# taz.de -- Motorradgang-Film „The Bikeriders“: Die Sehnsucht der Biker | |
> Mit seinem Film „The Bikeriders“ würdigt Jeff Nichols die goldene Ära d… | |
> Biker-Clubs. Mit Verve wird die Faszination des Motorradfahrens | |
> erfahrbar. | |
Bild: Ich bin meine Maschine: Danny (Tom Hardy, l.) und Benny (Austin Butler) i… | |
Das wohl größte Mysterium in „The Bikeriders“ ist eine einfache und doch | |
nur schwer zu beantwortende Frage. Sie ist auch das Herz dieses Films, das | |
ihn so lebendig macht: Warum nur tun diese Männer ach so gern, was sie tun? | |
Gemeint sind die titelgebenden Motorradfahrer, die so sehr für ihre | |
Maschinen brennen, dass sie sich in den 1960er Jahren zu einem Club | |
zusammenschließen. | |
„The Vandels“ lautet sein martialischer Name. Ein Totenkopf und zwei | |
gekreuzte Dolche bilden das Logo, das die Kutten der Mitglieder ziert. Eine | |
schäbige Eckkneipe, irgendwo in einem trostlosen Vorort von Chicago, dient | |
als ihr ständiger Treffpunkt. Viel geschieht dort allerdings nicht. Man | |
hängt herum, redet nur wenig miteinander, trinkt aber umso mehr Bier. | |
Mag der Alltag des Clubs noch so schal, gar stupide klingen – dass zugleich | |
eine aufregende Aura von ihm ausgeht, ist nicht von der Hand zu weisen. | |
Schon während des goldenen Zeitalters des Motorrads versuchte der | |
US-amerikanische Fotograf Danny Lyon der Faszination beizukommen, indem er | |
selbst zwischen 1963 und 1967 einen Club begleitete, seine Mitglieder | |
fotografierte und interviewte. | |
Dass der daraus entstandene Bildband nun ausgerechnet Jeff Nichols als | |
Inspiration für einen Film diente, kann man getrost als eine glückliche | |
Fügung bezeichnen. Wie kaum ein anderer Filmemacher versteht er sich | |
darauf, durch das Einfangen kurzer Augenblicke und kleiner Interaktionen | |
zwischen seinen Figuren abseitige Mikrokosmen zum Leben zu erwecken und so | |
selbst für ein Publikum erfahrbar zu machen, das mit diesem noch nicht in | |
Berührung gekommen ist. | |
In „Mud“ etwa erzählt Jeff Nichols eine eigentümliche | |
Coming-of-Age-Geschichte um zwei 14-jährige Jungen, die im ärmlichen | |
Sumpfgebiet um den Mississippi groß werden und bei einem ihrer Streifzüge | |
auf den abgetakelten „Mud“ (Matthew McConaughey) treffen. Er ist vor der | |
Polizei auf eine kleine Insel geflohen, aber geradezu besessen vom Wunsch, | |
wieder mit seiner Kindheitsliebe Juniper (Reese Witherspoon) vereint zu | |
sein. | |
Während die Jungs zu den Übermittlern seiner Nachrichten werden, entspinnt | |
sich nicht nur eine intensive Studie über die außergewöhnlichen Charaktere | |
dieses unwahrscheinlichen Trios, sondern auch des Milieus, in dem es sich | |
bewegt. Durch seinen angestammten Kameramann Adam Stone wird die raue | |
Schönheit der Flusslandschaft zu einer eigenen Komponente darin erhoben, | |
ohne die sich die auratische Atmosphäre, die von diesem Film ausgeht, kaum | |
ähnlich eindrücklich entfalten könnte. | |
## Augenmerk auf Randfiguren | |
Dass es Jeff Nichols gelingt, diese besondere Herangehensweise auf | |
unterschiedliche Genres und Themen zu übertragen, beweist die ungewöhnliche | |
Vielfalt innerhalb seines Werks. Ebenso, dass sein filmisches Interesse | |
dabei immer ein ähnlich geartetes bleibt: Auch im [1][Katastrophenfilm | |
„Take Shelter“], dem [2][Sci-Fi-Drama „Midnight Special“] und dem zulet… | |
erschienenen [3][Biopic „Loving“] liegt sein Hauptaugenmerk auf | |
Randfiguren, die meist einem provinziell-prekären Umfeld entstammen und | |
erst durch die sorgsame Kontextualisierung mit diesem in ihrer Gänze zu | |
Menschen aus Fleisch und Blut werden. | |
Die Stärken dieses Stils kommen auch in „The Bikeriders“ zum Tragen, wenn | |
es um die Ergründung des besonderen Flairs des Motorradfahrens geht. Jeff | |
Nichols ersinnt einen fiktiven Plot, um von der Hochzeit der Vandals und | |
ihrem stetigen Verfall gegen Ende des Jahrzehnts zu erzählen, wenn sich | |
immer mehr junge Kriminelle oder abgekämpfte und drogenabhängige | |
Vietnamveteranen dem Club anschließen und ihn in eine gewaltvolle Gang | |
verwandeln. | |
Dafür greift er teils auf reale Figuren aus der Vorlage zurück. Hausfrau | |
Kathy (Jodie Comer) etwa dient als rahmensetzende Erzählerin, die eher | |
zufällig in diese testosteronlastige Welt vordringt. Als sie eine Freundin | |
unwissentlich in besagter Stammkneipe der Biker trifft, ist sie zunächst | |
von ihrer Rohheit abgestoßen, empört über die fehlenden Manieren – aber | |
auch unweigerlich angezogen vom ungeschliffenen Charme des jungen Benny | |
(Austin Butler). | |
Es dauerte, so berichtet Kathy es dem Fotografen Danny (Maik Faist), keine | |
fünf Wochen, ehe sie heirateten. Dass das Publikum an ihrer Seite in das | |
Geschehen eingeführt wird, erweist sich als kluger Kniff: Mit ihr tritt es | |
zunächst mit großer Skepsis in diesen Mikrokosmos, wird mit dem Gehabe um | |
Hierarchie und Geschlossenheit konfrontiert, und beginnt doch allmählich | |
seinen Reiz zu verstehen. | |
## Zunächst noch konsensuelle Schlägereien | |
Wie in seinen vorangegangenen Filmen lässt Jeff Nichols durch das | |
Zusammenfügen einzelner Momente, die die Männer als die schrägen | |
Außenseiter zeigen, die sie im Grunde sind, ein plastisches Porträt ihres | |
Zusammenlebens entstehen. An den Wochenenden fahren sie zu Picknicks, wo | |
sie in (zunächst noch konsensuelle) Schlägereien geraten, oder zum Campen, | |
wo sie sich um das Lagerfeuer versammelt bisweilen doch persönliche | |
Geschichten erzählen. | |
Zumeist aber überlässt der Filmemacher der Kamera selbst das Sprechen. | |
Immer wieder konzentriert sich Adam Stone dabei auf die chromlastigen | |
Chopper mit ausladenden Lenkstangen, breiten Ledersitzen und Fußrasten, die | |
vor der Kulisse der leblos-leeren Vorstädte wie rare Kostbarkeiten, sogar | |
als Ausdruck einer individuellen Persönlichkeit wirken; oder auf die | |
Bikerkluft, die insbesondere der Club-Chef Johnny (Tom Hardy) mit größtem | |
Stilbewusstsein aufträgt. So lange, bis man meint, ein Gefühl für das große | |
Mysterium bekommen zu haben. | |
Worauf es ankommt, ist weniger, was die Männer tun. Sondern vielmehr das, | |
was sie dabei sind. Und das, so führt Jeff Nichols in einer kurzen, aber | |
wirkungsvollen Szene vor, hat wiederum viel mit dem zu tun, was sie im | |
Augenblick, in dem sie als motorradfahrende Club-Mitglieder auftreten, | |
nicht sind: Johnny, der bis zu diesem Punkt nur als respektierter Anführer | |
zu sehen war, verlässt an einem Morgen sein kleinbürgerliches Häuschen und | |
trägt dabei ein einfaches kariertes Hemd, das ihn plötzlich so viel | |
schmächtiger wirken lässt. | |
Nach einem kurzen Wortwechsel über zu erledigende Lebensmitteleinkäufe mit | |
seiner lethargisch vor dem Fernseher weilenden Ehefrau macht er sich auf | |
zur Arbeit, als Lkw-Fahrer. | |
„The Bikeriders“ erweist sich so vor allem als pittoreske Studie über das | |
Aufbegehren gegen bürgerliche Enge und die diffuse Sehnsucht nach Freiheit. | |
Mit nostalgischem Blick macht Jeff Nichols das besondere Flair einer Welt | |
spürbar, die es so nicht mehr gibt, und eine Faszination erfahrbar, die | |
doch bis heute überdauert – ohne sie in ein rationales Schema zu pressen. | |
Denn wie das mit Faszinationen nun einmal ist: Man darf sie nicht bis zur | |
Reizlosigkeit ergründen, möchte man sie sich erhalten. Insbesondere wenn | |
das, was sie ausmacht, in erster Linie ein Lebensgefühl ist, das wohl | |
zuerst von seiner Irrationalität lebt. | |
19 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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