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# taz.de -- Frankreich vor Neuwahlen: Linke rauft sich zusammen
> Angst vor einem Durchmarsch der extremen Rechten bei den Parlamentswahlen
> lässt linke politische Kräfte zusammenrücken. Inhaltliche Differenzen
> bleiben.
Bild: Muss jetzt die eigene Basis mobilisieren: der Spitzenkandidat der Soziali…
Paris taz | „Wir haben einen Verrückten an der Staatsspitze“, meinte am
Sonntagabend der Abgeordnete François Ruffin von der Linkspartei La France
insoumise (LFI). Er war nicht der Einzige, der so dachte, als
Staatspräsident Emmanuel Macron [1][die Auflösung der Nationalversammlung
und die Neuwahl der Abgeordneten für den 30. Juni und 7. Juli ankündigte].
Auch im Lager der Macronisten herrschte Ratlosigkeit. Ausgerechnet ihr
Präsident, der doch immer wieder versichert hatte, er wolle die extreme
Rechte bekämpfen, soll als Steigbügelhalter in die Geschichte eingehen,
weil er der Le-Pen-Partei die institutionelle Macht der Republik ausliefern
will.
Selbst unter den Macron-Fans war es schwer, Leute zu finden, die die
Reaktion des Präsidenten begrüßen oder gar als einen genialen Schachzug
interpretieren möchten. Sie erwarteten eine Rechtfertigung bei einer
zunächst für Dienstagnachmittag angesetzten Pressekonferenz. Doch Macron
blieb ihnen vorerst eine Erklärung schuldig und verschob den Medientermin
auf den Mittwoch.
Zwei Tage nach dem Schock, den die Ankündigung des Präsidenten ausgelöst
hatte, herrschten in allen politischen Lagern sowie weiten Teilen der
Bevölkerung ebenfalls Verwirrung und Verunsicherung. Sogar [2][beim
rechtsextremen Rassemblement National (RN), der mit ihrem Spitzenmann
Jordan Bardella bei den Wahlen zum EU-Parlament einen historischen Sieg
errungen hat], sehen manche Anhänger*innen nach der anfänglichen
Begeisterung einen möglichen Grund zu Misstrauen. Kann es wirklich mit
rechten Dingen zugehen, dass Macron seine von ihrem Wahlsieg am Sonntag
beflügelten Erzfeinde nun auch im nationalen Parlament einfach durchwinken
will?
## Keine Gegenkandidaten
Bardella meint, dass er trotz des Triumphs bei der EU-Wahl am 9. Juni (31,4
Prozent für seine Liste) Verbündete brauchen könnte, um am 7. Juli eine
Mehrheit zu erringen und dann selber Premierminister der neuen Regierung zu
werden. Er wandte sich am Montag daher an Eric Ciotti, den Chef der
konservativen Partei Les Républicains (LR), mit seiner Offerte: Er sei
bereit, eine gewisse Anzahl von LR-Kandidaten im ersten Durchgang zu
unterstützen und ihre Wahl zu sichern, indem der RN in ihren Wahlkreisen
keine Gegenkandidaten aufstelle.
LR solle nicht länger den Macronisten als „Krücke“ dienen, sagte Bardella
in spöttischer Anspielung auf die Tatsache, dass Macrons Regierung, die
über keine absolute Mehrheit verfügt, in der Nationalversammlung oft auf
die Stimmen von LR-Abgeordneten angewiesen war. Dass Ciotti das Angebot für
eine Wahlabsprache oder gar eine regelrechte Allianz sowie eine spätere
Regierungszusammenarbeit nicht explizit abgelehnt hat, schockierte mehrere
prominente Parteikollegen, die umgehend eine Klarstellung verlangten.
Die noch vor zwei Tagen arg zerstrittene Linke will den Schock wegen der
angekündigten Neuwahlen in einen Elektroschock verwandeln, um die eigene
Basis zu mobilisieren. Diese hat freilich nicht erst auf die
Parteizentralen gewartet. In Paris, Toulouse, Nantes oder La Rochelle haben
tausende junge Leute auch am Montagabend wieder gegen die nach der Macht
greifende extreme Rechte und für eine Einheit der Linken demonstriert. Der
Abgeordnete François Ruffin hatte als Erster vorgeschlagen, nach dem
historischen Vorbild der 30er Jahre eine „Volksfront“ zu bilden.
In der Nacht auf den Dienstag machten die Sozialisten, Kommunisten, Grünen
und LFI einen ersten Schritt in diese Richtung einer erneuerten Einheit.
Grundsätzlich soll es in jedem der 577 Wahlkreise eine einzige und
gemeinsame Kandidatur geben.
## Programmatische Plattform
Eine zweite Etappe dieser Bündnispolitik stellen die laufenden Diskussionen
über eine programmatische Plattform dar, die gegebenenfalls die Grundlage
eines gemeinsamen Regierungsprogramms bilden könnte. Denn die vereinte
Linke rechnet sich (wenngleich auch nur geringe) Chancen aus, anstelle der
extremen Rechten eine Mehrheit erobern zu können.
Sobald es jedoch um ideologische und politische Gemeinsamkeiten geht,
brechen auch wieder Differenzen auf. Vor allem, was internationale Fragen
(Ukraine, Gaza/Israel) und die EU anbetrifft, aber auch zur Zukunft der
Atomenergie oder der militärischen Aufrüstung bestehen weiterhin große
Meinungsverschiedenheiten.
Raphaël Glucksmann, der Spitzenkandidat der Liste der Sozialisten und
seines eigenen Politklubs Place publique, hat seine Zustimmung von fünf
Bedingungen abhängig gemacht. Dazu gehört namentlich eine bedingungslose
Unterstützung der Ukraine.
Vor allem LFI war keineswegs begeistert von seinem Vorschlag, den früheren
CFDT-Gewerkschaftsboss Laurent Berger als parteiunabhängige und populäre,
aber Macron-kompatible Persönlichkeit als eventuellen Premierminister der
Linksunion vorzustellen. Am kommenden Wochenende organisieren die großen
Gewerkschaftszentralen mit Unterstützung der linken politischen
Organisationen eine Großkundgebung gegen eine Rechte, die diverse Rechte
der Arbeiterbewegung infrage stellen dürfte.
In der von Macron aufgelösten Nationalversammlung wurden laufende Debatten
abgebrochen. Die Gesetzesvorlage zur Legalisierung der Sterbehilfe, über
die am Dienstag abgestimmt werden sollte, wird damit auf unbestimmte Zeit
verschoben. Da sich die RN-Fraktion bisher dagegen ausgesprochen hatte,
könnte diese umstrittene, aber sehr wichtige Reform im Fall ihres Siegs bei
den Neuwahlen auf längere Zeit in der Schublade verschwinden.
11 Jun 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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