# taz.de -- Permakulturgarten in Neukölln: Hier hat alles einen Nutzen | |
> Mitten in Neukölln-Rixdorf, versteckt in einem Häuserblock, liegt eine | |
> wild wachsende Oase: der Garten des „Café Botanico“ | |
Bild: Jeden Mittwoch sind Interessierte eingeladen, sich an der Gartenarbeit zu… | |
Berlin taz | Alles wuchert wild durcheinander – Gemüse und Obst, Blumen und | |
Sträucher sowie das, was man gemeinhin Unkraut nennt. Anne Gudurat freut | |
sich darüber. Ja, für die Gärtnerin könnte es sogar noch etwas mehr sein. | |
[1][Denn das, was hier, mitten in Neukölln, so üppig gedeiht, nennt sich | |
ein Permakulturgarten]. Und in den mischt sich der Mensch nur wenig ein. | |
„Wir reagieren auf das, was kommt“, sagt Gudurat. | |
Konkret bedeutet das, dass sie und ihre Helfer:innen – zwei | |
Schülerpraktikantinnen sowie etliche Ehrenamtliche – Pflanzen an bestimmten | |
Stellen herausnehmen, um Platz für eine Aussaat oder Pflanzen zu schaffen, | |
die man woanders entnommen hat. „Was zu viel ist, kommt auf den Kompost | |
oder als Mulche auf die Beete. Oder wir machen Jauche zum Düngen daraus“, | |
so Gudurat. „Hier hat alles einen Nutzen.“ | |
Eine der Hauptbeschäftigungen der Gärtnerin besteht darin, den Garten ganz | |
genau zu beobachten. Jeden Morgen macht sie erst mal eine Runde und schaut, | |
was sich während ihrer Abwesenheit getan hat. Auf einem Beet stecken | |
Keimlinge ihre hellgrünen Köpfe durch die Erde. „Was habt ihr denn hier | |
gesät?“, will die Gärtnerin von den Praktikantinnen wissen. Die zucken nur | |
lächelnd die Schultern. „Macht nichts“, erwidert Gudurat. „Da wir hier so | |
einen reichen Boden haben, kommt hier eh vieles, das wir nicht selbst gesät | |
haben und erst erkennen müssen.“ | |
[2][Pflanzenbestimmung ist das A und O im Permakulturgarten]. Als | |
Quereinsteigerin muss sich Anne Gudurat dieses Wissen immer noch aneignen. | |
Noch oft nimmt sie eine Pflanzenbestimmungs-App zur Hilfe oder fragt den | |
Leiter und Gründer dieses Gartens, Martin Höfft. | |
## Pflanzenbestimmung ist das A und O im Permakulturgarten | |
Als dieser 2011 begann, das 1.000 Quadratmeter große, brachliegende Land | |
zwischen den Mietshäusern urbar zu machen, waren viele Pflanzen schon da. | |
So etwa der Giersch, der mit seinen tentakelartigen Ausläufern so gut wie | |
alle Beete überragt und wegen seiner unterirdischen Triebe nur schwer zu | |
bekämpfen ist. „Wir haben mit dem Giersch eine freundliche Beziehung“, sagt | |
Anne Gudurat. „Wir wollen ihn auch gar nicht loswerden. Die Wurzeln sorgen | |
für eine bessere Wasserspeicherkapazität im Boden, außerdem nutzen wir den | |
Giersch intensiv in der Küche.“ | |
Die Praktikantinnen sind schon dabei, die jungen Blätter des Gierschs zu | |
sammeln, er macht zurzeit den Hauptbestandteil im Wildkräutersalat des | |
„Café Botanico“ aus. So heißt das an den Garten angegliederte Restaurant, | |
das sich mit seinem Konzept „Garden-to-table“ seit der Eröffnung 2013 weit | |
über Neukölln hinaus einen Namen gemacht hat. | |
Die wenigen Tische sind oft schnell ausgebucht, um möglichst viele Gäste | |
bewirten zu können, gibt es mehrere Zeitfenster pro Abend. Die saisonal | |
wechselnden Ernteerzeugnisse des Wildgartens stecken nicht nur im Salat, | |
sondern auch in Blumenvasen, der Limonade und in den – meist italienischen | |
– Gerichten. Heute gibt es etwa Crostini mit einer Mischung aus Spinat und | |
Wildkräutern. | |
„Für viele Gäste ist der Geschmack unserer Wildgemüse erst einmal | |
ungewohnt“, sagt Anne Gudurat. „Gestern haben sich aber auch die Köche | |
beschwert, dass die Crostini-Mischung zu würzig war. Also müssen wir heute | |
noch anderen Geschmack hineinkriegen.“ Die Gärtnerin weiß auch schon wie: | |
Die Blätter der Nachtkerze und des Buchweizens haben einen neutraleren | |
Geschmack, dazu kommen kleingeschnittene Kohlblätter. „Die sind schön süß… | |
sagt Gudurat. | |
## Die Pflanzen sollen sich selbst vermehren | |
Um die Blätter zu ernten, brauchen sich die Gärtnerinnen nicht einmal | |
bücken, der Kohl wächst in eine Höhe von bis zu einem Meter. Markstammkohl | |
heißt die Sorte. „Die wurde früher vor allem als Futterpflanze angebaut“, | |
erläutert Anne Gudurat. Auf dem Markt ist dieser Kohl nicht zu finden. | |
„Dabei lassen sich daraus wunderbare Gerichte zubereiten, wie die | |
portugiesische Suppe Caldo Verde“, so die Gärtnerin. „Gut ist auch, dass er | |
so wenig Platz wegnimmt.“ An einer der Kohlpflanzen haben sich Samen | |
gebildet. „Die haben wir extra blühen lassen“, erklärt Gudurat. | |
Die Pflanzen im Permakulturgarten sollen sich selbst vermehren. Die | |
Gärtner:innen sammeln die Samen außerdem ein, um sie für eine gezielte | |
Aufzucht zu konservieren. So wurden etwa Tomatenpflanzen vorgezogen, jetzt | |
kommen sie ins Beet. „Heute weht schön viel Wind, da sind die Bienen nicht | |
so viel unterwegs, und wir können auch bei den Bienenstöcken pflanzen“, | |
sagt Anne Gudurat. | |
Neben Honigbienen gehört zahlreiches anderes Getier in den Garten, selbst | |
Schnecken dürfen hier sein. Eine Praktikantin nimmt eine Weinbergschnecke | |
vom Beet und trägt sie ins Gebüsch. Das wäre gar nicht nötig, meint Anne | |
Gudurat. „Schnecken mit Gehäuse sind harmlos.“ Aber auch gegen | |
Nacktschnecken wird nicht viel unternommen. Und ob die kleinen Hauben die | |
jungen Maispflänzchen vor den gefräßigen Weichtieren schützen werden, ist | |
ungewiss. | |
Anne Gudurat lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen: Aufgrund der | |
Mischkultur im Naturgarten gibt es immer Pflanzen, die robust genug sind, | |
um sich durchzusetzen – zur Not kommt eben etwas anderes auf den Tisch. | |
Auch hält sich der Schaden durch Schnecken und andere Schädlinge in | |
Grenzen, wenn Pflanzen auf natürliche Weise wachsen. | |
[3][Die Pflanzenvielfalt sorgt außerdem für einen gesunden Boden], und der | |
ist buchstäblich die wichtigste Grundlage für einen Permakulturgarten. Über | |
200 Arten wachsen inzwischen im Garten des „Botanico“. Die Gärtner:innen | |
halten darüber genau Buch und haben einen genauen Überblick, wie der Garten | |
in seinem Volumen stetig wächst. | |
## Über 200 Arten wachsen inzwischen im Garten | |
Ein kleiner Urwald ist in den vergangenen 13 Jahren auf der ehemaligen | |
Brache gewachsen, Tische laden Besucher:innen zum Verweilen ein. Wer | |
will, darf mitarbeiten, geerntet wird das ganze Jahr über. Zur | |
Haupterntezeit im Sommer sind helfende Hände sehr gefragt. Bisher kann sich | |
das „Botanico“ nur eine fest angestellte Gärtnerin leisten. Gründer Martin | |
Höfft ist nach wie vor gezwungen, sein Brot anderweitig zu verdienen, | |
gärtnern kann er nur nebenher. Unglücklich ist er darüber jedoch nicht. | |
„Fehlende Zeit ist in einem Naturgarten durchaus ein Gestaltungselement“, | |
sagt er der taz. „Man lernt mit der Zeit, sich auf die kritischen Prozesse | |
zu beschränken, und übergibt der Natur einen Teil der Kontrolle.“ | |
Ganz aufgegangen sei sein Konzept jedoch nicht, räumt Höfft ein: „Es war | |
etwas naiv zu glauben, über eine Gastronomie ein Nachhaltigkeitsprojekt | |
finanzieren zu können. Gastro ist schon schwer genug.“ Neben den | |
Schwierigkeiten, sich an dem etwas abgelegenen Standort in Rixdorf zu | |
etablieren, kamen Corona, die Inflation und eine Steuererhöhung hinzu. Um | |
das Projekt langfristig zu halten, wollen Höfft und seine | |
Mitstreiter:innen neue Wege einschlagen, etwa über Bildungsarbeit. | |
Dafür muss allerdings ein weiteres Problem gelöst werden: Bisher hangelt | |
sich das Projekt von einem befristeten Pachtvertrag zum nächsten. „Die | |
Vermieter sind fair und kooperativ, aber wir müssen immer damit rechnen, | |
dass es hier nicht mehr weitergeht. Langfristig muss ein anderer Ort | |
gefunden werden“, sagt Martin Höfft. Damit es auch in den nächsten | |
Jahrzehnten weiter wuchert in Neukölln | |
10 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Karlotta Ehrenberg | |
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