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# taz.de -- EU-Abkommen mit dem Libanon: Grenzwertiger Deal
> Die EU möchte dem Libanon 1 Milliarde Euro zahlen, damit das Land
> syrische Geflüchtete nicht ausreisen lässt. So soll Zypern geholfen
> werden.
Bild: Eine syrische Flüchtlingsfamilie 2023 in einer Notunterkunft in Saadnaye…
Beirut taz | Rund 1 Milliarde Euro möchte die EU bis ins Jahr 2027
ausgeben, um Geflüchtete im Libanon zu halten. Das haben
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Zyperns Präsident Nikos
Christodoulidis am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in
Beirut verkündet. Mit dem Geld sollen unter anderem Equipment und
Fortbildungen für die libanesischen Sicherheitsbehörden und Streitkräfte
finanziert werden. „Wir zählen auf gute Zusammenarbeit bei der Verhinderung
illegaler Migration und der Bekämpfung von Schleuserkriminalität“, sagte
von der Leyen. Gemeinsam mit Christodoulidis bat sie den Libanon, den
Informationsaustausch mit [1][der EU-Grenzschutzagentur Frontex] zu
verstärken.
Das kleine Land hat auf seine Bevölkerungszahl gerechnet so viele Menschen
aufgenommen wie kein anderes. Die meisten von ihnen sind Syrer*innen, die
vor dem seit 13 Jahren andauernden Krieg geflohen sind. [2][Bereits seit
2011 hat die EU den Libanon mit 2,6 Milliarden Euro für die Unterbringung
von Geflüchteten unterstützt.]
Die Ankündigung sei kein neues Abkommen, sondern Teil der Wahlkampagne vor
den EU-Wahlen, analysiert entsprechend Sarah Nasrallah vom Libanesischen
Center für Menschenrechte (CLDH). Von der Leyen und Christodoulidis
„versuchen, dies als Verhandlungsmasse in Europa zu nutzen“, sagte sie der
taz. Es sei eine kurzfristige Strategie und beweise zudem, „dass die
libanesischen Behörden keinen klaren strategischen Plan zur Bewältigung der
Krise haben“.
Die Sicherheitspolitik Europas baut darauf auf, durch humanitäre Hilfen,
den Aufbau von Infrastruktur sowie Zugang zu sauberem Trinkwasser oder
Solaranlagen das Leben für Geflüchtete und in den Aufnahmegemeinden zu
erleichtern – und damit die Geflüchteten im Libanon zu halten. Das nun
angekündigte EU-Geld soll auch ins Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen
fließen. Darüber hinaus seien Wirtschafts- und Finanzreformen vorgesehen,
bei denen die EU Libanon unterstützen wolle. Wie genau und welche Reformen
das sind, blieb bei der Pressekonferenz offen.
## Syrer*innen gelten im Libanon als Sündenböcke
Der Libanon ist seit 2019 in einer tiefen Wirtschaftskrise. Korruption und
Missmanagement der Eliten, einschließlich des derzeitigen
Ministerpräsidenten Nadschib Mikati, haben zu einem maroden Staatshaushalt
geführt. Ein Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) lehnen die
Politiker ab, weil sie die dafür verlangten Reformen nicht umsetzen wollen.
Bei der Pressekonferenz erwähnte Christodoulidis den IWF-Deal sowie eine
neue Regierungsbildung, um die Möglichkeit eines Wandels im Libanon
anzudeuten. Seit Mai 2022 ist Mikati nur übergangsweise im Amt, die Wahl
eines neuen Kabinetts ist durch politische Streitigkeiten blockiert.
Währenddessen hetzen Politiker gegen die rund 1,5 Millionen Syrer*innen
[3][als Sündenböcke]. Es gibt mediale Kampagnen für Rückführungen,
Ausgangssperren, Konfiszierung von Motorrollern. Kürzlich drohte der
Minister für Vertriebene in der libanesischen Übergangsregierung damit,
„die Seehäfen seines Landes weit zu öffnen“. Ein 2020 unterzeichnetes
bilaterales Abkommen erlaubt Zypern Pushbacks, also Migrant*innen aus
dem Libanon zurückzuschicken. Seit Februar weigert sich der Libanon aber,
Syrer*innen zurückzunehmen. Deshalb nun der Deal.
In Syrien brauchen 14,9 Millionen Menschen laut EU Unterstützung in der
Gesundheitsversorgung, das UN-Welternährungsprogramm (WFP) zählt über 13
Millionen hungernde Menschen. Durch die vielen weltweiten Krisen musste das
WFP seine Hilfen für Syrien drastisch kürzen. Rückkehrenden droht Gewalt,
Folter, willkürliche Verhaftung, Vergewaltigung, Verschwindenlassen und
Tötung. Ungeachtet dessen haben die libanesischen Behörden laut
Menschenrechtsorganisationen in den vergangenen Monaten willkürlich
Syrer*innen inhaftiert, gefoltert und gewaltsam nach Syrien deportiert,
darunter auch Aktivist*innen, Militärverweigerer und unbegleitete Kinder.
Laut UN-Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der UN hat der Libanon im
Jahr 2023 insgesamt 13.772 Personen abgeschoben oder an der Grenze
zurückgewiesen. Das verstößt gegen das UN-Übereinkommen gegen Folter und
gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung: Menschen dürfen nicht gewaltsam
in Länder zurückgeschickt werden, in denen ihnen eindeutig Verfolgung
droht.
## Teile der EU wollen Teile Syrien als sicher erklären
„Libanesische Beamte haben jahrelang diskriminierende Praktiken gegen Syrer
im Land angewandt, um sie zur Rückkehr nach Syrien zu zwingen, das nach wie
vor unsicher ist“, sagt Ramzi Kaiss, Libanonforscher bei Human Rights
Watch.
Die Bedrohung durch Abschiebung und die prekäre Lage im Libanon sowie
fehlende Möglichkeiten der legalen Migration ließen keine andere
Alternative als die Bootsmigration zu, sagen Menschenrechtsorganisationen.
Sie fordern Zypern deshalb auf, die bisherige Praxis mit dem Libanon zu
stoppen. Auch sollten das Land und die EU jeden Versuch stoppen, bestimmte
Gebiete Syriens für sicher zu erklären.
Doch einige EU-Mitgliedsstaaten wollen genau das: Teile Syriens für sicher
erklären, damit Migrant*innen zurückgeschickt werden können.
Zypern hat sich vergangenes Jahr dafür ausgesprochen. „Wir werden auch
prüfen, wie wir die Hilfe der EU wirksamer gestalten können. Dazu gehört
auch, dass wir in enger Zusammenarbeit mit dem UNHCR einen besser
strukturierten Ansatz für die freiwillige Rückkehr nach Syrien erarbeiten“,
sagte Zyperns Präsident. Auch müsse die internationale Gemeinschaft
„Programme für einen raschen Wiederaufbau in Syrien“ stärker unterstütze…
Letzteres wäre ein Umschwung in der europäischen Politik zu Syrien. Diese
war bisher: Keine Normalisierung, keine Unterstützung für Wiederaufbau,
solange es keinen politischen Umschwung gibt. Wobei es auch hier zuletzt
eine Art Schlupfloch gab: die Nothilfe zur Rehabilitation.
Diese Art der Finanzierung von Projekten in Gebieten unter Baschar al-Assad
scheint nicht mehr als rote Linie für Finanzhilfen gesehen zu werden. Laut
einer Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung aus April 2023 würden
Rehabilitationsgelder bereits diskutiert. Der Deal mit dem Libanon könnte
nun zu einer weiteren Aufweichung der roten Linie führen.
2 May 2024
## LINKS
[1] /Die-Rolle-von-Frontex-im-Grenzregime/!5900343
[2] /Abschiebungen-aus-dem-Libanon/!5995243
[3] /Rassismus-im-Libanon/!5932410
## AUTOREN
Julia Neumann
## TAGS
Libanon
Europäische Kommission
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