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# taz.de -- Sexualität als Thema der Pflege: „Wahnsinnig tabuisiert“
> Hannah Burgmeier hat in Bremen einen Pflegedienst gegründet, bei dem
> neben der herkömmlichen Pflege Zeit für Gespräche über Sexualität bleibt.
Bild: Integriert das Thema Sexualität in die Pflege: Hannah Burgmeier
Wenn man Hannah Burgmeier fragt, wie sie zu der Idee kam, einen
Pflegedienst zu gründen, der der Sexualität der Patient:innen Raum
gibt, guckt sie zurück: das Thema ist ihr zum ersten Mal auf die Füße
gefallen, als sie mit Jugendlichen im Kinderhospiz gearbeitet hat.
Viele Kinder, die sie lange bei lebensverkürzenden Krankheiten begleitet
hatte, wurden älter, pubertierend und zu jungen Erwachsenen. Die
Erkrankungen standen immer im Vordergrund, während das Thema Sexualität
„wahnsinnig tabuisiert war“, so hat es Burgmeier erlebt. Ihr sei es
allerdings wichtig gewesen, den jungen Menschen eine gute Zeit zu bereiten,
dazu gehöre es eben auch, über Sexualität zu sprechen und Möglichkeiten zu
eröffnen, dass Menschen diese selbstbestimmt leben können.
Hannah Burgmeier absolvierte daraufhin ihren Master in Sexualwisssenschaft
in Hamburg. Auch hier wurde ihr schnell klar: Sexualität in der Pflege und
im Gesundheitswesen ist ein Thema, über das wenig gesprochen, geforscht und
mit dem erst recht nicht gearbeitet wird. Im Austausch mit ihrer Frau,
Judith Burgmeier, die als Altenpflegerin arbeitete, stellt sie fest: in den
Altenheimen ist Sexualität eine große Leerstelle, als gäbe es für sexuelles
Begehren ein Ablaufdatum. Dabei, so sagt Burgmeier, bleibt das Thema ein
essentieller Teil von menschlicher Persönlichkeit.
„Ich möchte nicht gerne in diesem Gesundheitssystem alt werden“, sagt die
30-Jährige mit Nachdruck. Anfang des Jahres hat sie mit ihrer Frau in
Bremen den [1][Pflegedienst „Vielfältig“] gegründet, der es anders machen
soll: ein Angebot für alle, das Raum für Sexualität und sexuelle Vielfalt
im Alter schafft. Ihr Plan ist es, die Pflege für Menschen aller
Altersgruppen anzubieten. Noch kommen Anfragen vor allem von älteren
Patient:innen. Burgmeier vermutet, dass es daran liegt, dass die Jüngeren
seltener eine Pflegestufe haben, über die sie Anspruch auf eine
Kostenübernahme geltend machen können.
## Sensibilisierung im Gesundheitswesen
Neben herkömmlicher pflegerischer Versorgung soll bei Vielfältig Zeit für
Gespräche über [2][Sexualität] und [3][sexuelle Identität] bleiben. Das sei
gerade bei der ambulanten Pflege wichtig, die in der intimen Privatsphäre
von Menschen zu Hause stattfindet. Je nach Bedarf können Pflegebedürftige
oder ihre Angehörigen zusätzlich Beziehungs- und Sexualberatungen bekommen,
die privat gezahlt werden.
Burgmeier sieht Vielfältig als Experimentierfeld an, um ihre Mission, die
Sensibilisierung im Gesundheitswesen mit ihren Erfahrungen und
Best-Practice-Beispielen nach vorne zu treiben. Auch mit Blick auf den
gesellschaftlichen [4][Rechtsruck] sagt sie: „Ich habe das Gefühl, wir sind
genau zur richtigen Zeit da.“
Neben der praktischen Arbeit vor Ort will Hannah Burgmeier auch bei anderen
Veränderungen anstoßen. Sie organisiert bundesweit Workshops für
Einrichtungen, um auf Alltagsdiskriminierungen auch außerhalb von
Sexualität im hierarchisch geprägten Gesundheitssystem aufmerksam zu
machen. „In medizinischen Berufen entsteht schnell ein klassisches
Rollenbild“, sagt sie: „Oft führen Frauen die praktische Pflege aus,
während Männer in hierarchisch höheren Positionen Anweisungen geben.“
Ehrenamtlich ist sie noch als Vorständin im [5][Rat & Tat Zentrum für
queeres Leben] in Bremen aktiv. Und wenn dann noch Zeit übrig ist, klettert
sie bei ihrer Herkunftsfamilie in ihrer süddeutschen Heimat, um den Kopf
auszulüften.
11 Jun 2024
## LINKS
[1] https://vielfaeltig-bremen.de/
[2] /Sexualitaet/!t5012864
[3] /Sexuelle-Identitaet/!t5011020
[4] /Rechtsruck/!t5021689
[5] https://www.ratundtat-bremen.de/
## AUTOREN
Lilli Uhrmacher
## TAGS
Pflege
Bremen
Sexualität
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Altern
Gesundheitswesen
Social-Auswahl
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Alten- und Pflegeheime
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