vorsitzende*r gewählt | |
und alle anderen Ämter besetzt werden. Ein neues Ministerkabinett ist dazu | |
nicht erforderlich, falls Attal immer noch offiziell im Amt bleibt. Falls | |
es dem Präsidenten später nicht gelingt, einen Regierungschef zu | |
nominieren, könnte es zu einer neuen Machtprobe kommen. | |
Laut dem Verfassungsrechtler Rousseau bliebe dann womöglich dem Präsidenten | |
nichts anderes übrig, als selbst zurückzutreten – was er bisher | |
ausgeschlossen hatte. Rousseau verweist auf einen Präzedenzfall vor exakt | |
hundert Jahren. Da der damalige Präsident Alexandre Millerand nicht in der | |
Lage war, eine Regierung einzusetzen, zwangen ihn die Parlamentsparteien | |
zum Rücktritt. Auch damals fanden in Paris die Olympischen Spiele statt. | |
8 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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