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# taz.de -- Kunstbiennale Mardin in der Türkei: Exotisches Spektakel, wenig Ko…
> Die Kunstbiennale in der 3.000 Jahre alten südostanatolischen Stadt
> Mardin hat ihre kritischen Anfänge hinter sich gelassen. Es ist die 6.
> Ausgabe.
Bild: Alman Karargah, das alte Deutsche Hauptquartier, ist einer der Spielorte …
Brennende Wälder, rot verfärbte Flüsse, Polareis an der Arktis, das durch
Flammensäulen aufzubrechen beginnt. In Laurent Grassos Film „Artificialis“
verschwimmen die Grenzen zwischen der realen und der fiktiven Welt,
[1][zwischen zerstörter und imaginierter Landschaft.] Wahrscheinlich könnte
es keinen besseren Platz geben, um das berückend-bedrückende Szenario einer
postanthropozänen Welt aufzurufen als die verwitterte Ruine des alten
Kameldepots Develihan im 3.000 Jahre alten südostanatolischen Mardin. Der
kommende Verfall wird hier gleichsam sinnfällig.
„Further away“ – für eine klitzekleine Biennale wie die von Mardin, in d…
die elegische, knapp halbstündige Arbeit des französischen Konzeptkünstlers
zu sehen ist, mag deren Motto vermessen klingen. Kurator Ali Akay,
Soziologieprofessor an der Istanbuler Kunstuniversität Mimar Sinan, geht
es um nichts weniger als die Frage, welche Schritte nach vorne die
Menschheit gehen kann, um die globalen Bedrohungen abzuwenden.
Wer auf die bröckelnde Terrasse des Develihan tritt und den Blick über die
ockerfarbene Altstadt nach Süden schweifen lässt, wird in den Bann einer
mythischen Landschaft gezogen. Davor, in der sattgrünen Tiefebene
[2][Mesopotamiens, begann das Abenteuer Menschheit]. Lassen sich im
Angesicht dieses Urgrundes Auswege aus den zivilisatorischen Dilemmata von
heute finden?
## Zu wenig Thema
Liebhaber der Kunst als besserer Politik werden in der 6. Ausgabe der von
Döne Otyman, der Tochter des türkischen Künstlers Fikret Otyam, 2010 zum
ersten Mal veranstalteten Biennale allerdings nicht recht fündig. Es sei
denn, man betrachtet den weltweiten Saatgut-Tresor im norwegischen
Spitzbergen, den Künstler Ali Kazma in seinem Film „Safe“ dokumentiert, als
postanthropozäne Überlebenshoffnung.
Kurator Akay verlässt sich für das Experimentalformat Biennale zu sehr auf
bekannte Namen wie den Schweizer [3][Konzeptkünstler Ugo Rondinone] oder
den [4][türkisch-armenischen Altmeister Sarkis]. Für eine Biennale in
Sichtweite der syrischen Grenze, mitten im kurdischen Teil der Türkei,
mutet es aber seltsam an, dass sie aktuelle Konflikte wie den Krieg in Gaza
oder die ewig schwelende „kurdische Frage“ nicht einmal am Rande
thematisiert.
Nur in Nasan Turs „Shades of Mardin“, einem gelben Teppich, auf den der
Berliner Künstler mythologische Symbole der Region wie Narben eingebrannt
hat, scheint etwas von den Verheerungen auf, denen der Südosten der Türkei
seit Jahrzehnten ausgesetzt ist.
## Nur in Türkisch und Englisch
Unmut erregte in diesem Jahr, dass die Organisatoren in dem
multikulturellen Mardin die Biennale nur in Türkisch und Englisch
kommunizierten und nicht auch auf Arabisch, Kurdisch oder Armenisch. Mit
dieser Ignoranz gegenüber dem politischen und kulturellen Kontext bekam die
Biennale etwas von einer kolonialen Geste ortsferner Weißtürken, für die
der kurdische [5][Künstler-Star Halil Altındere das passende Bild] gefunden
hatte: In einer Sonderausstellung im Sakıp-Sabancı-Museum der Stadt lässt
er in seiner neuen Video-Arbeit „Star Wars in Mardin“ Darth Vader und Luke
Skywalker durch die Historienkulisse fliegen.
Die Biennale in Mardin ist seit ihrem Beginn vor 14 Jahren ein markantes
Beispiel zivilgesellschaftlicher Selbstbehauptung an der türkischen
Peripherie gegen einen Staat, der das kritische Potenzial der Kunst mit
äußerstem Misstrauen beäugt. Ihre jetzige Entwicklung steht exemplarisch
für viele, aus kritischen Anfängen geborene Biennalen. Irgendwann
überdecken Tourismus und der Mythos des Ortes alles. Unter dem Slogan „die
Magie Mardins“ mutiert die Biennale zu einem exotischen Spektakel in einem
Gebiet des permanenten Ausnahmezustands. Auch die romantische Ruine des
Develihan soll demnächst in ein Boutique-Hotel verwandelt werden.
3 Jun 2024
## LINKS
[1] /Ausstellung-mit-Videokunst-in-der-Schirn/!5972695
[2] /Geschichte-der-Staatengruendung/!5973781
[3] /Gelungene-Hommage-im-Palais-de-Tokyo/!5256210
[4] /Sarkis-stellt-in-Baden-Baden-aus/!5966779
[5] /Videokunst-von-Halil-Altindere-in-Berlin/!5336190
## AUTOREN
Ingo Arend
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