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# taz.de -- Graphic-Novel „Daidalos“: Im Labyrinth der Adoleszenz
> Charles Burns Graphic-Novel „Daidalos“ porträtiert zwei Teen-Filmfreaks
> in der Provinz. Die stilvollen Abgründe erinnern an Filme von David
> Lynch.
Bild: Pubertäres Gefühlswirrwarr, formvollendet und elegant gezeichnet: Szene…
Im Zimmer nebenan läuft die Party, aber Brian sitzt allein in der Küche,
einen Stift in der Hand, vor ihm ein Zeichenblock. Die verchromte
Seitenfläche eines Toasters, in der sich das Gesicht des jungen Manns
verzerrt widerspiegelt, dient ihm als Vorbild für ein Selbstporträt.
Das zeigt ihn als Zeichnenden, allerdings vor dem Hintergrund einer
Wüstenlandschaft, über deren Himmel quallenartige Wesen schweben. Und
anstelle von Brians Hals und Kopf wächst aus seinen Schultern hier eine Art
Strunk, auf dem eine rote, blau geäderte Masse aufliegt, die einem Gehirn
gleicht.
Ein anonymer US-Vorort, irgendwann in den 1970ern. Der verschlossene Brian
und sein Freund Jimmy sind Filmfreaks. Sie lieben nicht nur trashige
Horrorfilme, sondern haben schon als Zwölfjährige auf Super-8 selbst solche
gedreht, mit Titeln wie „The Claw“ und „The Creeping Flesh“.
## Uns ersetzen bald Außerirdische
Im fortgeschrittenen Teen-Alter wollen sie es nun nochmals versuchen, mit
einem Projekt, das stark von Don Siegels „Invasion of the Body Snatchers“
inspiriert ist. In diesem B-Movie-Klassiker aus dem Jahr 1956 ersetzen
Außerirdische nach und nach Menschen durch deren Doppelgänger, die
emotionslos und kollektivistisch agieren.
Eine tragende Rolle in dem freien Remake, das nun entstehen soll, spielt
die schöne, rothaarige Laurie, zu der Brian sich seit ihrer ersten
Begegnung sehr hingezogen fühlt.
Der Comic „Daidalos“ lässt einen bei der Lektüre immer wieder [1][an Filme
von David Lynch denken, speziell an „Blue Velvet“ und „Lost Highway“]. …
eine außerordentlich beklemmende Atmosphäre zu erzeugen, [2][benötigt
US-Autor und Zeichner Charles Burns] aber weder plötzliche Gewaltausbrüche
noch das Walten übernatürlicher Kräfte – ihm genügt die Schilderung des
ganz normalen Wahnsinns von Adoleszenz, mit all ihren Wünschen und Ängsten,
mit ihren Gefühlen der Unsicherheit und Desorientierung.
## Erdnussbutter im Gesicht
Die Sexualsymbole, die „Daidalos“ durchziehen, machen die zentrale
Bedeutung von Brians unerfülltem Begehren klar: Ein Fisch, der an einer
Angelschnur zappelt, gleicht einem Penis, sein aufgeschnittener Leib einer
Vulva, und wenn Brian einen Fleck Erdnussbutter aus Lauries Gesicht wischt,
ist es unmöglich, nicht einen Spritzer Sperma zu assoziieren.
Der Daidalos der antiken Mythologie war nicht nur Vater des unglückseligen
Ikarus, sondern auch ein genialer Architekt, der für König Minos auf Kreta
das Labyrinth baute, in dem der Minotaurus hauste. Im Comic irren Brian und
Laurie in ihren Gefühlen wie in einem Labyrinth umher.
Labyrinthisch sind auch Brians Nacht- und Tagträume, in denen seine
alltäglichen Erfahrungen, das Filmprojekt und Erinnerungen an intensive
Kinoeindrücke – darunter [3][Peter Bogdanovichs] melancholisches
Provinzdrama „The Last Picture Show“ (1971) und der postapokalyptische
Sci-Fi-Film „The Last Man on Earth“ (1964) – sich zu einem surrealen Ganz…
verbinden.
## Drei Reihen, je zwei Panels
Der Seitenaufbau, den Burns bevorzugt, ist einfach und klar, betont
unspektakulär: drei Reihen aus je zwei Panels oder drei sehr große,
horizontal angeordnete Panels. Dazu kommen mitunter ganzseitige Bilder.
Burns zieht feste Konturen, verzichtet oft auf Tiefe; Hintergründe lässt er
gerne schematisch.
In seiner dezidierten Beherrschtheit und seiner etwas steifen, dennoch
großen Eleganz steht dieser Stil in einem Kontrast zu der Weirdness, von
der Burns in allen seinen Comics erzählt. Die Welt dieses Zeichners ist
voller Abgründe, präsentiert sich aber auf eine fast altmeisterlich
manierliche Weise, die das Unheimliche gerade nicht abschwächt, sondern
enorm verstärkt.
14 Jun 2024
## LINKS
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[3] /Nachruf-auf-Peter-Bogdanovich/!5823811
## AUTOREN
Christoph Haas
## TAGS
Graphic Novel
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