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# taz.de -- EZB senkt die Zinsen: Zu wenig Geld und noch zu teuer
> Die EZB will Geld billiger machen und senkt deshalb den Leitzins. Die
> kränkelnde deutsche Wirtschaft heilt das noch nicht.
Bild: EZB-Präsidentin Lagarde bei einer Pressekonferenz am 6. Juni in Frankfurt
Der Auftritt von Christine Lagarde diese Woche war reine Formsache. Die
Welt der Ökonom*innen und Finanzberichterstatter*innen erwartete
seit Wochen, was die Chefin der Europäischen Zentralbank gemeinsam mit
ihrem Stellvertreter endlich verkündete: [1][Die EZB senkt den Leitzins] um
0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent: Geld wird wieder billiger. [2][Die
Inflation ist gesunken], die „Zuversicht ist in den vergangenen Monaten
gestiegen“, begründete Lagarde die Entscheidung.
Ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung. Das muss die Zentralbank
wohl auch glauben. Sie kündigte die Zinswende ungewöhnlich offen bereits
Wochen vor der offiziellen Pressekonferenz in Frankfurt an. Die EZB steuert
die Geldpolitik im Euroraum. Ihr Ziel ist es, die Preise für zum Beispiel
Lebensmittel und Dienstleistungen in Euroländern stabil zu halten. Dafür
müssen die Preise nur langsam steigen, das ist der Fall bei einer
Inflationsrate von 2 Prozent.
Schaut man sich die vergangenen zwei Jahre an, war genau das Gegenteil der
Fall. Es klaffte eine große Lücke im Portemonnaie: Die Preise stiegen
aufgrund von hohen Energiepreisen in Folge des [3][russischen
Angriffskriegs gegen die Ukraine]. In Deutschland lagen die Inflationsrate
im Jahr 2023 bei 5,9 Prozent. Im Jahr zuvor lag sie 1 Prozentpunkt
darüber. Preisstabilität sieht anders aus. Die EZB wollte dem
entgegenwirken und erhöhte den Leitzins, nach langjährigem Nullzins – und
das insgesamt zehnmal.
Wer sich also Geld bei der EZB leiht, muss seit Herbst 2023 mindestens 4,5
Prozent draufzahlen. Betroffen davon sind im ersten Schritt die sogenannten
Geschäftsbanken, bei denen Kund*innen Kredite aufnehmen. Die Konditionen
der EZB geben die Banken an ihre Kund*innen weiter. Andersherum ist es
auch möglich, dass Geschäftsbanken Geld bei der EZB einlagern und dafür
Zinsen erhalten. Auch der sogenannte Einlagenzins sinkt um 0,25 Prozent.
## Keine Trendwende in Sicht
Hohe Zinsen sorgen dafür, dass sich sparen lohnt, Kredite teurer sind und
weniger investiert wird. Das dämpft die Wirtschaft und senkt die
Inflationsrate. Und genau aus diesem Grund waren die bisherigen
Zinsentscheidungen der Zentralbank auch völlig richtig: Die Inflationsrate
ist gesunken. Aber: Die wirtschaftliche Lage hat unter der Inflation
gelitten. Billigeres Geld soll nun dafür sorgen, dass wieder mehr
investiert und weniger gespart wird.
Für die Verbraucher*innen hat die Entscheidung der EZB schon Folgen
gehabt. In der Finanzwelt wird oftmals im Voraus gehandelt, die Erwartung
auf eine Zinssenkung hat dazu geführt, dass Geschäftsbanken die Zinsen für
Kredite bereits gesenkt haben. Für Leute, die Geld leihen müssen, eine gute
Nachricht, für Sparer weniger optimal. Auch die Immobilienkredite
reagierten bereits im Herbst 2023 auf mögliche Veränderungen des
Leitzinses und fielen um etwa 1 Prozentpunkt.
Eine Trendwende steht uns trotzdem nicht bevor: Auch ein Leitzins von 4,25
Prozent ist weiterhin hoch. Einige Ökonom*innen fordern weitere
Zinssenkungen um insgesamt 1 Prozent bis zum Jahresende. Doch selbst, wenn
die Forderung umgesetzt wird, bliebe die Geldpolitik restriktiv und wirkte
somit dämpfend auf die wirtschaftliche Lage. Wie wahrscheinlich weitere
Zinssenkungen sind, lässt Lagarde offen, man wolle sich nicht auf einen
bestimmten Zinspfad festlegen, sagte sie auf der Pressekonferenz.
Zuletzt bereiteten die weiterhin hohen Preise im Dienstleistungssektor
Ökonom*innen einige Kopfschmerzen. Dabei wären weitere Senkungen
besonders für Deutschland eine gute Nachricht. Ein konjunktureller
Aufschwung wäre hierzulande erfreulich. Zu dem weiterhin hohen Leitzins
kommt stattdessen außerdem die fehlende deutsche Einsicht, wie wichtig
staatliche Investitionen zu diesem Zeitpunkt wären.
## Inspiration für den Finanzminister
Finanzminister Christian Lindner hält weiterhin die Hand über dem Geld und
will ja [4][nicht die Schuldenbremse anfassen]. Das ist sehr bedauerlich,
denn die niedrigen Zinsen bedeuten auch, dass Deutschland weniger Geld für
seine Schulden zahlen muss. Bisher waren die zu hohen Zinsen ein Argument
für Lindners Untätigkeit. Die EZB löste sich mit ihrer Zinsentscheidung
erstmalig von der bisherigen Taktgeberin, der amerikanischen Zentralbank,
[5][Federal Reserve System], bekannt als Fed.
Da die wirtschaftliche Lage in den USA blumiger scheint als die europäische
– man war dort weniger abhängig von russischem Gas –, bleiben die Zinsen
hoch. Mit dem wünschenswerten Kurs der EZB, den Leitzins weiter zu senken,
würde man sich von der Fed abkoppeln. Das sollte Inspiration sein für
unseren Finanzminister, damit er sich mutig von seinen überholten
Prinzipien löst.
7 Jun 2024
## LINKS
[1] /Zinswende-im-Euroraum/!6012085
[2] /Inflation-in-Deutschland/!6005047
[3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[4] /Streit-um-Haushalt-in-der-Ampelkoalition/!6007640
[5] https://www.federalreservehistory.org/about-the-fed
## AUTOREN
Anastasia Zejneli
## TAGS
EZB
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