| # taz.de -- Bei der Tantra-Massage: Warten auf den großen Knall | |
| > Unser Autor hat eine Tantra-Massage gebucht, um mehr Leichtigkeit in sein | |
| > Sexleben zu bringen. Ein intimer Bericht aus der Bauch- und Rückenlage. | |
| Bild: „Du denkst zu viel“, sagt Ala, als sie meinen glänzenden Körper mit… | |
| Alas nackter Körper flapscht auf meinen. Lösen sich unsere eingeölten | |
| Leiber, schmatzt es laut. Sie fährt mit ihren warmen [1][Massagehänden] | |
| zwischen meine Schulterblätter und Pobacken, bis hin zu meinen Füßen. Es | |
| fällt mir schwer, auch nur ruhig zu atmen. | |
| Ala ist 58 Jahre alt, ausgebildete Köchin, Suchttherapeutin, Ökonomin – und | |
| seit zwölf Jahren Tantra-Masseurin. Ala heißt eigentlich anders, aber ich | |
| will ihre Privatsphäre schützen. Sie stammt aus Krakau, liebt die | |
| norddeutsche Kleinstadtidylle und weiß, wie man Körper zum Pulsieren | |
| bringt. | |
| Dem Leistungsdruck, der meinen Sex und den vieler anderer junger Menschen | |
| beschwert, versucht sie radikal zärtlich zu begegnen. Während der Massage | |
| werde ich spüren, dass Alas Tantra nicht asketisch ist, sondern lustvoll | |
| und verspielt, eines, in dem man balgt, über Haut gleitet, Leichtigkeit und | |
| Ruhe finden soll. Für mich heißt das: Es geht nicht darum, den Körper des | |
| anderen zu ‚besitzen‘, sondern eine offene Verbindung auf Augenhöhe | |
| einzugehen. Und daraus vielleicht etwas mitnehmen zu können. | |
| „Über das, was du nicht fühlst, kannst du nicht sprechen“, steht auf einer | |
| Webseite für Tantra-Massagen. Ich bin neugierig, ob das auch auf mich | |
| zutrifft. Der Weg in Alas Massagesalon fällt mir dennoch schwer. | |
| ## 150 Euro für eine Massage | |
| Auf der Zugfahrt notiere ich mir zwanzig Punkte, die mich verunsichern: | |
| Angst, am Bauchnabel berührt zu werden; Angst, dass ich vor lauter Kitzeln | |
| lache; Angst, aufs Klo zu müssen; Angst, dass ich zu unrasiert bin; Angst, | |
| dass meine Hoden wehtun, weil ich vor Kurzem sterilisiert wurde. | |
| Ich will weder zu früh noch gar nicht kommen, aber eigentlich auch gar | |
| nicht ans Kommen denken. Außerdem bin ich weiß, cis-männlich, heterosexuell | |
| und zahle gleich 150 Euro für eine Massage, die de jure als Sexarbeit gilt. | |
| Ein komisches Gefühl. Überhaupt: Wie wird es wohl sein, sich von einer | |
| fremden Frau berühren zu lassen, zu der ich mich romantisch wohl eher nicht | |
| hingezogen fühle? | |
| Zweimal laufe ich an ihrem Salon vorbei. Erst ein unscheinbares | |
| Klingelschild weist mir den Weg in den zweiten Stock eines der vielen | |
| Backsteinhäuser, die sich alle ähneln. | |
| Ala umarmt mich herzlich, führt mich erst unter die Dusche und dann in den | |
| Massageraum. Das goldene Gesicht des Hindu-Gottes Shiva prangt an der Wand | |
| und starrt in einen von Kerzen erleuchteten Raum. Flöten- und Sitarklänge | |
| wabern leise durchs Zimmer. „90 Prozent der Männer haben bei meiner Massage | |
| einen Orgasmus“, sagt Ala, als wir über den Ablauf der Massage reden. Ich | |
| schaudere bei der Vorstellung, wie Hunderte Männer auf der Matratze zu | |
| meinen Füßen ejakulieren. | |
| ## Sexualität verehren | |
| Dabei sei ihr Tantra nicht „ziel“-, also orgasmusfokussiert, sagt Ala. Ihr | |
| gehe es um die Reise zum Ziel, um die totale körperliche Hingabe im Hier | |
| und Jetzt. Damit steht sie mitten in der uralten indischen | |
| Tantra-Tradition, die Sexualität nicht nur als natürliches menschliches | |
| Bedürfnis versteht, sondern sie verehrt, anstatt sie zu verdrucksen und zu | |
| unterdrücken. | |
| Für die Begrüßungszeremonie nimmt Ala meine Hand und wir stellen uns | |
| gegenüber. Wir sind beide mit einem traditionellen indischen Lendentuch, | |
| dem Lungi, bekleidet. Sie streicht mir über den Kopf, meinen Nacken, den | |
| Rücken entlang. Ich schäme mich, weil ich im warmen Raum und durch die | |
| abrupte Intimität stark schwitze und Ala ihren Kopf auf meine nasse Brust | |
| legen muss. | |
| Sie öffnet unsere Lungis und bedeutet mir flüsternd, mich auf den Bauch zu | |
| legen. Dort mache ich den Seestern, lasse mein Gesicht vom harten Frottee | |
| zerknautschen und gebe die Kontrolle ab. Und dann geht’s los: Mit Pinseln, | |
| Federn und Perlenketten streichelt mir Ala über meinen Körper. Ein Teelicht | |
| erhitzt das Öl, das sie üppig in jede noch so kleine Falte massiert, bis | |
| meine Haut trieft und glänzt. Sie klemmt meine eiskalten Füße wärmend unter | |
| ihre Brüste und reibt Zeh um Zeh ein. Es prickelt, als sie meine Kniekehlen | |
| streichelt. | |
| ## Ich scheitere dabei, loszulassen | |
| In meiner Unsicherheit drifte ich immer wieder ab. Augen auf oder zu? | |
| Schnacken wie im Friseursalon oder stille Hingabe? Krampfhaft ermahne ich | |
| mich, [2][zu entspannen.] Atmen nicht vergessen! In mir keimt eine erste | |
| Unruhe, da sich keine Erektion ankündigt. Ala hustet laut und ich zucke | |
| zusammen. | |
| Im Hintergrund klingelt es an der Tür und ich höre im Hinterzimmer einen | |
| weiteren Kunden mit schüchterner Stimme eintreten: „Hallo, ich bin | |
| Pierre“. Alas Kollegin führt ihn in einen Nebenraum. Während ich dumpf | |
| höre, wie sie anfangen, miteinander zu plaudern, merke ich: Ich scheitere | |
| dabei, loszulassen. | |
| Ala schnauft mir Nasenluft in mein Ohr, während sie nackt auf mir | |
| herumrutscht. Ihre Schamhaarstoppeln kratzen über meine linke Flanke. Sie | |
| bittet flüsternd, mich auf den Rücken zu drehen. Was dann folgt, nennt sich | |
| Lingam, was auf Sanskrit „männliche Geschlechtsteile“ bedeutet. Und genau | |
| die werden beim Lingam durchgeknetet. In ihren unterschiedlichen Rhythmen | |
| fühlen sich Alas Berührungen neu an, mal sanft streichelnd, mal schnell und | |
| mechanisch, stellenweise sogar etwas traktierend. Das Öl auf meinem Bauch | |
| spritzt. Zum Orgasmus komme ich aber nicht. | |
| „Du denkst zu viel“, sagt Ala, als sie meinen glänzenden Körper mit dem | |
| Lungi bedeckt. Sie huscht unter die Dusche. Ich lasse den Blick schweifen, | |
| über die Kerzen und Kissen – und fühle mich leer. Mein Magen knurrt, die | |
| Hoden ziehen. Ala kommt nach fünf Minuten zurück und lacht: „Ich bin eine | |
| Express-Frau“. Als ich ins Badezimmer gehe, höre ich noch ihren Zuruf, all | |
| die schlechten Gedanken den Abfluss runterzuspülen. | |
| ## Den Körper lesen | |
| Im Nachgespräch sagt Ala, dass [3][Tantra] für sie ein Geben und Nehmen | |
| ist, da sie auch meine Liebe empfangen habe. Das bedeute aber nicht, dass | |
| Kunden sie im Intimbereich berühren dürfen. Nachdem wir uns lange umarmt | |
| haben, flüstert sie mir zu: „Ich habe deinen Körper gelesen.“ Mein | |
| angespannter Bauch verrate ihr, dass ich Gefühle zurückhalte und meine Lust | |
| zu kontrollieren versuche. | |
| Ja, es ist mir schwergefallen, loszulassen. Mich in die Hände einer fremden | |
| und deutlich älteren Frau zu begeben – auch, weil ich liiert bin. In mir | |
| ist kein sinnliches Feuerwerk abgebrannt. Auch das oft berichtete | |
| Ganzkörperkribbeln nach einer Tantra-Massage gab es nicht. Zu oft habe ich | |
| verbissen an die Schweißperlen auf meiner Brust oder an meine Atmung | |
| gedacht. | |
| Nach einigen Backenküsschen und einer letzten Umarmung ruft Ala mir | |
| hinterher: „Pass auf dich auf und hab ein gutes Herz!“ Als ich nach draußen | |
| trete, mit weicher Haut und müde gewalztem Leib, nieselt es. Ich atme aus. | |
| 10 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mark Schoder | |
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