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# taz.de -- Grüner über Sachsens Verfassungsschutz: „Sie werden immer dreis…
> Die AfD steht in Sachsen zum ersten Mal im Verfassungsschutzbericht. Doch
> der Report könnte besser sein, kritisiert Valentin Lippmann von den
> Grünen.
Bild: Wahlplakate der AfD an einem Laternenmast in Dresden
taz: Herr Lippmann, seit dem 8. Dezember gilt die AfD in Sachsen als
gesichert rechtsextrem. Jetzt steht sie im Verfassungsschutzbericht und hat
angekündigt, dagegen rechtlich vorzugehen. Haben Sie darin neue
Erkenntnisse über die Partei gefunden?
Valentin Lippmann: Nicht wirklich. Außer vielleicht, dass der
Verfassungsschutz nicht alle Mitglieder der AfD für verfassungsfeindlich
hält. Aber das ist auch nichts Neues.
Das rechtsextreme Potential in Sachsen schätzt der Verfassungsschutz nun
auf mehr als 5.700 Personen. Ein neuer Höchststand. Liegt das nur an der
AfD?
Der Anstieg liegt zu einem erheblichen Teil an der Einstufung der AfD. Aber
darüber hinaus ist ein signifikant hohes Personenpotential im
Rechtsextremismus da, das definitiv nicht kleiner wird.
Laut Bericht stieg 2023 auch die Zahl der Straftaten Rechtsextremer auf
einen Rekordwert.
Auch diese Entwicklung zeichnet sich seit geraumer Zeit ab. In den letzten
Jahren haben wir gesehen, dass die Gewaltaffinität zunimmt. Das spiegelt
sich nun endlich auch im Verfassungsschutzbericht wider.
Mittlerweile sind Kameradschaften bei Neonazis nicht mehr so verbreitet,
schreibt der Verfassungsschutz. Ist wenigstens das etwas Neues?
Diese Bewegung sehen wir seit Jahren: weg von
[1][Kameradschaftsstrukturen], hin zu aktionsorientierten Zusammenkünften.
Diese lassen sich heute durch Soziale Netzwerke und Messenger besser
koordinieren als früher. Ich glaube, die Sicherheitsbehörden haben immer
noch nicht das Potential erreicht, was notwendig wäre, um das
[2][ausreichend zu kartieren und zu monitoren.] Viel zu häufig schauen die
immer noch, ob sie eine formelle Vereinigung finden, anstatt zu prüfen, ob
es ein lose organisiertes Netzwerk gibt.
Vor allem junge Neonazis scheinen in Sachsen an Stärke zu gewinnen. Das
zeigte sich bei Angriffen in Dresden auf Wahlhelfer:innen der Grünen
und auf den SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke.
Auch das ist keine neue Entwicklung. Aber sie werden immer offensiver,
immer dreister. Sie haben nicht nur keine Angst, sich in der Öffentlichkeit
zu zeigen, sondern suchen sie bewusst. Das hat sich jetzt auch durch die
einschüchternden Demonstrationen rund um den CSD in Dresden gezeigt
(Anmerk. d. Red.: 89 junge Rechtsextreme wollten in Dresden den CSD
stören). Man versucht, in der Öffentlichkeit gezielt Bedrohungssituationen
herbeizuführen. Das erfüllt mich mit großer Sorge.
Aber dem Verfassungsschutzbericht entnehmen Sie offenbar wenig
Überraschendes. Dabei wäre es doch die Aufgabe des Nachrichtendienstes,
Informationen zu beschaffen. Der innenpolitische Sprecher der CDU, Ronny
Wähner, fordert mehr Befugnisse: Quellen-Telekommunikationsüberwachung,
Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung. Könnte der
Verfassungsschutz dann besser arbeiten?
Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der nicht stets überrascht ist, wenn
was passiert. Aber die Forderung nach immer neuen Befugnissen und mehr
Personal ist ein Feigenblatt derjenigen, die keine Strukturänderung beim
Verfassungsschutz zulassen wollen. Wir pumpen immer mehr Ressourcen in das
gleiche dysfunktionale System, in dem schlicht keine klugen Prioritäten
gesetzt werden.
Was meinen Sie damit?
Es hilft mir wenig, wenn im Verfassungsschutzbericht über Seiten hinweg
allgemeine Informationen über die Szeneentwicklung stehen. Die Wissenschaft
bereitet das viel tiefgehender und besser auf. Zu den tatsächlich
relevanten Bedrohungspotentialen für unsere freiheitlich demokratische
Grundordnung steht am Ende relativ wenig im Verfassungsschutzbericht
selbst. Gerade jetzt, wo sich diese Behörde auch wieder der Spionageabwehr
widmen muss, muss sie Prioritäten setzen. Es geht darum, dass sich der
Verfassungsschutz auf die Gefährdung unserer freiheitlichen demokratischen
Grundordnung fokussiert. Dafür braucht er keine neuen Befugnisse, sondern
er braucht eine neue Struktur.
Wie würde die neue Struktur aussehen?
Die Arbeit des Verfassungsschutzes besteht aktuell aus zwei Säulen: Die
eine ist der Inlandsnachrichtendienst, der dafür zuständig ist, erhebliche
Gefahren für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu erkennen.
Der soll genau das aufklären, mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeiten
– allerdings gut kontrolliert.
Die zweite Säule ist die allgemeine Analyse. Diese würden wir lieber der
Wissenschaft überlassen. Seit 2020 macht das in Sachsen zum Beispiel das
Else-Frenkel-Brunswik-Institut: aus öffentlichen Quellen wissenschaftlich
zu analysieren, was unsere Demokratie bedroht und die Ergebnisse in einem
sehr guten Jahresbericht veröffentlichen.
Dieses Zusammenspiel würde einen Mehrwert für alle bedeuten: Es würden mehr
wissenschaftliche Erkenntnisse und Aufklärung über Bedrohungen für unsere
Verfassung geschaffen, und das Personal des Nachrichtendiensts könnte seine
Prioritäten auf tatsächliche Gefahren legen.
Sie haben gesagt, der Nachrichtendienst muss gut kontrolliert werden. Wie
denn?
Die parlamentarische Kontrolle muss weiter ausgebaut werden. In Sachsen
werden wir demnächst einem Modell folgen, das der Bund und Brandenburg
haben. Der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) wird Personal zur
Verfügung gestellt, das ausschließlich für die Kontrolle des
Verfassungsschutzes da ist. Hier heißt das dann Fachstelle, im Bund ist das
der ständige Bevollmächtigte. Außerdem geht es darum, welche Rechte die PKK
hat – da gibt es noch Luft nach oben.
Die PKK zu verbessern, steht kommende Woche auf der Tagesordnung des
Sächsischen Landtags. Noch eine Frage zum Verfassungsschutzbericht:
Antisemitismus [3][nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober] spielt da eher
eine kleine Rolle. Es gibt zwar einen kurzen Exkurs, aber der ist nur knapp
eine Seite lang. Antisemitische Akteure werden dort kaum genannt, weder aus
der linken noch der rechten Szene. Warum nicht?
Ich glaube, es ist in der alten Verfassungsschutzlogik einfacher, sich im
Bereich Rechtsextremismus, Islamismus, ausländischem Extremismus und
Linksextremismus zu bewegen und dann dort in Verästelungen zu schauen, ob
es antisemitische Bezüge gibt, statt dem Thema selbst eine angemessene
separate Lageeinschätzung zu widmen. [4][Der Antisemitismus stellt schon
für sich genommen eine erhebliche Bedrohung für unsere freiheitliche
demokratische Grundordnung dar.] Aber die alten Denklogiken beim
Verfassungsschutz, wie die Hufeisentheorie, sind leider immer noch nicht
überwunden.
7 Jun 2024
## LINKS
[1] /Razzia-bei-Kameradschaft-in-Sachsen/!5362637
[2] https://machine-vs-rage.bag-gegen-hass.net/about/
[3] /Krieg-in-Nahost/!6011775
[4] /Rechte-Reiche-im-rassistischen-Video/!6012658
## AUTOREN
David Muschenich
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