# taz.de -- Ausstellung über Zugtoiletten: Wenn's mal wieder länger dauert | |
> Vom königlichen Klostuhl übers Fallrohr bis zur Vakuumtoilette: Das | |
> DB-Museum widmet sich dringenden Bedürfnissen auf Reisen. Das ist | |
> sehenswert. | |
Bild: Und als Souvenier – eine Rolle Klopapier | |
NÜRNBERG taz | Der bayerische König Ludwig II. hatte eins. Reichskanzler | |
Bismarck ebenfalls. Doch sie waren Ausnahmen. Dem gemeinen Bahnreisenden | |
des 19. Jahrhunderts blieb nichts anderes als zu warten, verkrampft | |
sitzend, notfalls auf einem Bein stehend, bis endlich das stille Örtchen | |
der Entspannung nahte. Die Toilette im fahrenden Zug, sie ist zweifelsohne | |
ein zivilisatorischer Fortschritt, den man nicht missen möchte. | |
Aber kann man so etwas ausstellen? Das Museum der Deutschen Bahn in | |
Nürnberg hat es gewagt. Es zeigt auf 200 Quadratmetern Aspekte menschlicher | |
Entleerung im schienengebundenen öffentlichen Personenverkehr. | |
Nein, dies ist keine Witzausstellung, und ein nach Zoten gierender Besucher | |
wird ihr enttäuscht den Rücken kehren. Dafür ist die Schau in all ihrer | |
Ernsthaftigkeit sehr gelungen. Und auf die naheliegende Frage, ob und wie | |
man mit diesem Thema einen ganzen Saal füllen kann – selbst wenn den | |
Deutschen ein ganz besonders inniges Verhältnis zu ihren Ausscheidungen | |
nachgesagt wird –, versichert Kuratorin Ursula Bartelsheim, dass bei der | |
Konzeption der Ausstellung das gegenteilige Problem auftrat: der Platz war | |
zu gering. | |
Das liegt daran, dass sich anhand der Zugtoilette zwei große Entwicklungen | |
des 19. und 20. Jahrhunderts darstellen lassen. Die der zunehmenden Hygiene | |
und die der rasant wachsenden Mobilität. Zum ersten Stichwort sei erwähnt, | |
dass noch 1831/32 die Cholera in Berlin wütete und mehr als 1.400 Opfer | |
forderte. Es gab keine Abwasserkanäle oder gar Klärwerke, geschweige den | |
Wasserklosetts, der Unrat landete auf der Straße. | |
## Von Leipzig nach Dresden in 3 Stunden und 40 Minuten | |
Die 1835 in Deutschland eingeführte Eisenbahn war mit der | |
Ausscheidungsproblematik zunächst dennoch nicht konfrontiert. Denn die | |
ersten Strecken wie die von Nürnberg nach Fürth mit sechs Kilometern waren | |
viel zu kurz, um ein dringendes Bedürfnis entstehen zu lassen, wie | |
Bartelsheim bei einem Rundgang durch die Schau erklärt. Doch bald wurden | |
die Strecken länger, und ebenso verlängerte sich die Reisezeit. Die Züge | |
der ersten deutschen Fernbahn von Leipzig nach Dresden waren ab April 1839 | |
3 Stunden und 40 Minuten unterwegs. | |
Anfangs behalf man sich mit einem längeren Unterwegsaufenthalt, um dort | |
sowohl die Ab- als auf die Zufuhr von Lebensmitteln, Letzteres in einer | |
Bahnhofsrestauration, zu ermöglichen. Und eben nur die allerhöchsten | |
Herrschaften verfügten über eine Art Toilette in ihrem Hofwagen. Im | |
Nürnberger Museum steht der mit goldenen Ausschmückungen überladene blaue | |
Waggon von König Ludwig II., der über einen Klostuhl verfügte. Dieser war | |
freilich noch ohne Abfluss. Die Exkremente der Hoheit sammelten sich | |
einfach in einem Behältnis unter dem Sitz, der von einem Diener entleert | |
werden musste. | |
Einen Höhepunkt der Schau bildet zudem der hölzerne Toilettenstuhl des | |
Habsburger Monarchen auf Reisen, ein vermutlich von Kaiser Franz Joseph | |
wiederholt genutztes Utensil. Merke: Die Zugtoilette ist auch eine | |
Klassenfrage. | |
Erst ab den 1880er Jahren erhielt auch das profane Publikum die | |
entsprechende Möglichkeit. Behindernd war dabei allerdings, dass | |
Personenwaggons ähnlich einer Reihe zusammengebauter Postkutschen | |
konstruiert waren, mit Außentüren zu jedem einzelnen Abteil und ohne | |
Seitengang. Eine Toilette konnte daher, wie bei einem Modell erkenntlich, | |
nur zwei benachbarte Abteile durch Zwischentüren bedienen. | |
## Notdurft erst beim nächsten Halt | |
Ein anderes Modell zeigt einen Packwagen der Königlich Bayerischen | |
Staatsbahnen mit eingebautem Klo. Da musste der Reisende bei einem | |
Unterwegsaufenthalt rasch sein Abteil und den Zug verlassen und zum | |
Gepäckwagen eilen in der Hoffnung, dass dieser nicht schon besetzt war. Und | |
nach Verrichtung der Notdurft musste er bis zum nächsten Halt dort | |
verweilen. | |
Erst die Konstruktion von Waggons mit Seitengang ergab die Möglichkeit, an | |
den Wagenenden Toilettenräume einzurichten, bald mit dem | |
berühmt-berüchtigten Fallrohr, das die Exkremente umstandslos auf den | |
Schienenkörper beförderte. Dafür gab es unterschiedliche mechanische | |
Lösungen, deren Details sich dem Laien nicht sofort erschließen, etwa die | |
selbsttätige Abortdeckel-Niederlegung. Der Autor dieses Textes hat ein | |
Fallrohrmodell erst jüngst auf einer rumänischen Nebenbahnstrecke nutzen | |
dürfen. Berührt gedachte er bei dieser Gelegenheit auch des | |
Trockenseifenspenders und des Papierhandtuchhalters der Bundesbahn. In der | |
Ausstellung gibt’s das alles zu sehen. | |
Der Anfang vom Ende der Fallrohrtoilette begann indes unter der Hochbrücke | |
Hochdonn. Hier überquert die Bahn den Nord-Ostsee-Kanal, und ihre | |
Konstruktion hat dazu beigetragen, das Zugtoilettenwesen in Deutschland | |
nachhaltig zum Besseren zu verändern. Unter der Brücke befindet sich | |
nämlich nicht nur ein Kanal, dort stehen auch Häuser, deren Bewohner | |
beklagten, dass Exkremente aus den Zugtoiletten auf ihren Grundstücken | |
landeten. In einem Prozess urteilte der Richter im Jahr 1995, dass die Bahn | |
diesen Zustand zu beenden hätte. | |
Selbstverständlich hat die Hochdonnbrücke den ihr gebührenden Platz in | |
der Ausstellung gefunden. Kuratorin Bartelsheim weist allerdings darauf | |
hin, dass die Bahn in den 1990er Jahren längst mit der Entwicklung eines | |
Nachfolgers begonnen hatte: der Vakuumtoilette. Das hing mit dem Bau der | |
Schnellfahrstrecken zusammen. Bei Tempo 250 sind die Grenzen des Fallrohrs | |
erreicht, in Tunneln würde der Druck gar dazu führen, dass die Extremente | |
nach oben statt nach unten geschleudert würden. Das Hochdonn-Urteil sorgte | |
freilich für eine Beschleunigung des Umstellungsprozesses. Wobei das | |
Fallrohr in Deutschland bis heute keineswegs verboten ist und auf diversen | |
Museumsbahnen zum Einsatz gelangt. | |
## Unterversorgung an Bahnhöfen bis heute | |
So scheint nun alles zum Besten geregelt, einschließlich der | |
„DB-Unterwegsreinigung“, die gestörten ICE-Toiletten noch während der Fah… | |
zu Leibe rückt. Die Ausstellung verschweigt nicht, dass es da bisweilen | |
schon zu einer gewissen Unterversorgung gekommen ist. Keine Erwähnung | |
findet dagegen die Tatsache, dass das Angebot für Wartende auf kleineren | |
Bahnhöfen in Deutschland mittlerweile leider gegen null geht. | |
Sind wir nun am Ende des zivilisatorischen Fortschrittsprozesses angelangt? | |
Keineswegs! Die Zukunft verlangt neue, bessere Lösungen. Zum Beispiel für | |
Lokomotivführer, genauer für Lokomotivführerinnen. Wer auf langen Strecken | |
mit Güterzügen unterwegs ist, kann sich nämlich bisher bei einem | |
Unterwegshalt nur in die Büsche schlagen. Ein WC auf der Lok gibt es nicht. | |
Weil die Bahn AG aber mehr Lokführerinnen einstellen möchte, die diese | |
Pieselmethode nicht zu vollführen gedenken, entwickelt man gerade ein Klo | |
mit dem hübschen Namen „Cinderella“ für das Lokomotivpersonal, bei der die | |
Fäkalien verbrannt werden. | |
Und auch die Vakuumtoilette mit ihrem Tank, der alle drei Tage an | |
speziellen Stationen entleert werden muss, könnte irgendwann ersetzt | |
werden: durch ein Bioreaktor-Klo. Auch ein solches Ungetüm von | |
Toilettentechnik ist ausgestellt und entspricht, laienhaft gesprochen, | |
einer Art kleiner Kläranlage. Der Fortschritt ist eben nicht zu bremsen, | |
schon gar nicht im Hochgeschwindigkeitszug. | |
Die Ausstellung „Unter Druck. Die Geschichte der Zugtoilette“ ist im | |
DB-Museum Nürnberg noch bis April 2025 zu sehen. | |
21 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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