# taz.de -- Kahlschlag in Schwedens Wäldern: Bäume roden für den Versandhand… | |
> In Schweden werden alte Wälder für die Papierindustrie abgeholzt, | |
> Deutschland ist Großabnehmer. Ökosysteme gehen verloren, warnt | |
> Greenpeace. | |
Bild: Ein großer Teil Schwedens ist von Wald bedeckt, aber die gerodeten Fläc… | |
HÄRNÖSAND taz | Endlose Wälder, Ruhe, Einsamkeit, fantastische Tierwelten – | |
Schweden, der alte Sehnsuchtsort. Zu zwei Dritteln ist er von Wald bedeckt. | |
Aber: Schweden ist auch der Ort des Kahlschlags, also der radikalen Rodung | |
von Waldflächen. [1][Warnende und protestierende Stimmen sind schon länger | |
gut zu hören], noch ist keine Trendwende in Sicht. Der Kahlschlag trifft | |
auch die verbliebenen ursprünglichen Wälder. Noch machen sie 30 Prozent der | |
Waldfläche aus, aber die Holzindustrie ersetzt sie nach und nach durch | |
ökonomisch effektiveren Plantagenwald. Jetzt warnt die Umweltorganisation | |
Greenpeace: Auch Bäume aus alten Wäldern werden zu kurzlebigen Produkten | |
wie Kartons verarbeitet. So endet ihre wichtige Rolle als CO₂-Speicher sehr | |
viel schneller, als Wald nachwachsen kann. | |
In ihrem Report „Killed by Cardboard“ (Für Pappe getötet), der heute | |
veröffentlicht wird, berichtet die Umweltorganisation, dass sie Holzstämme | |
mit Trackern versehen habe und zudem Lkws zwischen Kahlschlägen und | |
Zielorten gefolgt sei. So habe die Verbindung von 20 alten, gerodeten | |
Wäldern zu acht Zellstofffabriken und vier Sägewerken gezeigt werden | |
können, in Besitz unter anderem von Branchenriesen wie den | |
Verpackungsherstellern Smurfit Kappa und Billerud und dem schwedischen | |
Forstbetreiber und Holzverarbeiter SCA. | |
Eine Studie der Universität Lund von 2022 geht davon aus, dass etwa ein | |
Fünftel des Kahlschlags seit 2003 Schwedens alte Wälder betroffen hat. Ihre | |
Fläche sei in diesem Zeitraum jährlich um 1,4 Prozent geschrumpft. Würde | |
der Trend nicht gestoppt, hätten sie sich in den 2070er Jahren ganz in | |
Plantagen aufgelöst. | |
Zwei Drittel des Holzes aus schwedischen Wäldern insgesamt seien für die | |
Zellfaser- und Papierindustrie bestimmt, so Greenpeace. Verpackungsmaterial | |
spiele dabei eine immer größere Rolle. Über öffentlich zugängliche Quellen | |
ermittelte die Organisation Endabnehmer der schwedischen Papierindustrie – | |
darunter in Deutschland Online-Handelsriesen wie Amazon, Zalando und der | |
Menüanbieter HelloFresh. | |
## Alte Wälder wichtig für Artenvielfalt | |
„Selbst wenn das Papier zunächst nochmal recycelt wird, wird es irgendwann | |
verbrannt, das heißt, der Großteil der Bäume wird zu Wegwerfprodukten“, | |
sagt Jannes Stoppel, Waldexperte von Greenpeace Deutschland, der taz. „Die | |
alten Wälder, die so wichtig für die Artenvielfalt sind und für die | |
Rentierwirtschaft der Sami, verschwinden immer mehr, und das ist wirklich | |
ein Riesenproblem.“ Dass in Schweden Kahlschläge erlaubt seien und das Land | |
sich innerhalb der EU als starker Gegner strengerer Regulierungen | |
präsentiert, sei vielen, gerade in Deutschland, nicht bewusst, glaubt | |
Stoppel. | |
„Wir wollen den Firmen, die diese Produkte kaufen, keinen Vorwurf machen“, | |
erklärt Greenpeace-Aktivist Dima Litvinov, einer der Autoren des Reports. | |
„Wir wollen sie auf das Problem aufmerksam machen, damit sie reagieren | |
können.“ Firmen, die Nachhaltigkeit anstreben, sollten sich nicht auf das | |
FSC-Siegel bei Produkten aus der Papierindustrie verlassen. Es steht für | |
Forest Stewardship Council und ist ein internationales | |
Zertifizierungssystem für nachhaltigere Waldwirtschaft. Das Siegel | |
garantiere wegen der schwachen Kontrollen und der weitgehenden Freiheiten | |
der Forstwirtschaft in Schweden nicht, dass das verarbeitete Holz nicht aus | |
alten Wäldern stamme. „Wir sagen: Verlangt von euren Lieferanten, dass sie | |
die Lieferketten transparent machen und euch kein Material aus alten, | |
schützenswerten Wäldern liefern“, so Litvinov. | |
Einige Unternehmen zeigen durchaus Problembewusstsein. Auf taz-Nachfrage | |
bei HelloFresh sagte eine Sprecherin, das Unternehmen habe sich | |
„grundsätzlich dazu verpflichtet, Verpackung nach Möglichkeit vollständig | |
zu vermeiden, andernfalls zu reduzieren und für das Recycling zu | |
optimieren.“ HelloFresh teste zudem seit 2023 wiederverwendbare Boxen. | |
Dabei werde erprobt, wie dieses Konzept logistisch funktionieren könne und | |
– unter Hinweis auf die notwendige Flotte zum Wiedereinsammeln und den | |
Aufwand für die Reinigung – ob es tatsächlich nachhaltiger sei. Das | |
Unternehmen sehe wiederverwendbare Boxen jedoch langfristig als notwendige | |
Lösung. HelloFresh wolle die Ergebnisse des Greenpeace-Berichts intern und | |
mit dem schwedischen Lieferanten besprechen. | |
Auch Zalando äußerte sich zu den Erkenntnissen von Greenpeace: „Um das | |
Risiko auszuschließen, Fasern aus Urwäldern in Schweden zu erhalten, | |
bestehen wir darauf, FSC-zertifiziertes Material für den Frischfaseranteil | |
zu verwenden“, sagte eine Sprecherin der taz. Der Kritik am FSC-Siegel sei | |
sich das Unternehmen bewusst. „Nach unserer Bewertung ist dies allerdings | |
nach wie vor das umfassendste Gütesiegel für verantwortungsvolle | |
Waldbewirtschaftung auf internationaler Ebene.“ Zalando arbeite | |
kontinuierlich mit seinen Lieferanten zusammen, um die Transparenz in der | |
gesamten Lieferkette weiter zu verbessern. | |
Amazon dagegen sieht offenbar keinen Handlungsbedarf. „Die von Amazon in | |
Europa eingesetzten Versandverpackungen, die von den genannten Lieferanten | |
stammen, bestehen zu 95 Prozent oder mehr aus recyceltem Material“, sagte | |
ein Sprecher. [2][Amazon] verpflichte sich, seine Verpackungsmaterialien | |
auf nachhaltige Weise zu beschaffen, und investiere in Initiativen zum | |
Erhalt und zur Wiederherstellung der Natur, zum Schutz der Lebensräume von | |
Wildtieren und zur Förderung der Artenvielfalt. | |
## Fehlende Kontrollen | |
Schwedens Forst- und Papierindustrie ist riesig und hat eine starke Lobby, | |
nicht zuletzt in der Regierung. Erst im März kritisierten schwedische | |
Waldforscher*innen in einem Gastbeitrag im Aftonbladet die liberale | |
Umwelt- und Klimaministerin Romina Pourmokthari scharf. Sie hatte die | |
schwedische Forstwirtschaft nachhaltig genannt. Pourmokthari sieht den Wald | |
vor allem als [3][bioökonomische Ressource]. Deren Nutzung soll, wenn es | |
nach ihr geht, noch weiter wachsen und baldmöglichst noch weniger reguliert | |
werden. Doch: „Schwedens Forstwirtschaft ist nicht nachhaltig, Frau | |
Ministerin“, konterten die 19 Waldexpert*innen. Sie kritisierten, die | |
Regierung ignoriere relevante wissenschaftliche Erkenntnisse. | |
Das staatliche Amt für Forstwirtschaft stellte vergangenes Jahr fest, dass | |
in Schweden die nötigen Kontrollinstanzen fehlten, um langfristig die | |
biologische Vielfalt und den Erhalt der Aufgaben der Ökosysteme im Wald | |
sicherstellen zu können. Und aus der Forschung kommt die Erkenntnis, dass | |
der schwedische Wald nicht mehr so viel Kohlendioxid bindet wie früher. | |
2022 stellte die Behörde Naturvårdsverket unter Berufung auf Zahlen der | |
Schwedischen Landwirtschafts-Universität SLU einen überraschend starken | |
Rückgang der Nettoeinlagerung fest, 2021 sei sie im Vergleich zum Vorjahr | |
von 30 Millionen Tonnen auf 25 Millionen Tonnen gesunken. Als Gründe nannte | |
die Behörde ein gesunkenes Waldwachstum und das hohe Abholzungsniveau der | |
vergangenen Jahre. | |
15 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Schwedens-Umgang-mit-Waldgebieten/!5786633 | |
[2] /Ausbeutung-bei-Amazon/!5980811 | |
[3] /Wissenschaftler-schlagen-Alarm/!5698019 | |
## AUTOREN | |
Anne Diekhoff | |
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