| # taz.de -- Online-Supermärkte: Jetzt ist auch Getir am Ende | |
| > Bald müssen Yuppies wieder selbst einkaufen gehen. Zurück bleiben | |
| > ausgebeutete Fahrer:innen. | |
| Bild: Verlässt den deutschen Markt: der Online-Supermarkt Getir | |
| Der Vorhang ist gefallen: Der [1][Onlinesupermarkt Getir] zieht sich aus | |
| Europa und den USA zurück und will sich auf seinen türkischen Heimatmarkt | |
| beschränken. Das Unternehmen hat den letzten 1.300 Mitarbeitenden bis | |
| Montag gekündigt. | |
| [2][Gorillas], das zeitweilig jede zweite Werbetafel Berlins mit | |
| provokanten Sprüchen zugekleistert hat, ist bereits seit August vergangenen | |
| Jahres nur noch eine tote Hülle. Konkurrent Getir übernahm das Unternehmen | |
| und entließ schon damals rund die Hälfte der Angestellten. Aus | |
| Kostengründen wurden die Marken damals nicht fusioniert. | |
| Lediglich Flink harrt noch auf dem deutschen Markt aus, vor allem durch | |
| seinen starken Partner Rewe. Aber auch hier mehren sich die Stimmen, das | |
| verlustreiche Geschäft bald einzustellen. Es scheint, als sei das | |
| Geschäftsmodell der Onlinesupermärkte am Ende. | |
| Denn profitabel waren Getir und Co selbst zur Hochzeit in der | |
| Coronapandemie nie. Dafür sind die gelieferten Mengen einfach zu gering, | |
| der logistische Aufwand für die versprochenen 15 Minuten, in denen die Ware | |
| beim Kunden sein sollte, zu hoch und die Liefergebühren zu niedrig. | |
| Branchenkenner:innen warnten von Anfang an, dass Onlinesupermärkte in | |
| Deutschland keine Zukunft haben würden. | |
| Was vom Ende Getirs bleibt, ist ein Lehrstück des modernen | |
| Bullshitkapitalismus. Anders als in seiner klassischen Variante geht es | |
| hier nicht darum, den Mehrwert aus der Arbeit der Beschäftigten zu | |
| kassieren, sondern mit einer Art Theaterstück möglichst viel | |
| Investorenkapital einzuwerben. | |
| ## Astronomische Profitmöglichkeiten in der Zukunft | |
| Die Story des Stücks ist immer die gleiche: Ein geniales Start-up kommt und | |
| will irgendetwas Alltägliches von Grund auf revolutionieren – in diesem | |
| Fall den Supermarkteinkauf. Mit der Idee werden astronomische | |
| Profitmöglichkeiten in der Zukunft beschworen. Kurzfristige Verluste können | |
| da schon mal in Kauf genommen werden, denn am Ende winkt ein Monopol – das | |
| „The winner takes it all“-Prinzip; eine heile Welt, in der niemand mehr in | |
| den Supermarkt geht, sondern nur noch stündlich per App Chips, Nudeln und | |
| Pesto bestellt. | |
| Je glaubwürdiger die Start-ups ihr Theater spielen, desto mehr Kapital | |
| ziehen sie an. Und je mehr Kapital sie anziehen, desto glaubwürdiger werden | |
| sie – eine Spirale, die zusammenbricht, sobald sie auf die Realität trifft. | |
| Arbeiter:innen werden in diesem Spiel zu Statisten degradiert. Anfangs | |
| stellten Getir und Co möglichst viele Fahrer:innen ein, um Wachstum zu | |
| simulieren. Ganz egal, dass die Lohnkosten in Deutschland viel zu hoch und | |
| die Fahrer:innen einen Großteil der Zeit nichts zu tun hatten. Wenig | |
| später entließen sie viele, um Profitabilität vorzutäuschen. | |
| Funktionierende Fahrräder, warme Winterkleidung und rückenschonende | |
| Transportboxen hatte die Fahrer:innen aber nur selten. Böse Zungen | |
| behaupten, es sei den Lieferdiensten nie darum gegangen, ein nachhaltiges | |
| Geschäftsmodell zu etablieren. | |
| ## Lästige Störungen | |
| Streiks, Arbeitsschutz und Betriebsratsgründungen sind in den Augen der | |
| Bullshitkapitalisten nur lästige Störungen der Inszenierung. Deshalb | |
| greifen sie besonders gerne auf migrantische Arbeiter:innen zurück, die | |
| ihre Rechte nicht kennen und auf ihren Arbeitsplatz für ihre | |
| Aufenthaltserlaubnis angewiesen sind. Dumm nur, dass gerade die | |
| Gorillas-Beschäftigten ziemlich gut darin waren, [3][sich zu organisieren]. | |
| Nicht zuletzt sind auch die Konsument:innen im Bullshitkapitalismus | |
| egal. Denn gefragt, ob wir wirklich eine Revolution des Supermarkteinkaufs | |
| brauchten, hat uns schließlich niemand. Musste man ja auch nicht, denn die | |
| Milliarden sind geflossen und die Taschen der Gründer sind voll. Was | |
| bleibt, sind die geschundenen Rücken der Fahrer:innen. | |
| 10 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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