# taz.de -- Muckers Delight | |
> Halfpapes Erzählungen: Heinz Strunks Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ ü… | |
> das Elend seiner Landjugend | |
Die historische Leistung von Heinz Strunk ist es, den wohl ersten Roman im | |
Mucker-Milieu geschrieben zu haben. Der Mucker, muss man dazu wissen, ist | |
eine Art Subspezies des Musikers. Seine Eigenart besteht darin, dass er auf | |
seinem Instrument zwar alles kann, aber dennoch nicht musikalisch ist. | |
Mucker spielen problemlos vom Blatt, aber eben ohne Herz und Seele. Der | |
Icherzähler in Heinz Strunks biografischem Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ | |
ist ein waschechter Mucker. Er spielt Saxofon in einer von einem Typen mit | |
dem Namen Gurki gegründeten Tanz- und Showband, den Tiffanys, und heizt | |
bevorzugt auf Volksfesten im Norddeutschen der geschmacksresistenten | |
Dorfjugend gehörig ein. Im Repertoire befinden sich Schlager, Oldies, „An | |
der Nordseeküste“ und Schlimmeres. | |
Der Tanzkapellenmucker, das wird dabei recht schnell klar, ist das genaue | |
Gegenteil eines Popstars oder wenigstens eines echten Musikers. Er hat | |
weder Glamour noch Backstage-Sex. Er ist komplett austauschbar, schließlich | |
gibt es Mucker wie Sand am Meer, und als die Mauer fällt, haben die | |
Tiffanys auch gehörig Angst, dass sie von den ostdeutschen Muckern aus den | |
Festzelten und Mehrzweckhallen verdrängt werden. Wenn man dann auch noch so | |
scheiße aussieht wie Heinz in seinen Zwanzigern, und mit seiner blühenden | |
Akne sogar ein Fall für den Arzt ist, bereitet man sich darauf vor, vom | |
Leben nicht mehr allzu viel zu erwarten. Aus dem Plan, auch mal „richtige“ | |
Musik zu machen, wird nichts, während sämtliche Mädchen für Heinz | |
verständlicherweise irgendwann nur noch „die Biester“ sind, die dem eigenen | |
Hormonhaushalt gehörig zusetzen, sich aber sonst nicht die Bohne für den | |
Akne-vernarbten Mucker interessieren. | |
Rocko Schamoni, der wie Heinz Strunk zu der Hamburger Telefonstreich-Combo | |
Studio Braun gehört, hat unlängst mit „Dorfpunks“ ein ähnliches Buch wie | |
der mit bürgerlichem Namen Mathias Halfpape heißende Heinz Strunk | |
geschrieben. Auch bei Schamoni geht es um das Elend einer Jugend auf dem | |
Lande im Zeichen der Musik. Doch der Antiheld, den Schamoni beschreibt, hat | |
immerhin die Würde des rebellierenden Outsiders. Heinz dagegen ist ein | |
Komplettausfall, ein Superlooser, der wirklich gar keinen Stich macht. Und | |
gerade darin liegt die umwerfende Komik von „Fleisch ist mein Gemüse“, | |
darin, dass Heinz Strunk genussvoll und beinahe schon mit Schadenfreude | |
beschreibt, wie Heinz in immer noch dämlichere und skurrilere Situationen | |
gerät. Man stellt bald fest, dass Heinz, auch wenn man bereits dachte, dass | |
dieser tiefer nicht mehr fallen könne, den Leser immer wieder mit neuen | |
deprimierenden Rückschlägen überrascht. Das pampige Souvlaki, das sich die | |
Tiffanys beim Dorfgriechen andauernd reinziehen, schmeckt immer schlechter, | |
Heinz wird irgendwann spielsüchtig, die Auftritte in schlimmen Kaschemmen | |
immer grauenvoller, und nach dem Mucken gibt es als Verpflegung immer bloß | |
das eine: Eier. | |
Dank „Fleisch ist mein Gemüse“ wird man den Mucker in Zukunft als einen | |
Fall für die Pathologie einstufen müssen. Heinz Strunk hat eine extreme | |
Form des Muckens überlebt und kann heute Bücher darüber schreiben. Er ist | |
geheilt, macht heute echte, wenngleich seltsame Musik und hat, soviel wir | |
wissen, inzwischen sogar Erfolg bei den Biestern. Vielleicht kann sein Buch | |
andere Mucker dazu anregen, auch endlich offen über das Elend ihres debilen | |
Jobs zu sprechen. ANDREAS HARTMANN | |
Heinz Strunk: „Fleisch ist mein Gemüse – Eine Landjugend mit Musik“. | |
Rowohlt, Reinbek 2004, 255 S., 8,90 € | |
5 Jan 2005 | |
## AUTOREN | |
ANDREAS HARTMANN | |
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