# taz.de -- Fideler Bühnenzauber: Verdrömelte Leben und ein Laufband | |
> Postpunk Rocko Schamoni inszeniert in Oldenburg sein Buch „Fünf Löcher im | |
> Himmel“ und unterläuft dabei die Erwartungen des Publikums | |
Bild: Es ist eine herzallerliebste Typenparade: Paul trägt schwer an seinem �… | |
Harmonisch gelingende Lebensentwürfe sind etwas für Langweiler. Rocko | |
Schamoni interessieren Widersprüche. Auf kraftstrotzenden Akkorden des | |
Gelingens und mit schrundigen Melodien des Scheiterns erzählt er gern von | |
der Vergänglichkeit der Dinge. In seiner Musik. Und nun ganz konkret auch | |
vom scheiternden Aufbegehren gegen das sterbenslangweilige Altern: in | |
seinem neuen Roman „Fünf Löcher im Himmel“, in dem er erstmals alles | |
vermeidet, was auf schlichte Pointen hinausläuft. | |
Wenn der Autor aber nun selbst den zusammen mit Marc-Oliver Krampe | |
dramatisieren Text inszeniert, haben viele doch eine Kostproben-Revue | |
seiner Begabungen erwartet: Ist der kokett fabulierende Literat doch auch | |
als Postpunk schlagernder Musiker bekannt geworden, als Scherzkeks des | |
Humorkollektivs Studio Braun, Golden-Pudel-Club-Betreiber in Hamburg und | |
politischer Aktivist der Satire-Fraktion „Die Partei“. Er hat zudem lässig | |
dilettantische Radikal-Ulk-Abende am Deutschen Schauspielhaus | |
mitverantwortet. | |
Aber am Staatstheater Oldenburg unterläuft Schamoni die Erwartungshaltungen | |
und überrascht mit Tragödien-Ernst, einem Sutsche-piano-Tempo des Spiels | |
sowie einer herzallerliebsten Typenparade, die das Ensemble da vorführt. | |
## Zu alt, um jung zu sterben | |
Im Mittelpunkt steht Paul, nein, geht Paul – nämlich gegen die Laufrichtung | |
eines Förderbandes. Als Obdachloser trägt er schwer an seinem „Sack voller | |
vergammelter Träume“. Traurig, zu alt, um jung zu sterben. Bummelt er so | |
weiter, kommt er nicht vom Fleck, nicht raus dem Trott seiner Gegenwart. | |
Einfach stehenbleiben? Dann würde ihn die Laufbandmechanik von der Bühne | |
befördern. Also steigt er aus, vom Band herab, nimmt seine | |
Das-kann-doch-alles-gewesen-sein-Stimmung als Anreiz, um mal in seiner | |
Vergangenheit anzurufen. | |
Bei der ersten großen Liebe. Katharina (Diana Ebert). Verliebt, verlobt, | |
verheiratet war er mit ihr bereits während der Schultheateraufführung vom | |
„Werther“. Dann aber wurde der Liebeskummerselbstmord seines Nebenbuhlers | |
bei Goethes Lotte und der Lotte-Darstellerin Katharina nicht nur so als ob, | |
sondern mit einer tödlich geladenen Pistole gespielt. Mord! Wer war es? | |
Paul jedenfalls musste dafür in den Knast. | |
„Anschließend ist alles nur noch schief gelaufen“, sagt er. Was genau | |
schief gelaufen ist, erzählt er nicht. Nur das Romanzen-Aus wird als | |
Argument artikuliert. Katharina hilft nicht weiter, wimmelt den Rechercheur | |
seiner verlorenen Zeit am Telefon ab. Paul verkriecht sich in das Tagebuch | |
seiner Jugend. | |
Warum das so wichtig ist, erklärt sich aus Schamonis Verhältnis zum | |
Schicksal. In einem Interview mit dem Wiener Kurier hat er auf die Frage, | |
ob er an Vorbestimmung glaube, gesagt: „So wie du aufwächst, so wie man zu | |
dir ist, so wird dein Leben später auch sein. Du bist aus deinen | |
Bedingungen gemacht.“ Schamoni konfrontiert also die schmuddelige | |
Seniorengestalt (Thomas Birklein) mit seiner eigenen feschen Jungsgestalt | |
(Rajko Geith). Höhepunkt der Aufführung ist, wenn beide Darsteller als ihre | |
Spiegelbilder die Schnittmenge von dem suchen, was Paul wollte und wurde. | |
Und nichts finden. | |
Schamoni verliert sich fortan in den Möglichkeiten, bildschönes | |
Stadttheater zu machen. Aparte Filmprojektion laufen stets als | |
Handlungsortsimulationen. Als Paul „Bei Pocke“ einkehrt, eine zum | |
Leertrinken letztmalig geöffnete Absturzkneipe, beginnen endlose | |
Interaktionsmätzchen der Säufer-Darsteller auf der Bühne mit den | |
Säufer-Darstellern auf der Leinwand. Am verkaterten Morgen danach geht es | |
gleich wieder um die verpassten Möglichkeiten des verdrömelten Lebens. Die | |
Schamoni aus Pauls Kopf frisch auf die Bühne holt, aber eben weiterhin nur | |
im Singular: immer nur Katharina. | |
Verliebtheitskitsch als Antrieb für Alte-Männer-Sentimentalitäten. Bevor es | |
vollends peinlich wird, wechseln Pleitewirt Pocke und Pleiteliebhaber Paul | |
das Genre. Gehen on the road mit Pockes Nissan-Datsun-Oldtimer auf | |
Bonnie-und-Clyde-Tour, um nach und nach alle psychischen, ethischen | |
Behinderungen zu entsorgen und um „frei, vogelfrei“ zu werden. Es beginnt | |
mit Lebensmittelklau und Prellen der Tankzeche. | |
Die Inszenierung sollte nun ihr biederes Setting aufbrechen, wenn es ihr | |
wirklich ernst wäre mit dem wachsenden Aufbruchsgebahren. Schamoni aber | |
hebt nur mahnend den Zeigefinger, es mit der Entgrenzung nicht zu doll zu | |
treiben – lässt Pocke den Banküberfall wider die akute Pleitegefahr nicht | |
überleben. Auf der verzweifelten Suche danach, worum es an diesem Abend | |
geht, bleibt nur eine weitere Interpretationsmöglichkeit in Erinnerung: | |
Zwei springerstiefelige Dumpfbacken versuchen Kneipengäste zu demütigen und | |
sind nur durch Vorhaltung einer Waffe davon abzubringen. Sie werden selbst | |
entblößt in einer Jauchegrube versenkt. Lerne: Gegen rechts hilft nur | |
Gewalt? | |
## Nicht fundiert genug | |
Wenn solche politischen Themen wirklich Schamonis Anliegen sind, müsste er | |
sie schon etwas fundierter auf der Bühne verhandeln – und auch für Pauls | |
Niedergang biografisch etwas tiefer graben. Tut er alles nicht. | |
Schick, sehr schick sieht das inhaltliche Nichts aus. Reizvoll irritierend | |
nur Punk-Shouter und Schamoni-Kumpel Jens Rachut als Vogelmann im | |
Sittich-Kostüm. Knatternd piepend verfolgt er das Geschehen. Und schließt | |
irgendwie daraus, das heillose Elend unserer Zeit gesehen zu haben, ruft | |
seine gefiederten Freunde auf, nun die Apokalypse einzuleiten. Was abstrus | |
wirkt, da die Inszenierung dafür keine Argumente geliefert hat. Aber | |
immerhin spendiert dieses Finale dem Biedersinnabend einen Funken | |
Lebendigkeit, der vom Bühnennebel allerdings gleich wieder gelöscht wird. | |
25 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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