Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Förderkonzept in Hamburg: Plötzlich gut im Lesen
> In Hamburg lesen Grundschüler mit der Lehrkraft laut im Chor. Das hilft
> Risikoschülern, den Anschluss zu haltent. Darum wird das Konzept
> ausgeweitet.
Bild: Zusammen und laut lernen Kinder lesen viel besser
Hamburg taz | Was denn da los sei, wurde Birte Priebe kürzlich von
Sprachlernberatern der weiterführenden Schulen gefragt. „Die
Grundschulkinder können auf einmal besser lesen.“ Die Fortbildung zu einem
[1][Training in lautem Lesen an Hamburgs Grundschulen], die Priebe am
Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) koordiniert,
scheint Früchte zu tragen. Das hat auch Schulsenatorin Ksenija Bekeris
(SPD), die bei der Pressekonferenz neben ihr sitzt, von Schulleitern
gehört. Darum ist das laute Lesen seit Februar für die meisten Grundschulen
verbindlich und wird als Modellprojekt auch in den fünften und sechsten
Klassen erprobt.
Die Lesekompetenz ist seit dem letzten bundesweiten Test im „Bildungstrend“
2021 ein Thema. Fast ein Fünftel der Kinder, 18,8 Prozent, haben demnach in
der Grundschule nicht richtig lesen gelernt. Hamburg hatte sich hier im
Vergleich zu einem früheren Test von 2016 bereits verbessert und vom
Bundestrend abgekoppelt. Allerdings erreichten die immer noch 17,7 Prozent
nicht den „Mindeststandard“.
Hier gibt die neue Methode Hoffnung. Vor einer ganzen Klasse laut
vorzulesen kann für ein einzelnes Kind, das es nicht gut kann, beschämend
sein. Nicht so, wenn die Kinder im Chor lesen, und zwar regelmäßig in einer
festen Lesezeit von 20 Minuten an mindestens vier Tagen in der Woche, die
sich wie ein „Leseband“ durch den Stundenplan zieht.
Das ist die praktische Idee, die das LI auf seiner Homepage in mehreren
Filmen erklärt. Wenn die Schulglocke zur Lesezeit läutet, hat jeder Schüler
sein Büchlein vor sich. „Die kleinen Wilden haben schon oft versucht, das
große dicke Mammut zu jagen“, liest ein Mädchen vor und zeigt mit dem
Finger auf jedes Wort. Die Klasse liest laut mit. Vorn steht die Lehrerin
und gibt die Betonung vor.
## Das Ohr liest mit
Das Lesen im Chor wurde im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch
Sprache und Schrift“ (Biss) erprobt und ist eine von mehreren Varianten des
lauten Lesens. Die Kinder können auch zu zweit im „Tandem“ lesen oder zu
mehreren mit einem „Ich-Du-Wir“-Würfel, der anzeigt, wer an der Reihe ist.
Oder sie lesen mit, während sie ein Hörbuch hören.
„Lesen besteht aus einer Reihe von Kompetenzen“, erklärt Eric Vaccaro,
Leiter des Referats „Steigerung der Bildungschancen“ in Hamburgs
Schulbehörde. Das flüssige Lesen von Wörtern, das für Erwachsene
selbstverständlich ist, müssen Kinder erst noch lernen. Dazu müssen sie
jeden einzelnen Buchstaben entziffern „Das ist umso schwieriger für Kinder,
die es zu Hause nicht leicht haben“, sagt Vaccaro. Wie schwer es ist, könne
jeder nachvollziehen, der versucht, einen spiegelverkehrten Text zu
entziffern. Doch wenn Kinder ein Wort hören und sprechen, bekommt das
Gehirn nicht nur über das Auge, sondern auch über das Ohr Informationen,
die das erleichtern.
Die Grundschule Kirchdorf im Stadtteil Wilhelmsburg hat als eine der ersten
Schulen das laute Lesen eingeführt. Die Schule habe 2013 gemeinsam mit der
benachbarten Stadtteilschule überlegt, wie sie ihren Schülern einen
besseren Übergang in die fünfte Klasse ermöglichen könne, berichtet
Schulleiter Christian Gronwald im Film. Damals seien die Leseleistungen
immer schlechter geworden. Nur ein Drittel der Kinder habe die Hausaufgaben
gemacht, die anderen hätten sie nicht verstanden. „Da musste einfach etwas
passieren, und da war dieses Leseband eine tolle Idee.“
Das ungewöhnliche Lesetraining Biss, das 2015 als Pilotprojekt an sechs
Schulen startete, 2018 auf 20 und 2019 auf 72 Grundschulen ausgeweitet
wurde, ist inzwischen so erfolgreich, dass auch die weiterführenden Schulen
darauf aufmerksam geworden sind. Schulsenatorin Bekeris hat nun 131
Grundschulen zum 1. Februar verpflichtet. Dabei handelt es sich um alle
Schulen mit einem Sozialindex von eins bis drei, das heißt, sie haben
sozioökonomisch schwierigere Rahmenbedingungen. Gestützt wird die
Entscheidung durch eine Studie des Hamburger Instituts für
Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (Ifbo), das regelmäßig den
Stand des Lernens in Hamburg untersucht.
## Erfolgreich und machbar
Bei rund 3.800 Kindern, die von Anfang 2019 bis Ende 2022 in zwei Kohorten
am Lesetraining teilnahmen, wurde zudem halbjährlich die Leseflüssigkeit
mit dem „Salzburger Lese-Screening“ gemessen. Die Kinder verbesserten ihre
anfangs schwachen Werte, sodass sie den Anschluss an den „Normwert“
hielten, wie Ifbo-Abteilungsleiterin Britta Pohlmann erklärt. Und sie
erzielten im Test „Leseverständnis“ höhere Lernzuwächse als Kinder ander…
Schulen.
„Es gibt sehr erfreuliche Effekte bei der Lesekompetenz“, sagt Pohlmann.
Und das, obwohl die Schulen in dieser Zeit wegen Corona schließen mussten.
Alle Kinder profitierten vom Training. Besonders große Zuwächse im
Leseverständnis seien aber bei Kindern mit „niedrigem sozioökonomischen
Status“ zu verzeichnen. Das Training ist erfolgreich, weil es von den
Lehrkräften als „machbar“ angesehen wird. Jede Schule erhält 1.000 bis
1.500 Euro Büchergeld und eine Lehrerstunde pro Woche für die Koordination.
Schulsenatorin Bekeris, die sich die Bildungsgerechtigkeit auf die Fahne
geschrieben hat, will es nun für eine Pilotgruppe von 17 Brennpunktschulen
und einige andere auf die Jahrgangsstufen 5 und 6 der Sekundarschulen
ausweiten. Dazu will sie nun prüfen, ob dies in das neue
„Startchancen-Programm“ des Bundes aufgenommen werden kann. An einer
Stadtteilschule läsen die Sechstklässler bereits ein Fußballbuch und fänden
das toll. „Auf freiwilliger Basis können jederzeit weitere Schulen
aufgenommen werden“, sagt Bekeris. Es gebe inzwischen sogar Gymnasien, die
sich für das Lesetraining interessierten.
22 Apr 2024
## LINKS
[1] /Neue-Methode-an-Hamburger-Grundschulen/!5645805
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Schule
Lesen
Bildung
Schulbehörde Hamburg
Chancengleichheit
Schulbehörde Hamburg
Schule
Lesen
Pisa
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Stellen für Hamburger Schulen: Mit Sozialarbeit gegen Zukunftsangst
In Hamburg bekommen alle 66 Gymnasien Sozialarbeiter. Denn die psychische
Belastung der Schüler sei auch dort ein Problem, sagt die Schulsenatorin.
Schulforscher über Bildungsgerechtigkeit: „Lehrpläne entrümpeln“
Das Startchancen-Programm für Bildung reicht laut dem früheren Hamburger
Staatsrat Ulrich Vieluf nicht. Wichtig seien mehr Zeit und andere
Lehrpläne.
Projektleiterin über Alphabetisierung: „Jeder Achte kann nicht lesen“
Christine Biskamp leitet in Hamburg-St.-Pauli ein Projekt für die
Alphabetisierung Erwachsener. Die meisten von ihnen sind über 40 Jahre alt.
Neue Pisa-Studie: Der nächste Schock
Die deutschen Schüler:innen haben sich verschlechtert. Gut ist das
Bildungssystem hingegen in sozialer Auslese. Warum greifen die Reformen
nicht?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.