| # taz.de -- Gewalt gegen Menschen aus Zentralasien: Kein Schutz in Russland | |
| > Nach dem Terroranschlag in Moskau werden Menschen aus Zentralasien | |
| > verstärkt attackiert und diskriminiert. Etliche arbeiten seit Jahren in | |
| > Russland. | |
| Bild: Der Teenager Islam Chalilow (r.) half dabei, Menschen aus der Konzerthall… | |
| Bischkek taz | „Als Taxifahrer kann man nicht mehr arbeiten. Sie fragen | |
| immer sofort: ‚Bist du Tadschike?‘ Ich antworte, dass ich aus Kirgistan | |
| komme. Trotzdem höre ich immer wieder unfreundliche Bemerkungen oder die | |
| vorwurfsvolle Frage, warum ich nicht in mein Heimatland zurückgehen würde“, | |
| erzählt Maksat (Name geändert), Taxifahrer in Moskau. Er arbeitet schon | |
| seit mehr als fünf Jahren in Russland. Verschiedene Jobs hat er | |
| ausprobiert, vom Bauarbeiter bis zur Küchenhilfe in einem kleinen | |
| Restaurant. Die letzten zwei Jahre saß er hinterm Steuer. [1][Er sagt, dass | |
| es immer schon viele Vorbehalte gegenüber Migranten in der Russischen | |
| Föderation gab.] Aber nach dem Anschlag vom 22. März habe sich die | |
| Intoleranz noch einmal verschärft. | |
| In der letzten Woche sind neue Angeklagte im Fall des [2][Terroranschlags | |
| in der Crocus-Konzerthalle] aufgetaucht. Einer von ihnen ist der 31-jährige | |
| Alisher Kasimow. Der Vater von vier Kindern stammt aus Kirgistan. Nach | |
| Angaben des russischen Außenministeriums hat er 2014 seine kirgisische | |
| Staatsangehörigkeit gegen die russische getauscht. Er ist Unternehmer und | |
| vermietet außerdem Wohnungen. In einer dieser Wohnungen lebten Tadschiken, | |
| die verdächtigt wurden, den Anschlag organisiert zu haben. | |
| Seit der Festnahme eines weiteren Migranten aus Zentralasien wird in | |
| Russland die Wiedereinführung einer Visaregelung für Bürger der ehemaligen | |
| Sowjetrepubliken diskutiert. Der Vorschlag dazu kam vom Vorsitzenden der | |
| Partei „Gerechtes Russland – Patrioten – Für die Wahrheit“, dem | |
| Fraktionsvorsitzenden der Partei in der Staatsduma. | |
| In Kirgistan wird diese Initiative missbilligend gesehen. Allein nach | |
| offiziellen Angaben sind mehr als 1,5 Millionen Kirgisen als | |
| Arbeitsmigranten in Russland. Doch wie viele Kirgisen dort tatsächlich | |
| leben, weiß niemand. Für Russland als Arbeitsort spricht vieles, vor allem, | |
| dass man dort ohne Arbeitserlaubnis und ohne Visum arbeiten kann. Hinzu | |
| kommt, dass das Durchschnittseinkommen in Moskau dreimal so hoch ist wie in | |
| der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. | |
| ## Gemeinsame Geschichte und Sprache mit Russland | |
| Weitere wichtige Faktoren sind die historischen Bezüge, die fehlende | |
| Sprachbarriere und die große kirgisische Diaspora, die über die Jahre in | |
| den Städten der Russischen Föderation entstanden ist. Viele meiner | |
| Landsleute haben neben ihrem kirgisischen Pass auch einen russischen. | |
| Andere haben mittlerweile die Staatsangehörigkeit gewechselt, wie Alisher | |
| Kasimow. | |
| In der gleichen Situation ist die Familie von Islam Chalilow, des | |
| Teenagers, der geholfen hat, Menschen aus der Konzerthalle zu evakuieren. | |
| Die Eltern des 15-Jährigen sind selbst vor vielen Jahren aus dem Süden | |
| Kirgistans zum Arbeiten nach Moskau gekommen. Und geblieben. Ihr Sohn wurde | |
| dort geboren. Islam ist russischer Staatsbürger. Es ist weit verbreitet in | |
| Kirgistan, dass junge, arbeitsfähige Familienmitglieder zum Arbeiten in | |
| andere Länder gehen, meistens nach Russland. Ihren Verdienst schicken sie | |
| den Eltern oder sparen für den Kauf eines Hauses in Bischkek. | |
| Aber häufig kommen die Arbeitsmigranten nicht wieder. Sie gründen Familien, | |
| bekommen Kinder und werden russische Staatsbürger. Nur diejenigen, die | |
| Kinder in Kirgistan haben, kehren in die Heimat zurück. Es gibt dafür sogar | |
| einen Begriff, „Migrantenkinder“. Dies sind Minderjährige, die bei ihren | |
| Angehörigen, häufig den Großeltern, aufwachsen oder unter der Aufsicht | |
| ihrer älteren Geschwister leben. | |
| Die Eltern schicken Geld für den Unterhalt und kommen einmal im Jahr nach | |
| Hause, um nach ihren Kindern zu sehen. „Mein Sohn und meine | |
| Schwiegertochter arbeiten schon seit zehn Jahren in Moskau. Sie sitzt in | |
| einem Supermarkt an der Kasse, er arbeitet auf dem Bau. Meine Enkel leben | |
| bei mir“, sagt die 78-jährige Nurilja-Apa. Sie ist eine dieser Großmütter. | |
| Schon viele Jahre kümmert sie sich allein um ihre drei Enkelkinder. Die | |
| Familie hat schon eine Wohnung in Bischkek kaufen können. Mittlerweile | |
| glauben sie allerdings nicht mehr daran, dass sie jemals in die Heimat | |
| zurückkehren. Oder die Kinder zu sich nach Moskau holen. Die alte Mutter | |
| wollen sie allerdings auch nicht allein lassen. | |
| ## Mehr Kontrollen nach dem Terroranschlag | |
| [3][Nach dem Anschlag in der Crocus City Hall] hat Nurilja-Apa mit ihrem | |
| Sohn telefoniert. Die Familie ist über Videocalls und Messengerdienste in | |
| Kontakt. „Er hat erzählt, dass es jetzt häufiger Kontrollen gibt. Sie gehen | |
| in die Wohnheime, in denen Migranten leben, und halten Menschen auch auf | |
| der Straße an. Diejenigen, deren Papiere nicht in Ordnung sind, werden | |
| festgenommen und aus Russland abgeschoben. Besonders tadschikische | |
| Staatsbürger geraten ins Visier, man geht sehr grob mit ihnen um, manchmal | |
| sogar brutal. Aber kontrolliert werden alle Zentralasiaten“, sagt die alte | |
| Frau. Sie hat auch große Angst, dass ihr Sohn zum Militär eingezogen und in | |
| den Krieg geschickt werden könnte. | |
| Bis jetzt sind viele Kirgisen um die Mobilisierung herumgekommen. Aber nach | |
| den Ereignissen in der Konzerthalle ist nicht ausgeschlossen, dass jetzt | |
| verstärkt Männer aus den Reihen der Arbeitsmigranten herangezogen werden, | |
| die die russische Staatsangehörigkeit haben. Solche Fälle gab es schon bei | |
| der ersten Mobilmachung im September 2022. Gleichzeitig appelliert | |
| Valentina Chupik, eine bekannte Menschenrechtsaktivistin, die Migranten | |
| kostenlos hilft, an die Zentralasiaten, Russland so schnell wie möglich zu | |
| verlassen, wenn sie nicht in den Krieg wollen. | |
| Einige haben auf sie gehört und sind in die Heimat zurückgekehrt, doch die | |
| meisten bleiben trotz des Risikos noch in Russland. Angriffe oder verbale | |
| Gewalt gegenüber Menschen mit asiatischem Aussehen sind keine Seltenheit | |
| mehr in Russland. Auch russische Staatsangehörige nichtslawischen Aussehens | |
| werden dabei nicht verschont. | |
| Am 24. März wurde eine Jakutin Opfer von Nationalisten: In einer | |
| Metrostation wurde sie von fünf jungen Männern umringt, einer von ihnen | |
| hatte einen Knüppel in der Hand. Sie bedrohten und beleidigten das Mädchen. | |
| Kein Passant griff ein. Nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall wurde | |
| häufiger über solche Angriffe berichtet, in den offiziellen russischen | |
| Medien tauchen sie hingegen nicht auf. Die Migranten sind bereit, über | |
| diese Vorfälle zu sprechen. Allerdings nur anonym, denn sie fürchten um ihr | |
| Leben. | |
| [4][Nach den Bildern von den brutal gefolterten Terrorverdächtigen] im | |
| Gerichtssaal können zentralasiatische Migranten in Russland nirgendwo mehr | |
| Schutz suchen. Sie können nur hoffen, Glück zu haben und nicht verhaftet zu | |
| werden. Und nicht ins Blickfeld nationalistisch gesinnter Menschen zu | |
| geraten. | |
| Aus dem Russischen Gaby Coldewey | |
| 2 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mahinur Niyazova | |
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