# taz.de -- Neues Album von Rocko Schamoni: Postapokalypse mit Futur II | |
> Der hanseatische Himmelhund Rocko Schamoni tritt von seinem Rücktritt | |
> zurück und veröffentlicht ein neues Soloalbum: „Musik für Jugendliche“. | |
Bild: Rockender Schelm: Rocko Schamoni | |
Erzählen, um noch ein bisschen Zeit herauszuschlagen: Das ist das Modell | |
Scheherazade (damit meine ich keinen Reiskocher). Himmelhund Rocko Schamoni | |
verfährt auf seinem neuen Album „Musik für Jugendliche“ genau andersherum… | |
sich lustvoll dem Ende nähern, die Zeit verschrammeln lassen. Dabei pusten | |
Blasinstrumente (ich glaube, Trompeten) oft eine solche Feierlichkeit in | |
den Kopfraum, dass man sich auf einer guten Beerdigung glaubt. Bei solchen | |
Veranstaltungen dauert es ja in unserem Kulturkreis auch eine Weile, bis | |
man sich eine gewisse zerstreute Freude erlaubt. | |
Den Auftaktsong „Als hätte es uns nie gegeben“, vor allem noch bei dem | |
Albumtitel „Musik für Jugendliche“, auf das drohende Ende der Welt zu | |
beziehen, das zum Beispiel mein 14-jähriger Neffe gerade demonstrierend auf | |
der Straße zu verhindern sucht, drängt sich auf. „Es gibt keine Menschen | |
mehr, auch das ist nicht weiter schlimm / denn wir waren ohne Frage für das | |
Weltall kein Gewinn“, besingt Schamoni lässig und mit glasklarer Stimme | |
jetzt schon mal die Postapokalypse, während eine Band den Takt zum Ende | |
spielt, der dann ja doch immer nicht aufhört (außer, wenn er aufhört). | |
Ein weiteres Blasinstrument hupt dann wie eine Autohupe auf dem Weg zur | |
Verschrottung. Wenn im Refrain Echos von Schamonis Stimme „bald“ und „nie | |
gegeben“ in verschiedener Lautstärke und Dichte sagen, hat er auch gleich | |
jede Forderung nach Diskussion und Distanz mit eingewabert. Ein wenig | |
schräger und sakraler präsentiert sich mein Favorit „Loch in der Welt“. | |
Am Anfang wird in dem Song hymnisch mit mehrfach geschichteter Stimme die | |
Botschaft ausgerufen: „Was von euch bleibt, ist nur ein Loch in der Welt / | |
Durch das der Wind weht / Durch das der Schnee fällt.“ Davor klumpert ein | |
Xylofon, danach bounct eine Kugelschreibermine, und man stellt sich die | |
Frage, ob das nicht die perfekte Beschreibung unseres Daseins auf der Welt | |
als Zeitlichkeit ist: kleine Löcher mit den sich durch die Dimensionen | |
bewegenden Körpern wie mit Raviolistechern immer wieder aus dem Ganzen | |
herausgeschnitten. | |
## Komödienstadl und Melancholie am Fensterbrett | |
Ganz am Ende gibt es dann noch mal eine „Reprise“ dieses Stücks, die, so | |
klingt es, den Sprung in die Zukunft wagt. Kalter Winterhauch, dann | |
Versatzstücke des Originals, gemischt mit Drucker- und Robotergeräuschen, | |
zu denen die harte Wirklichkeit des Todes angenommen werden kann (nicht | |
muss); bevor der Sargdeckel geschlossen wird und das Album, das auf dem Weg | |
von der ersten Diagnose bis zum Exitus die zehn schwungvollen Stadien des | |
Sterbens hinabschritt, zu Ende ist. Schamonis Vater ist ja gestorben, wie | |
die Plattenfirma informiert. Da kann man schon mal auf solche Gedanken | |
kommen. | |
Dieser Weg führt musikalisch außerdem in den Komödienstadl („Ich und mein | |
Pudel“), über das letzte Mal schick Anziehen („Der Weg hinab“), einen | |
Tribut an den im März dieses Jahres gestorbenen Sänger der tollen | |
britischen Popband Talk Talk und Schamoni-Vorbild („Mark Hollis“), | |
leidenschaftliches Aufbäumen der Leidenschaft („Dein Gesicht“), Sex im | |
Alter („Unser freies Lied“), einen nachmittäglichen Tanztee („Die Freihe… | |
sie wird alt in deinen Haaren“) und Melancholie am Fensterbrett („Der | |
Regen“). | |
Zwölf Jahre nach Schamonis letzten Album mit eigenen Songs („Rocko | |
Schamoni & Little Machine“), das eigentlich das Finale hätten sein sollen, | |
wirkt nun der Sprung ins Futur zwei konsequent – aber auch ein bisschen | |
seltsam. Wie sollte es anders sein bei einem solchen Supermusiker, | |
Bestsellerautor, Gastronom, Quatschmacher und Quartalsgenie? Einem, der, | |
mit anderen Worten, schon alles gemacht hat? Ab einem gewissen Alter, das | |
kennen wir von Opa und Oma, rückt die Jugend immer näher. Und wenn dabei | |
Siebzigerjahre-Soulsound mit schwermütiger Heiterkeit herauskommt, klingt | |
das immer noch besser als ein St.-Pauli-Nostalgieroman, den Schamoni 2019 | |
auch schon veröffentlicht hat. | |
21 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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