# taz.de -- Vorbilder bei Fahrverboten: Sonntags Party auf der Straße | |
> Fahrverbote standen für Verkehrsminister Volker Wissing nie wirklich zur | |
> Debatte. Aber es gibt sie: Paris, Mexiko-Stadt und Athen zeigen, wie es | |
> geht. | |
Bild: Skateboarden auf der Straße dank Fahrverboten in Paris | |
BERLIN taz | Autofreie Straßen am Wochenende, mehr Platz für ausgelassene | |
Spaziergänge, weniger Lärm, saubere Luft. Ohne Angst vor schweren Unfällen | |
über die Straße gehen. Geld sparen, weil Tanken nicht nötig ist. All das | |
hatte Volker Wissing (FDP) wohl nicht im Kopf, als er vor gut einer Woche | |
[1][mit Fahrverboten drohte]. Der Bundesverkehrsminister habe auch nicht | |
wirklich die Frage aufwerfen wollen, wie der Verkehrssektor schnell | |
klimafreundlicher werden kann. Das sagt Frederic Rudolph, Institutsleiter | |
im T3 Transportation Thinktank für die Verkehrswende. „Das hat er gemacht, | |
weil er nicht wollte, dass die sektoralen Klimaziele bleiben“, meint | |
Rudolph. | |
Bisher noch gelten für verschiedene Bereiche, zum Beispiel die Industrie | |
und den Verkehr, sogenannte Sektorenziele. Vergangene Woche [2][hat sich | |
die Bundesregierung auf eine Änderung des Klimaschutzgesetzes geeinigt]. | |
Demnach soll es zwar weiterhin CO2-Ziele für die Sektoren geben. Werden sie | |
verfehlt, sind die zuständigen Minister:innen aber nicht mehr | |
verpflichtet, ein Sofortprogramm auszuarbeiten. | |
Ohne die Gesetzesreform, so argumentierte Wissing, müsste er bald schon zu | |
drastischen Mitteln greifen, um die Grenzwerte einzuhalten. Zum Beispiel zu | |
„flächendeckenden und unbefristeten Fahrverboten an Samstagen und | |
Sonntagen“, wie er in einem Brief an die Fraktionsspitzen der | |
Ampelkoalition schrieb. „Restriktiv“ und „der Bevölkerung kaum | |
vermittelbar“, nannte Wissing das. | |
Sonntag ohne Auto in Paris | |
Dabei gibt es Orte, an denen Fahrverbote gelten – zu bestimmten Zeiten, für | |
bestimmte Fahrzeuge oder in bestimmten Zonen. In Paris ist jeder erste | |
Sonntag in Monat „une journée sans voiture“, ein Tag ohne Auto. Die | |
Regelung ist Teil der Aktion „Paris respire“, auf Deutsch: „Paris atmet�… | |
die es schon seit 2003 gibt. In den ersten vier Stadtteilen ist der | |
motorisierte Verkehr an diesen Sonntagen verboten. Ausnahmen gelten nur für | |
einzelne große Boulevards. Taxis, Busse und Krankenwagen dürfen fahren, | |
aber nicht schneller als 20 Kilometer pro Stunde. | |
Von wann bis wann die Innenstadt autofrei ist, variiert. Am nächsten | |
entsprechenden Tag, dem 5. Mai 2024, gehören die Straßen im ersten, | |
zweiten, dritten und vierten Arrondissement von 10 bis 18 Uhr den | |
Fußgänger:innen und Radfahrer:innen. „In diesen Vierteln wird der Tag | |
ohne Auto in einigen Monaten Alltag sein“, sagte David Belliard der | |
französischen Zeitung Libération. Belliard ist im Rathaus der Stadt | |
verantwortlich für Mobilität und die Transformation des öffentlichen Raums. | |
Er deutete an, dass beim Autoverkehr ab Sommer dauerhaft Abstriche gemacht | |
werden. | |
„Wenn man die Nutzung des Autos einschränkt, steigt ein Teil der | |
Autofahrer:innen nach einer Weile auf andere Transportmittel um“, | |
sagte Belliard. „Genau das sieht man in Paris, heute gibt es nur noch halb | |
so viel Autoverkehr wie vor 25 Jahren.“ Am 22. September, dem | |
internationalen autofreien Tag, war schon in den vergangenen Jahren fast | |
die ganze Stadt verkehrsberuhigt. Der Tag „erlaubt, den Ausstoß von | |
Treibhausgasen zu verringern und die Erderwärmung zu bekämpfen“, heißt es | |
auf der Website der Stadt Paris. | |
Trotzdem ist die Klimawirkung der Maßnahme noch nicht ganz erforscht. | |
Messungen von Airparif, einer Agentur des französischen Umweltministeriums, | |
ergaben immerhin, dass die Lärmbelastung am 22. September 2023 um 40 | |
Prozent und die Luftverschmutzung durch Stickoxide um 20 Prozent | |
zurückgegangen sind. In der Region Île-de-France wird laut Airparif die | |
Hälfte der Stickoxide im Straßenverkehr freigesetzt. | |
In Mexiko-Stadt entscheidet das Nummernschild, ob das Auto stehen bleibt | |
In Mexiko-Stadt sind die Fahrverbote schon weitreichender – allerdings nur, | |
wenn die Schadstoffbelastung in der Luft gewisse Grenzwerte überschreitet. | |
Um gegen den Smog anzukämpfen, müssen Autobesitzer:innen in der | |
mexikanischen Hauptstadt ihr Fahrzeug an einem Tag in der Woche stehen | |
lassen. An welchem Tag das Verbot gilt, hängt von der Endnummer des | |
Nummernschilds ab. Die Regelung gilt seit 2016. Damals wurde in der Stadt | |
nach über zehn Jahren erstmals wieder ein sogenannter Umweltalarm | |
ausgerufen wegen überhöhter Ozonwerte. | |
Mexiko-Stadt ist nach wie vor von stark verschmutzter Luft geplagt. Die | |
Fahrverbote sind einer von vielen Versuchen, die Luftqualität in der | |
Metropole zu verbessern. Ab 2025 dürfen dort zum Beispiel gar keine | |
Dieselfahrzeuge mehr fahren. Diesen Beschluss hat Mexiko-Stadt unter | |
anderem zusammen mit Paris gefasst – und mit der griechischen Hauptstadt | |
Athen. | |
E-Autos sind ausgenommen vom Fahrverbot in Athen | |
Schon jetzt, bevor das Dieselverbot in Kraft tritt, hat Athen den | |
Autoverkehr in der Innenstadt eingeschränkt. Autos mit einer geraden Zahl | |
am Ende ihres Kennzeichens dürfen an geraden Tagen ins Zentrum fahren. | |
Fahrzeuge, deren Nummernschild mit einer ungeraden Zahl endet, sind an | |
ungeraden Daten dran. E-Autos, Hybridfahrzeuge oder Verbrenner mit | |
Euro-6-Motoren, also relativ niedrigem Schadstoffausstoß, können | |
Sondergenehmigungen beantragen. Auch in Athen ist das temporäre Fahrverbot | |
Teil mehrerer Maßnahmen, die den öffentlichen Nahverkehr fördern und die | |
Luft besser machen sollen. | |
Wie stark ein Fahrverbot die Emissionen tatsächlich senken kann, für wen | |
und wie oft es verhängt wird, ob es Ausweichbewegungen gibt – all das lasse | |
sich nicht immer im Vorhinein beantworten, sagt Benjamin Stephan, | |
Verkehrswende-Experte bei Greenpeace. Vor allem in der Vergangenheit sei | |
die Klimawirkung von Fahrverboten nicht gut erforscht worden. | |
In Deutschland wird immer wieder auf das allgemeine Fahrverbot im Jahr 1973 | |
verwiesen. Der Jom-Kippur-Krieg hatte eine Ölkrise ausgelöst, die | |
Rohstoffpreise waren extrem gestiegen. Um den Ölverbrauch zu drosseln, | |
machte die Regierung vier Sonntage bundesweit autofrei. Später stellte sich | |
heraus, dass die Einsparwirkung insgesamt gering war – unter anderem wegen | |
zu vieler Ausnahmegenehmigungen. | |
## Mobilität ist ein Grundbedürfnis | |
Für flächendeckende Fahrverbote gebe es aktuell keine Rechtsgrundlage, sagt | |
Stephan. In Städten gebe es an sich mehr Spielraum, sagt der | |
Greenpeace-Experte. Die Maßnahmen, die sie ergreifen, könnten nicht nur dem | |
Klimaschutz, sondern eben auch der Luftqualität oder dem Lärmschutz dienen. | |
„In Deutschland haben Kommunen mit dem aktuellen Straßenverkehrsrecht | |
trotzdem wenig Möglichkeiten“, sagt Stephan. | |
Generell sei die Lage komplex: „Mobilität ist ein Grundbedürfnis“, meint | |
Stephan. Auf dem Land sei es schwieriger, Alternativen zum Auto zu finden. | |
Theoretisch aber seien Einschränkungen des Autoverkehrs „Maßnahmen, mit | |
denen man starke Emissionsminderung erreichen kann“, sagt Stephan. | |
Vor allem, wenn mildere, [3][kurzfristig wirksame Schritte im Verkehr, etwa | |
ein Tempolimit] oder eine Reform der Dienstwagenbesteuerung, auch in | |
Zukunft auf sich warten lassen. „Dann sind Fahrverbote in etwa zehn Jahren | |
durchaus denkbar“, sagt der Greenpeace-Experte. „Dann gibt es keine | |
milderen Mittel mehr, mit denen die Emissionen im Verkehr noch schnell | |
genug gesenkt werden können.“ | |
21 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Nanja Boenisch | |
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