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# taz.de -- Broschüre zur Staatsgründung Israels: Neukölln und die Nakba
> In Berlin will die CDU die Publikation „Mythos Israel 1948“ an Schulen
> sehen. Die Neuköllner Linke will das abwehren. Die Scheindebatte schlägt
> Wogen.
Bild: Familien mit Kindern bei einer Demonstration unter dem Motto „Gazas Lic…
BERLIN taz | Die Broschüre liegt mit ihren 46 Seiten recht stabil in der
Hand. „Um das Land Israel kursieren seit der Staatsgründung im Jahr 1948
Gerüchte und Mythen“, beginnt [1][die Einleitung. Ziel der Publikation mit
dem Titel „Mythos Israel 1948“] sei es, verbreitete – falsche –
Vorstellungen und „gefährliches Halbwissen“ rund um die israelische
Staatsgründung zu entkräften. Denn Vorurteile gegen den „jüdischen Staat“
seien weit verbreitet – und manifestierten sich „auch in Berlin regelmäßig
auf der Straße“.
In fünf Kapiteln geht es etwa um die Behauptung, dass Israel auf
gestohlenem palästinensischem Land errichtet wurde, dass die Staatsgründung
eine Folge des Holocausts war oder dass Israel schuld an der Nakba sei.
[2][Nakba – übersetzt als Katastrophe – meint die Flucht und Vertreibung]
von rund 750.000 Palästinenser*innen aus ihren Wohnorten in der Zeit
unmittelbar vor und nach der Gründung Israels und in Folge des Krieges von
Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak gegen Israel. Israel hatte den
Krieg damals gewonnen.
„Vertreibung im Krieg war damals wie heute nichts Ungewöhnliches“, heißt …
etwa in der Broschüre zum Mythos Nakba. Nakba habe zunächst „Niederlage“
gemeint, inzwischen sei das Wort umgedeutet zu „Ungerechtigkeit“. Die
Staatsgründung Israels jährte sich dieser Tage zum 76. Mal und fiel fast
mit dem 15. Mai zusammen, der als Nakba-Gedenktag gilt.
„Uns ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es keine systematische
Vertreibung war“, sagt ein Sprecher des Vereins Masiyot, der die Broschüre
herausgegeben hat. Dabei bezögen sich die Autor*innen auf kritische
israelische Historiker*innen. „Wir gehen auch auf Vertreibungen ein, etwa
durch die Hagana (zionistische paramilitärische Untergrundorganisation, d.
taz). Das ist unbestritten“, sagt er. „Und wir weisen außerdem darauf hin,
dass es praktisch keine Jüdinnen und Juden mehr im Irak, in Syrien oder im
Libanon gibt. Dort haben ethnische Säuberungen stattgefunden.“ Auf Israel,
Gaza und dem Westjordanland treffe das nicht zu. „Doch das wollen viele
anscheinend nicht hören.“
## Störungen und Gegenkampagne
Veröffentlicht wurde die Broschüre wenige Wochen vor dem 7. Oktober. Und
seitdem ist sie Gegenstand einer erbitterten Auseinandersetzung in
Neukölln, die inzwischen immer weitere Kreise zieht. Schon die Vorstellung
der Broschüre im September 2023 sei gestört worden. Doch nachdem sich die
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Neukölln mit der Broschüre befasst,
sei es zu einer regelrechten „Gegenkampagne“ gekommen, [3][schreiben die
Herausgeber*innen in einer Stellungnahme].
Die CDU-Fraktion hatte nämlich im Februar beantragt, die Broschüre
[4][„Mythos#Israel1948“ in den Neuköllner Oberschulen] einzusetzen, um
„bestehende antisemitische Narrative“ zu „konfrontieren“. In einem zwei…
Antrag forderten sie, das Bezirksamt solle sich auch für „die [5][Nutzung
der Broschüre in den Neuköllner Jugendfreizeiteinrichtungen“] einsetzen,
auch dies sollte Teil des Kampfes gegen Antisemitismus sein.
Die Linke Neukölln reagierte mit einem alarmiert anmutenden Gegenantrag.
Das Bezirksamt werde „gebeten“, „alles zu tun, um die Verbreitung der
Broschüre (…) und deren Inhalte an Neuköllner Schulen zu verhindern“, hei…
es dort. BVV-Mitglied Ahmed Abed nannte die Broschüre
„geschichtsverfälschend“ und fragte, ob die Darstellung geeignet sei, eine
„umsichtige Debattenkultur und das friedliche Miteinander im Bezirk“ zu
fördern.
Das SPD-geführte Bezirksamt nahm den Vorschlag der CDU an. Es räumte aber
ebenso ein, dass es keinen Einfluss darauf habe, inwieweit die Broschüre
[6][dann tatsächlich an Schulen eingesetzt werde. Denn das sei eine „innere
Schulangelegenheit“, das Bezirksamt sei daher gar nicht zuständig].
## Mehr als 10.000 Unterstützer*innen für offenen Brief
Der Beschluss ist also reine Symbolpolitik. Trotzdem schlug er hohe Wellen
– wohl auch, weil gerade in Neukölln viele Menschen familiäre Erinnerungen
an Vertreibungen haben. In der Folge gab es einen offenen Brief. Die
Broschüre würde „die palästinensische Geschichte leugnen“, die Nakba wer…
verharmlost, hieß es darin. Am ersten Wochenende [7][unterstützten 1.000
Menschen eine Petition, wenige Tage später waren es bereits 10.000]. Als
Eltern und Pädagog*innen seien sie „tief besorgt“ über die Entscheidung,
diese Broschüre „in das Schulprogramm einzuführen“.
Die Herausgeber*innen hatten das auch nicht vor. „Die Broschüre war
nie dazu gedacht, sie an Schulen zu verteilen“, heißt es von Masiyot. „Es
ist Hintergrundmaterial für ein schon vorgebildetes Publikum, unsere
Zielgruppe sind informierte Leser*innen, die sich mit Mythen und deren
Dekonstruktion beschäftigen.“ Für Schüler*innen hingegen bräuchte es ein
viel pädagogischeres Material.
„Wichtig wäre wohl, darauf zu verweisen, dass fünf arabische Staaten damals
den Teilungsplan abgelehnt und den Krieg gegen Israel begonnen haben – über
die Köpfe der auf dem Gebiet lebenden Menschen hinweg. Die Rolle des
Großmufti von Jerusalem und seiner antisemitischen Agenda kann man dabei
gar nicht genug betonen“, sagt der Sprecher. „Die Nakba war eine Konsequenz
dieses Krieges. Und es ist wichtig, zu zeigen, wer die politische und
moralische Verantwortung trägt.“
„Materialien zum Nahost-Konflikt müssen berechtigte Anliegen zweier
Nationalbewegungen anerkennen und Unrecht und Leid auf beiden Seiten
thematisieren“, heißt es von Bildungsinitiative ibim, die Beratung und
Workshops zu Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus an Schulen
anbietet. In Neukölln seien Jugendliche „der Agitation islamischer,
ultranationalistischer und antisemitischer Akteure aus allen Richtungen
ausgesetzt“, diese würden „verbreitete Mythen über Israel als rassistisch…
Kolonialstaat“ bestärken und Hass schüren.
## Räume für Trauer und Wut
Flucht und Vertreibung im ersten arabisch-israelischen Krieg müssten als
Familienhintergrund großer Teile der Neuköllner Schüler*innen anerkannt
werden, ebenso wie der Hintergrund von Schüler*innen aus israelischen
oder jüdischen Familien.
Die Broschüre sei ungeeignet als Unterrichtsmaterial, sagt auch eine
Lehrerin einer Schule im Bezirk. Die Texte seien für Schüler*innen zu
schwierig. Allerdings seien sie geeignet, um Lehrer*innen ergänzendes
Hintergrundwissen zu vermitteln. „Gerade mit Schüler*innen, die teils auch
persönlich von dem Krieg und dem Nahostkonflikt betroffen sind, braucht es
Räume, um auch deren Trauer und Wut zuzulassen“, sagt sie.
„Es gibt den Beutelsbacher Konsens, dem wir in den Schulen verpflichtet
sind. Der besagt, dass wir Themen, die in der Gesellschaft kontrovers
diskutiert werden, auch im Unterricht kontrovers darstellen.“ [8][Sie würde
daher auf vielfältiges Material zurückgreifen], um unterschiedliche
Blickwinkel einzubeziehen. Und das würden die meisten Lehrer*innen wohl
ebenso tun.
16 May 2024
## LINKS
[1] https://www.masiyot.de/mythos-israel1948
[2] /Angriff-auf-Israel/!5963843
[3] https://www.masiyot.de/stellungnahmen
[4] https://www.berlin.de/ba-neukoelln/politik-und-verwaltung/bezirksverordnete…
[5] https://www.berlin.de/ba-neukoelln/politik-und-verwaltung/bezirksverordnete…
[6] https://www.berlin.de/ba-neukoelln/politik-und-verwaltung/bezirksverordnete…
[7] https://www.change.org/p/offener-brief-gegen-die-aufnahme-der-brosch%C3%BCr…
[8] /Nahost-Konflikt-in-der-Jugendarbeit/!6007115
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
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