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# taz.de -- „Dorfpunks“ am Landestheater S-H: Bunt provoziert nicht mehr
> Gute Unterhaltung: Auf den Bühnen des Schleswig-Holsteinischen
> Landestheaters sind Rocko Schamonis „Dorfpunks“ da gelandet, wo sie
> hingehören.
Bild: Bejubeln die ein Tor im TV? Schamoni-Alter-Ego Dennis Habermehl (r.) und …
Am späten Nachmittag finden sich auf dem Platz vor dem
Gründerzeit-Theaterbau tatsächlich welche ein: alt gewordene Angehörige
genau der – ihrerseits in die Jahre gekommenen – Subkultur, die so ein
Stück, ein Stück mit so einem Titel, anlocken müsste: [1][„Dorfpunks“]. …
die Türen sich öffnen zur kleineren Spielstätte des Rendsburger Theaters,
ist es noch etwas hin. Also sitzen die drei Tätowierten in den schwarzen
Band-T-Shirts, zwei Typen, eine Frau, erst mal noch etwas in der Sonne. Die
Frau, es sind ja auch in solchen Zusammenhängen die Frauen, die sich
kümmern, reicht Bier. Auf einer Bank haben sie eine kleine Auswahl Dosen
stehen.
Nicht, dass Rendsburg ein Dorf wäre, wie es der Wahlhamburger
Entertainment-Tausendsassa Rocko Schamoni seinem Roman „Dorfpunks“ als
Handlungsort verpasst hat, wahrscheinlich eher schon die Art Nachbarstadt,
in die man mitunter fliehen muss vor der Ödnis echter Dörfer. Eine Jugend
auf dem Land, mal mehr, mal weniger von Musik geprägt: In den mittleren
Nullerjahren war das ein kleiner belletristischer Trend, nicht nur
Schamonis „Dorfpunks“ kam 2004 heraus, auch sein humormäßiger Bruder im
Geiste, [2][Heinz Strunk], legte sein Romandebüt „Fleisch ist mein Gemüse“
vor. Beide Bücher wurden erfolgreich, beide wurden verfilmt und erhielten
den bürgerlich-kulturellen Ritterschlag: Sie kamen auf richtig große
Theaterbühnen.
Anfangs besorgten beide Autoren das selbst, genauer: Die ersten
Inszenierungen beider Stoffe am Deutschen Schauspielhaus waren Projekte des
absurden Komiker-Outfits „Studio Braun“, das zu zwei Dritteln, eben, Strunk
und Schamoni bilden. Dessen „autobiographischer Roman über eine Punkjugend
in der Holsteinischen Schweiz wird nicht brav nachbuchstabiert, sondern
sehr frei neu erzählt“, war damals einer Rezension zu entnehmen.
Dagegen wirkt Moritz Nikolaus Kochs Inszenierung am Landestheater
Schleswig-Holstein nun beinahe, als wäre Schamonis Coming-of-Age-Variation
mit der etwas schrägeren Musik inzwischen Kanon, an dem nur mit sehr guten
Gründen gerührt werden darf. Gut – es wird allerlei weggelassen, es ist
aber auch wirklich nicht jede Erinnerung ans auch mal raue Aufwachsen unter
Moped-Machos, aus der Ferne nach den „duftenden Töchtern“ mit dem
Reitunterricht schmachtend, so richtig gut gealtert.
Dafür, dass sie beim Verlag „Roman“ auf Schamonis Buch geschrieben haben,
tritt es streckenweise ganz schön auf der Stelle, reiht sich Pubertätsszene
an Adoleszenzanekdote, geht es dann doch mehr um westdeutsche nicht ganz
randständige Provinz als den Punk. Ja, die Straffung schadet gar nichts. Es
landen immer noch reichlich Provinzdöntjes auf der niedrigen Bühne der
Rendsburger Kammerspiele. Auf der ist ein Wohnzimmer aufgebaut: Sofa, eine
Stehlampe, die im Prospekt wohl als „rustikal“ bezeichnet würde; ein
Kühlschrank, der gar nicht ans Gutbürgerliche erinnert, sondern eher
aussieht wie damals in der Groß-WG, so bekritzelt und beklebt; ein
Garderobenständer schließlich, mit schwarzer Lederjacke dran.
Wenn das aber ein Wohnzimmer ist, oder eine Wohnküche, dann eine etwas
andere, denn es stehen auch noch Mikrofone und ein Schlagzeug drin und
Verstärker für Gitarre und Bass, und ziemlich zu Beginn spielen sie dann
auch, die vier Darsteller:innen (Dennis Habermehl, Aaron Rafael
Schridde, Neele Frederike Maak, Steven Ricardo Scholz) – eine scheppernde
Version von „Als hätte es uns nie gegeben“, dem Opener von Schamonis 2019
veröffentlichtem [3][Album „Musik für Jugendliche“].
„Dorfpunks“, da wo dieser Stoff hingehört, in norddeutsche
Nicht-direkt-Metropolen: Es ist ein unterhaltsamer Abend geworden, der beim
Rendsburger Premierenpublikum auch manche nostalgische Aufwallung zu
bewirken schien – wozu niemand unbedingt irgendwann irgendwo dabei gewesen
sein muss. [4][Die „Würde des rebellierenden Outsiders“], mit der Schamoni
seinen Helden ausgestattet hat, eigentlich also sich selbst, die ist bis
heute maximal anschlussfähig. Wie neu dieser Typ schwieriger Jungmann schon
in den späten 70ern nicht mehr war, das sei dahingestellt.
Die drei vom Vorplatz, die mit den Bierdosen, saßen nun aber auch in den
ausverkauften Reihen, dazu noch einige angejahrte Freund:innen lauter
Gitarrenmusik mehr. Ob darunter auch Menschen aus Lütjenburg waren, wo
Schamoni aufwuchs und das er nur ums allernotwendigste verfremdete zum
fiktiven „Schmalenstedt“? Dort soll Schamoni, über Jahre auf dem Marktplatz
präsent, bis heute bekannt sein, aber nicht mehr so sehr berüchtigt: „Heute
kommen die ehemaligen Freunde, die Eltern der Freunde, die Lehrer, die
nicht immer nur gute Zeiten mit ihm hatten, und kaufen sein Buch“,
[5][stand 2004 in der taz]. Und die örtliche Buchhändlerin ließ sich
zitieren mit den versöhnlichen Worten: „Das ist ja alles auch schon zwanzig
Jahre her. Das nimmt man heute nicht mehr so krumm.“
Von der Provokation, die Schamoni zufolge damals alles Bunte und Schräge
darstellte, ist der Abend weit entfernt. Nein, hier wärmt man sich an mal
reichlich, mal nicht ganz so präzise Aufgespießtem. Das Gute ist: Auf jede
trügerisch Gemeinschaft herstellende Bespöttelung all der doofen Spießer,
die nun nicht im Saal sitzen, folgt ein Verweis auf die Lächerlichkeit auch
so manchen subkulturellen Abgrenzungsrituals. Alles bloß eine Frage des
Drinnen- oder Draußenseins.
Das Buch endet mit einer nächtlichen Szene: Der Ich-Erzähler lässt seine
Jugend und seine Liebe davonschweben wie heliumgefüllte Ballons. Doch, ja,
das ist so die Art von innerer Visualisierung, wie sie einem heute auch zur
Stressregulierung angetragen wird. Was bedeutet es nun, wenn dieser sachte
antherapiert wirkende Epilog an den Anfang des Theaterabends geschoben ist?
Zumindest nicht das ganz Naheliegende: Hier blickt kein auf diese oder jene
Weise arrivierter Alt-Dorfpunk zurück, dazu spielt Dennis Habermehl,
Schamoni, aber auch jedem Punkklischee phänotypisch erfreulich fern, viel
zu unbekümmert. (Vor der dagegen erst mal geradezu zerbrechlich wirkenden
Neele Frederike Maak indes kann man richtig Angst bekommen, wenn sie immer
wieder „Alter!“ rausrotzt – ein Erlebnis.)
Irgendwann werden über diesen Stoff Schularbeiten geschrieben und dann
macht die Klasse einen Ausflug ins Theater: In Schamonis anschlussfähiges
Volks-Theater. Haben sie das wirklich noch nicht bei Ohnsorgs gespielt? Das
kann echt nur eine Frage der Zeit sein.
21 Jun 2024
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## AUTOREN
Alexander Diehl
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Punk
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