# taz.de -- Filmfestspiele in Cannes: Was einen in der Stadt hält | |
> Cannes Cannes 10: Diskrete Einblicke in das Leben in Mumbai auf den | |
> Filmfestspielen. Und Ratlosigkeit im Wettbewerb. | |
Bild: Prabha (Kani Kusruti) aus „All We Imagine as Light“ | |
Dieses Jahr herrscht an der Croisette einige Ratlosigkeit über die | |
Aussichten auf die Goldene Palme. Zu den unter Kritikern beliebtesten | |
Filmen zählen die mit Ekelexzessen aufwartende [1][Horrorkomödie „The | |
Substance“ von Coralie Fargeat] einerseits und die fragmentiert erzählte | |
Reflexion über Kolonialismus „Grand Tour“ von Miguel Gomes andererseits. | |
Wo Fargeat mit grell ausgeleuchteter Künstlichkeit der Farben arbeitet, | |
schildert Gomes in Schwarz-Weiß und eher dezenten Farben die Stationen | |
eines britischen Kolonialbeamten, der im Jahr 1917 quer durch Asien reist, | |
von Burma etwa nach Japan oder nach China. Er ist auf der Flucht vor seiner | |
Verlobten, die ihm jedoch entschlossen hinterherreist. | |
Gomes erzählt in wechselnden Bildern, der Großteil sind gegenwärtige | |
Straßenszenen aus den einzelnen Ländern, von denen die Rede ist, sie | |
entstanden während einer Forschungsreise für den Film. Wahlweise in Farbe | |
oder Schwarz-Weiß gedreht, deutet der Kommentar aus dem Off durch das | |
Verwenden der jeweiligen Landessprache an, woher die Bilder stammen, oder | |
stammen sollen – vorausgesetzt, man erkennt die Sprache. | |
Dazwischen gibt es gespielte Szenen der Rahmenhandlung in Schwarz-Weiß, die | |
Darsteller, unter anderem Gonçalo Waddington als Kolonialbeamter Edward | |
und Crista Alfaiate als seine Verlobte Molly, sprechen ihre Parts auf | |
Portugiesisch. Auf der Tonebene zumindest ist damit auch die ehemalige | |
Kolonialmacht Portugal vertreten. | |
## Beliebig und zäh | |
Was sich womöglich wie ein interessanter Ansatz liest, erweist sich beim | |
Zusehen jedoch als vorwiegend zäh. Die im Einzelnen in ihrer beobachtenden | |
Nüchternheit durchaus reizvollen Szenen von Märkten mit auf dem Boden | |
präsentierter Ware oder vom Treiben in verschiedenen Großstädten wirken in | |
ihrer Aufeinanderfolge leicht beliebig. Die Szenen der Handlung hingegen | |
haben etwas unbeholfen Steifes, mutmaßliche Running Gags wie etwa das | |
amüsierte Prusten Mollys, wenn sie Neuigkeiten über ihren Verlobten | |
erfährt, gewinnen durch ihre Wiederholung nicht an Komik. | |
Eine weniger offensichtlich konstruierte Inszenierung wählt die Regisseurin | |
Payal Kapadia für ihren Wettbewerbsfilm „All We Imagine As Light“, ihren | |
zweiten langen Spielfilm bisher. Ihre Geschichte aus dem heutigen Mumbai | |
folgt drei Angestellten eines Krankenhauses, der Krankenschwester Prabha | |
(Kani Kusruti), ihrer jungen Kollegin Anu (Divya Prabha) und der Köchin | |
Parvaty (Chhaya Kadam). | |
Prabha teilt sich mit Anu eine Wohnung, die beiden Frauen stehen in ihrem | |
Leben an sehr unterschiedlichen Punkten. Während Prabhas Mann vor Jahren | |
zum Arbeiten nach Deutschland zog und der Kontakt zu ihm inzwischen | |
eingeschlafen ist, sucht Anu nach Wegen, ihren Freund unbemerkt zu treffen | |
und den Bestrebungen ihrer Eltern, ihr einen Ehepartner zu vermitteln, | |
auszuweichen. | |
Parvaty hingegen droht aus ihrer Wohnung zu fliegen, weil sie keinen | |
Mietvertrag hat und das Gebäude einem luxuriösen Neubau weichen soll. Für | |
sie stellt sich die Frage, ob sie nun in ihren Geburtsort zurückkehrt. | |
## Drei Schicksale miteinander verbunden | |
Kapadia verbindet die drei Schicksale mit gezielten Strichen, zeigt lieber | |
kurz, anstatt übermäßig auszuerzählen, etwa wenn es um die Frage sozialer | |
Unterschiede geht. Auch das Krankenhaus bekommt man bei Kapadia selten von | |
innen präsentiert. Der Ton ist stets höflich kontrolliert, wie auch die | |
Figuren ungeachtet ihrer unterschiedlichen Temperamente meistens die Ruhe | |
bewahren. | |
Ein paar dokumentarisch wirkende Szenen hat sie ebenfalls im Film | |
untergebracht, gleich zu Beginn und gegen Ende noch einmal, mit Stimmen aus | |
dem Off, die erzählen, was sie nach Mumbai geführt hat und was sie in | |
dieser Stadt hält. Sie fügen sich in den gleichmäßigen Fluss des | |
Geschehens. Am Schluss bricht Kapadia den Realismus ihrer Erzählung | |
unerwartet auf, auch das ziemlich ungezwungen. | |
Allemal einer der stärkeren Beiträge in diesem Wettbewerb. | |
24 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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