# taz.de -- Film über die erste „Mischehe“ in den USA: Gegen alle Widerst�… | |
> „Loving“ erzählt die Geschichte der Ehe von Mildred und Richard Loving. | |
> Ein Film über Rassismus in den USA der 50er und die Schönheit der Liebe. | |
Bild: Mildred und Richard Loving (Ruth Negga und Joel Edgerton) streiten vor Ge… | |
Seit jeher ist die Familie quer durch alle Genres Dreh- und Angelpunkt | |
amerikanischer Kinoerzählungen. Der Actionfilm vermag so manche Ehe zu | |
beleben, schüchterne Väter können im Kriegs- und Heldenfilm über sich | |
hinauswachsen, derweil arbeitet sich das gehobene Arthouse-Kino | |
gewissenhaft an Familienneurosen ab. | |
Über all diesen Familien- und anderen Katastrophenfilmen schwebt letztlich | |
der biedere Geist der TV-Serie „Die Waltons“ (1971–1982). Am Ende jeder | |
Folge verteilte sich das Ehepaar mitsamt seiner braven Kinderschar nach | |
getaner Arbeit auf den Betten der adretten Farm. Gute Nacht. Licht aus. | |
Auch Jeff Nichols, ein Regisseur mit Independent-Wurzeln, dreht seine | |
Genrefilme stets mit Kind und Kegel. Doch meint man bei ihm mit am Tisch zu | |
sitzen, so überraschend nah kommt man den einzelnen Mitgliedern dieser | |
kleinsten Einheit einer Gesellschaft. In seinem Regiedebüt „Shotgun | |
Stories“ (2007) folgt er mehreren Halbbrüdern, die im Süden der Vereinigten | |
Staaten mehr mit Überleben als mit Leben beschäftigt sind. Angeschlagen von | |
einer vater- und lieblosen Kindheit, haben sie sich hinter grobschlächtigen | |
Fassaden verbarrikadiert. | |
## Archaische Gefühlswelt | |
Aus nächster Nähe, doch ohne den Männer zu nahezutreten, beobachtet die | |
Kamera, wie verdrängte Verletzungen in immer heftigere Gewaltausbrüche | |
münden. Plötzlich findet man sich auch als Zuschauer in einer Spirale der | |
Aggressionen wieder – und in der archaischen Gefühlswelt der amerikanischen | |
Provinz. | |
In „Take Shelter“ (2011) wird man wiederum mit einer seltsamen Form von | |
Paranoia konfrontiert. Während sich die Wolken zuziehen, der Himmel von | |
Szene zu Szene dunkler wird, driftet ein Familienvater in einen | |
allumfassenden Verfolgungswahn. Ein Schutzbunker muss gebaut werden. | |
Ohnmächtig schaut seine Frau dabei zu, wie unbegründete Ängste die | |
Katastrophe geradezu heraufbeschwören und ein scheinbar solides | |
Familiengefüge wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen. | |
Auch Jeff Nichols’ neuer Film, „Loving“, handelt von einer Familie. Für … | |
wahre Geschichte von Richard und Mildred Loving wählt er die Form des | |
klassischen Melodramas der fünfziger Jahre. Die Lovings, sie schwarz, er | |
weiß, gehen für ihre Liebe bis zum Bundesgerichtshof und erkämpfen die | |
Aufhebung eines 1924 in Virginia erlassenes Gesetzes, das „Mischehen“ | |
verbietet. | |
Wieder siedelt Nichols seinen Film in der Provinz an, wieder dient ihm eine | |
Familie als Medium. Hier, um ein Kapitel der amerikanischen | |
Rassismusgeschichte zu vergegenwärtigen. Damit sie überhaupt heiraten | |
können, müssen Richard (Joel Edgerton) und seine schwangere Freundin | |
Mildred (Ruth Negga) Ende der fünfziger Jahre nach Washington, D.C., | |
reisen. | |
Zurück in ihrem Heimatort Richmond, werden sie vom Sheriff darauf | |
aufmerksam gemacht, dass ihre Ehe in Virginia nicht rechtsgültig sei, dass | |
sie sich sogar strafbar machen, wenn sie unter einem Dach zusammenleben. | |
Nichols belässt es dabei, die Anfeindungen zu zeigen, den Rassismus im | |
Alltag zu dokumentieren. Ganz bewusst verzichtet er auf die Ausschreitung, | |
den Übergriff. Auch dramaturgisch unterläuft er die Erwartungen des Genres. | |
Immer wieder gibt es Situationen, in denen man geradezu damit rechnet, dass | |
die feindseligen Blicke der Nachbarn in Faustschläge übergehen. Schon malt | |
man sich aus, dass das Ehepaar in seinem abgelegen Haus von | |
Klu-Klux-Klan-ähnlichen Banden überfallen wird. | |
Doch Nichols verweigert die Schauwerte solcher Szenen genauso wie ein | |
simples Gut-und-böse-Schema. Dafür konfrontiert er den Zuschauer mit der | |
Macht und der Schönheit einer Liebe, die in aller Selbstverständlichkeit | |
ihre Existenz behauptet und keiner expliziten Bekundungen bedarf. Beiläufig | |
registriert Nichols die Zeichen und Gesten der Zuneigung. Zwei, drei Blicke | |
zwischen Tür und Angel. Eine zärtliche Umarmung. Ein inniger Kuss im | |
Bildrand. Ohne dass ihr geliebter Mann sich zurückgesetzt fühlen muss, | |
übernimmt die redegewandtere Mildred bei den Gesprächen mit den Anwälten | |
und später auch mit den Journalisten das Wort. | |
## Ein etwas anderer Familienfilm | |
Die gediegene Kameraführung, die gefühlsduselige Musik und der seltsam | |
behäbige Schnitt mögen einen allzu gefälligen erzählerischen Rhythmus | |
vorgeben – „Loving“ ist dennoch ein etwas anderer amerikanischer | |
Familienfilm. Die Geschichte des Ehepaars ist bewegend und bewegt, weil ihr | |
Regisseur bekannte Motive und Ikonografien neu auflädt. | |
Seine tiefen Gefühle für seine Frau Mildred drückt Richard aus, indem er | |
ein Haus für sie und die zukünftigen gemeinsamen Kinder baut. Dieser Mann | |
tut also das, was amerikanische Siedler schon vor Hunderten von Jahren für | |
ihre Familien getan haben. Doch der geradezu mythische Akt ist hier auch | |
ein politischer. Stein für Stein scheint Richard Loving erst ein | |
Bewusstsein dafür zu bekommen, dass seine Frau schwarz ist und seine Liebe | |
somit illegal. Umso unbeirrter rührt er weiter den Mörtel an. | |
15 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
USA | |
Liebe | |
Segregation | |
Black Lives Matter | |
Horrorfilm | |
Afro-Punk | |
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