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# taz.de -- Auf gewalttätige Sprache folgt Gewalt: „Rechte haben eine Deutun…
> Daniel Trepsdorf leitet ein Demokratiezentrum in Westmecklenburg. Der
> rassistisch motivierte Angriff auf zwei Mädchen aus Ghana verwundert ihn
> nicht.
Bild: Strukturell degradierte Regionen: Mit Schirm auf einer Demo in Grevesmüh…
taz: Herr Trepsdorf, am Freitag wurden zwei ghanaische Mädchen und ihr
Vater in Grevesmühlen von Jugendlichen [1][aus rassistischen Motiven
angegriffen]. Ist das ein neues Niveau der Gewalt?
Daniel Trepsdorf: Unsere Beratungsorganisation, das Demokratiezentrum
Westmecklenburg, ist viel in Verwaltungen, Vereinen und Schulen unterwegs.
Dort haben wir in den letzten fünf Jahren sowohl qualitativ als auch
quantitativ eine gesteigerte gewaltaffine Sprache wahrgenommen,
insbesondere in sozialen Netzwerken. Gerade in Chat-Gruppen von Klassen
etwa, also von Jugendlichen und damit der Tätergruppe, bemerken wir eine
Verrohung und Enthemmung des Sprachgebrauchs. Erst verändert sich die
Sprache der Menschen, dann das Denken und zuletzt eben auch das Handeln.
Was in Grevesmühlen zutage getreten ist, ist nur die Spitze des Eisbergs.
Welche Gestalt hat dieser veränderte Sprachgebrauch?
Wir beobachten eine Enthemmung in Sachen [2][Rassismus], gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit, Abwertung vulnerabler Gruppen. Gerade in der
Jugendkultur scheint da ein Zivilisationsbruch stattzufinden.
Woher kommt diese Entwicklung?
Wir müssen uns da insbesondere auch das Auftreten der [3][AfD] und anderer
rechter Akteure anschauen. Dort wird immer ein klares Feindbild
konstruiert. Es gibt eine Schuldzuweisung, Minderheitsgruppen werden
diffamiert, um die eigene Gruppe aufzuwerten. Dazu gehören biologistische,
nationalistische und rassistische Konnotationen. Sie sind schuld und wir
sind die Guten.
Und diese Narrative bleiben bei Jugendlichen verstärkt hängen?
Das funktioniert besonders, wenn Kinder und Jugendliche nicht genug
sensibilisiert sind, in der Schule etwa auch die Werteerziehung zu kurz
kommt. Demokratie muss man lernen, wie der kürzlich verstorbene Soziologe
Oskar Negt stets betonte. Dazu gehört auch auch das Einüben einer
kommunikativen und empathischen Praxis. Wie wollen wir miteinander umgehen?
Das muss erprobt werden. Wenn das in der Schule nicht passiert und der
elterliche Küchentisch als Instanz zur Sozialisation auch noch ausfällt,
ist gewalttätiger Kommunikation und gewalttätigen Übergriffen Tür und Tor
geöffnet.
Bei der Kreistagswahl am vorvergangenen Wochenende wurde die AfD in
Nordwestmecklenburg mit 25,4 Prozent stärkste Kraft.
Wenn wir nach der [4][Wahl] auf die Deutschlandkarte gucken, ist der Osten
wieder sehr blau/braun geworden. Wir müssen aber auch den grundsätzlichen
Diskurs weiterführen, dass seit der Wende dort etwa Biografien entwertet
wurden. Heute schlägt der demographische Wandel besonders durch, viele
Menschen wandern ab. Ländliche Räume wie Nordwestmecklenburg sind
sozio-ökonomisch strukturell degradierte Regionen.
Wir müssen die politische Situation dort also kontextualisieren?
Ja. Die Menschen nehmen von Kindesbeinen an ein Gefühl des Abgehängtseins
mit. Nach wie vor bilden wir den Lohnkeller der Republik. Circa 75.000
Rentner*innen in Mecklenburg-Vorpommern, die ihr ganzes Leben gearbeitet
haben, bekommen weniger als 1.000 Euro Rente. Das erzeugt Frustration. Da
fehlt es auch an einem Konzept zur Entwicklung des ländlichen Raums. Und
wer bleibt zurück? Das sind vor allem völkische und ultranationalistische
Gruppen. Sie füllen den Leerraum, der sich politisch ergibt.
In Nordwestmecklenburg sind rechte Akteur*innen gut vernetzt. Das
[5][Thinghaus in Grevesmühlen] etwa war lange ein Zentrum nationalistischer
Gruppen in Norddeutschland.
Die Region Westmecklenburg war nach der Wende immer ein Laboratorium für
rechtsextremistische und völkische Kräfte, die vielfach auch aus dem Westen
gekommen sind. Die Lebenshaltungskosten waren niedrig, man konnte günstig
Wohnraum erwerben, Netzwerkaktivitäten waren stark ausgeprägt.
Welche Ziele verfolgen sie dort?
Rechte prägen in den Gemeinden den Diskurs, haben eine Deutungshoheit. Die
ländliche Gesellschaft ist sehr viel homogener und kommt mit weniger
Widerspruch aus. Es geht Rechtsextremist*innen nicht darum, die
absolute Mehrheit zu gewinnen, sondern um die Deutungshoheit. Das ist
etwas, was zum Beispiel ein Sven Krüger par excellence betreibt.
Sven Krüger ist ein bekannter Neonazi aus dem nahegelegen Jamel, der
kürzlich bei der Gemeinderatswahl in Gägelow die meisten Stimmen aller
Kandidat*innen holte.
Er und andere Akteur*innen bringen genau diese Agenda nach vorne. Klare
Feindbilder, anschlussfähig sein bis in die Mitte der Bevölkerung und auch
Lügen und Halbwahrheiten zu verbreiten, insbesondere beim Thema Flucht und
Asyl, wo sie permanent mit der Angst spielen. Das verfängt gerade im
ländlichen Raum, insbesondere wenn Menschen betroffen sind. Das hat sich
etwa gezeigt in der Auseinandersetzung in [6][Upahl].
2023 wurde in dem 500-Einwohner-Ort gegen eine Unterkunft für bis zu 400
Geflüchtete protestiert.
Vor Kurzem ist dort etwa ein Fernfahrer an einer Tankstelle mutmaßlich an
einer Herzattacke gestorben. Sofort machte sich das Gerücht breit, ein
Geflüchteter hätte ihn umgebracht. Es werden gesellschaftliche Gruppen
gegeneinander ausgespielt und ein Keil in die Dorfgemeinschaften getrieben.
Gibt es dort trotzdem Menschen, die sich diesen Entwicklungen
entgegenstellen?
Die gibt es, von der jungen Generation und auch aus der Mitte der
Gesellschaft. Es ist wichtig, dass es Bündnisaktivitäten gibt, dass
Menschen sich zusammenfinden. Diesen aktiven Teilen der Zivilgesellschaft
muss auch eine Wertschätzungskultur entgegengebracht werden. Auch in
Grevesmühlen oder Upahl haben Sportvereine oder Feuerwehr mit einem
demokratischen, menschenrechtsorientierten Bekenntnis von sich reden
gemacht. Die meisten Bewohner*innen in Grevesmühlen reagierten
betroffen auf den Angriff am vergangenen Wochenende.
Wie steht es also um das demokratische Miteinander?
Die Kapillargefäße des demokratischen Miteinanders im ländlichen Raum sind
noch nicht verstopft, aber sie müssen durch gute Rahmenbedingungen
offengehalten werden. Sonst droht mit Blick auf Hass und Hetze der Infarkt.
Rechtsextremismus und Menschenverachtung haben Ursachen. Niemand wird als
Rechtsextremist geboren. Jetzt müssen wir uns kritisch angucken, an welchen
gesellschaftlichen Stellschrauben wir nachjustieren müssen. Und das müssen
wir konsequent tun. Wenn wir es vernachlässigen, dann werden aus
jugendlichen Gewalttätern die rechtsextremen Terroristen von morgen.
Update: Am 17. Juni hat die Polizei Rostock ihre Angaben zu dem mutmaßlich
rassistischen Angriff teilweise revidiert. Nach der Auswertung von
Hinweisen Anwohnender stelle sich der Sachverhalt inzwischen anders dar, so
die Polizei. Demnach soll das achtjährige Mädchen keine, wie zuvor
angegebene, körperliche Verletzungen erlitten haben, die auf die zuvor
geschilderte Tathandlung hindeuteten. Weitere Angaben zum Tathergang und
die Verletzungen des Vaters der Kinder wurden nicht revidiert.
18 Jun 2024
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## AUTOREN
Jonas Kähler
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