# taz.de -- Wappnen für den ukrainischen Winter: Wettlauf gegen den Ausfall | |
> Die russische Armee soll rund die Hälfte der Energieinfrastruktur in der | |
> Ukraine zerstört haben. Der Wiederaufbau ist mühsam, Strom knapper denn | |
> je. | |
Bild: Blackout in Kyjiw nach einer Attacke der russischen Armee | |
LUZK taz | Einen freien Termin bei einem Elektriker zu bekommen ist derzeit | |
in der Ukraine nahezu unmöglich. Manche müssen wochenlang warten, denn die | |
Nachfrage ist hoch. Der Grund: Die Menschen wollen ihre Wohnungen für den | |
kommenden Winter aufrüsten, und zwar jetzt, bevor es wieder kalt wird. Die | |
Kapazität der Geräte, die die Menschen im ersten Winter der russischen | |
Invasion gekauft haben, reicht längst nicht mehr aus. Das ukrainische | |
Energiesystem ist heute in einem viel schlechteren Zustand als damals. | |
Serhij Krylow ist einer der Elektriker, die in der westukrainischen Stadt | |
Luzk solche Dienstleistungen anbieten. Die meisten Kund*innen bitten | |
Krylow, solche Systeme auszuwählen und zu installieren, die ihre Häuser | |
auch bei mehrstündigen Stromausfällen versorgen können. Eine der | |
beliebtesten Optionen ist ein System, das aus einer Batterie, einem | |
Ladegerät und einem Wechselrichter – also einem speziellen Stromwandler – | |
besteht. Mit einem solchen System kann man im Winter bei einem 10- bis | |
12-stündigen Stromausfall alle Geräte, einschließlich der Heizung, sparsam | |
betreiben. | |
Der Preis für ein solches System liegt bei etwa 500 Euro. In der Ukraine | |
ist dies für viele Menschen eine beträchtliche Summe. Im Frühjahr | |
zerstörten russische Raketen und Drohnen rund die Hälfte der ukrainischen | |
Energiekapazitäten. Fast alle Wärme- und Wasserkraftwerke in der Ukraine | |
sind nun außer Betrieb. Dies hat enorme Auswirkungen auf die | |
Stromerzeugung. Das größte Atomkraftwerk Saporischschja steht seit 2022 | |
unter russischer Besatzung und das Wasserkraftwerk Kachowka wurde im Sommer | |
2023 zerstört. | |
„Stellen Sie sich vor, Sie verbrauchen täglich zehn Kilowatt und haben | |
jetzt nur noch fünf“, fasst Oleksandr Chartschenko, Direktor des | |
Energieforschungszentrums, das Ausmaß [1][der Zerstörung im Energiesektor | |
der Ukraine] zusammen. Das derzeitige Defizit ist auch auf die geplanten | |
Reparaturen der Atomkraftwerke zurückzuführen, die neben den | |
Solarkraftwerken die einzigen Stromerzeuger in der Ukraine sind. | |
## Stromtarife um 65 Prozent teurer | |
Um Energie zu sparen und die verfügbaren Kapazitäten zwischen Industrie und | |
Haushalten aufzuteilen, wurden Mitte Mai Zeitpläne für Stromausfälle | |
eingeführt. 4 bis 6 Stunden jeden Tag gibt es keinen Strom für die | |
Ukrainer*innen. Die Regierung hat Bürger*innen und Unternehmen | |
aufgefordert, trotz der aktuellen Hitzewelle den Einsatz von Klimaanlagen, | |
die viel Strom verbrauchen, einzuschränken. Dieser Aufruf zeigte nur | |
geringe Wirkung. Darüber hinaus reagierte die Regierung mit einer Erhöhung | |
der Stromtarife um fast 65 Prozent. | |
Die meisten sehen darin einen Test für den Winter, wenn die Stromausfälle | |
noch länger und häufiger werden könnten. Optimisten rechnen mit 6 bis 8 | |
Stunden, Pessimisten mit 10 bis 14 Stunden Stromausfall pro Tag. „Die | |
ukrainischen Städte werden wahrscheinlich mit Wasser und Heizung versorgt. | |
Die Regierung bemüht sich darum. Aber das ist eine Prognose, die auf dem | |
derzeitigen Grad der Zerstörung basiert. Aber es gibt keinen Grund zu | |
glauben, dass Russland aufhören wird, den Energiesektor zu bombardieren“, | |
sagt Chartschenko. | |
Stromimporte könnten die Situation verbessern, aber sie können im besten | |
Fall nur 10 Prozent des Winterverbrauchs decken. Die ukrainische Regierung | |
wirbt nun weltweit um Material und Ausrüstung, um die von der russischen | |
Armee zerstörten Energieanlagen wieder aufzubauen. Hilfe kam bereits aus | |
Deutschland, Norwegen und Frankreich. | |
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Regierung angewiesen, | |
[2][die Installation von Solaranlagen und Batterien in Schulen und | |
Krankenhäusern zu vereinfachen]. Seine Initiative umfasst Steuer- und | |
Zollerleichterungen sowie Kreditprogramme für Bürger*innen. Die Regierung | |
will damit ein System von Hunderten kleinerer Kraftwerke schaffen, die für | |
die russische Armee schwerer anzugreifen sein sollen. Kyjiw hat zudem mit | |
dem Kauf von 15 Mini-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen begonnen. | |
## Nur noch vier Monate bis zum Winter | |
„Wir brauchen kleine Kraftwerke und Energiespeichersysteme, um | |
überschüssige Energie tagsüber zu speichern und abends zu verbrauchen. Der | |
Staat muss mehr Holz und landwirtschaftliche Abfälle nutzen, also | |
Biogas-Blockheizkraftwerke bauen“, sagt Wolodymyr Kudrytskyj, CEO des | |
staatlichen Energieunternehmens Ukrenergo. | |
Gleichzeitig weisen Expert*innen darauf hin, dass es nur noch vier | |
Monate bis zum Winter sind und es schwierig sein wird, alle Maßnahmen | |
rechtzeitig umzusetzen. Deshalb fahnden die Ukrainer*innen bereits nach | |
kreativen Lösungen. Manche suchen sich ein Haus auf dem Land mit Holz- oder | |
Kohleofen, andere kaufen sich Solarpaneele oder Ladestationen. Wieder | |
andere lassen sich von Leuten wie dem Elektriker Serhij Krylow beraten, um | |
die beste Option für ihr Budget zu finden. | |
Angesichts drohender [3][massiver Stromausfälle im Winter] wird in den | |
ukrainischen Medien über die Möglichkeit einer neuen Fluchtwelle nach | |
Europa diskutiert. Ähnlich war die Situation im letzten Winter, als viele | |
Bewohner*innen der Großstädte vorübergehend zu Freund*innen in die EU | |
zogen, um den Winter abzuwarten und dann in die Ukraine zurückzukehren. | |
Aus dem Ukrainischen Anastasia Magasowa | |
27 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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