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# taz.de -- Freistaat auf Verbotsdroge: Söder vs. Cannabis
> Bei seinem Kreuzzug gegen das Kiffen kennt Markus Söder keine Grenzen.
> Lässt sich Bayern diese Wiederkehr des preußischen Obrigkeitsstaats
> gefallen?
Bild: Protest vor dem Gebäude der CSU-Landesleitung in München, 1. April 2024
„Die Grünen sind eine Verbotspartei. Ihnen fehlt das Bayern-Gen.“ (Markus
Söder)
Wir befinden uns im Jahre 2024 n. Chr. In ganz Deutschland wird gekifft.
Ganz Deutschland? Nein! [1][Ein von unbeugsamen Biertrinkern bevölkertes
Bundesland] hört nicht auf, der Cannabisfreigabe Widerstand zu leisten.
Vor allem der Häuptling des besagten Bundeslandes, der bayerische
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat es sich anscheinend zur Chefsache
erkoren, den kifffreudigen unter seinen Landeskindern die Frohbotschaft aus
Berlin bestmöglich zu versalzen: „Extremst restriktiv“ werde man das
Cannabisgesetz anwenden, „wer kiffen möchte, soll das woanders machen“.
„Woanders“ heißt: Unter Bußgeldandrohung zwischen 500 und 1.000 Euro nicht
in Sichtweite von Schulen oder Spielplätzen, nicht in der Fußgängerzone,
nicht auf Volksfesten, nicht in der Außengastronomie, nicht in Freibädern,
nicht in Freizeitparks, nicht an touristischen Sehenswürdigkeiten, nicht in
Parks wie dem Englischen Garten.
Nicht, nicht, nicht bei meiner Nichte. Die Ausnahmeregelungen dürften bald
derart ausgeweitet werden, dass die Ausnahme die Regel wird, und die
lautet: verboten. Alles. Überall. Was interessiert das Bundesrecht, wenn
der Föderalismus es zulässt, das Gendern, das Kiffen, das Protestieren und
alles andere, was sinnvoll ist oder Spaß macht (und damit auch wieder
sinnvoll ist), durch die legislative Hintertür so weit nur möglich zu
verhindern.
## Wie ein aufgewärmter Leberkas
Selbst der Kiffernähe höchst unverdächtige Schergen wie Innenminister
Joachim Herrmann (CSU) oder der Landesvorsitzende der Deutschen
Polizeigewerkschaft (DPolG), Jürgen Köhnlein, jaulen angesichts der kaum
gegebenen Durchführbarkeit dieser Aufgabe medienwirksam auf. Es mangelt an
Personal, Sisyphos war kein guter Polizist.
Aber scheiß auf die öffentliche Sicherheit, sobald süßliche Schwaden den
[2][Duft der Bierkotze] zu überdecken drohen. Söders Ehrgeiz ist es
offensichtlich, Bundesgesetze unbedingt so weit zu biegen, dass er sie
gerade mal nicht bricht, und wenn doch, hoppala, sorry, aber dann war das
Gesetz wohl auch nicht so stabil, wie es zum Beispiel die bayerischen
Gesetze sind, gute Gesetze, Polizeigesetze, hart wie Maßkrüge und langlebig
wie ein aufgewärmter Leberkas.
Die Einhaltung der Gesetze muss natürlich buchstabengetreu überwacht
werden. So stellt die bayerische Grenzpolizei zurzeit verstärkt aus
Österreich (wo der Konsum von THC weiterhin illegal bleibt, während das
Ziehen der Pflanze bis zur Blüte erlaubt ist) eingeführte Cannabispflanzen
sicher. Denn in Deutschland sind mit der Teillegalisierung zwar Aufzucht,
Besitz und Nutzung von bis zu drei Hanfpflanzen gestattet, die Einfuhr
fertiger Jungpflanzen bleibt jedoch verboten.
Das muss man nicht verstehen, weil man es nicht verstehen kann. So wirkt
die auf einen Flickenteppich aus unausgegorener praktischer Handhabe und
vage angedachten Sonderregelungen zum Jugendschutz gebettete Freigabe
bereits auf Bundesebene wirr und konzeptlos. Fast könnte man meinen, bei
all diesen Nicht-, Halb-, Fehl- und Vollentscheidungen wären notorische
Missbrauchskiffer federführend am Werk gewesen.
## Kifferfeindlicher Sonderweg
In diese vielen Lücken in der [3][Gesetzeslage] – so fehlt beispielsweise
bislang ein bundesweiter Bußgeldkatalog für etwaige Verstöße – preschen
jetzt eben die Bayern mit ihrem eigenen Regelwerk (siehe oben). Womöglich
hätte man in normalen Bundesländern auf eine Strafverfolgung der sich
keiner Schuld bewussten, armen Wichte mit ihren Krepelpflanzen made in
Austria verzichtet, denn allzu widersinnig erscheint hier die Gesetzeslage.
Doch in Bayern wird das Vergehen konsequent angezeigt. Hier sieht man darin
nur ein weiteres Tool, um den eigenen kifferfeindlichen Sonderweg mit
abschreckenden Maßnahmen zu pflastern.
Denn Bayern hat eine großartige Tradition an scharfen Kontroll-,
Unterdrückungs- und Abwehrmechanismen. Hausdurchsuchungen wegen zwei Gramm
Gras waren nicht unüblich. Auch haben verschiedene Freunde wiederholt davon
berichtet, wie verlässlich sie über all die Jahre und Jahrzehnte hinweg
gefilzt und schikaniert wurden. Damals auf der A9 an der innerdeutschen
Grenze in Rudolphstein, immer auch schon an der österreichisch-bayerischen
Grenze bei der Einreise nach Deutschland, und nicht selten von
Zivilfahrzeugen mitten auf bayerischen Autobahnen. Hairstyle Profiling,
Carstyle Profiling, was auch immer. Grüße aus Drangsal.
Bloß schade, dachte man sich damals wie heute, dass man die verzeckten
Strolche nicht auch einfach abschieben kann. Während der Bulli des
langhaarigen Terroristen mit einem kernigen „So Bürscherl, etzad hamma di!“
von mehreren Beamten auf der Standspur nach Katzenkraut durchsucht und
dabei „aus Versehen“ gründlich demoliert wurde, rauschte (sic!) ein
nichtendenwollender Strom [4][besoffener CSU-Lokalpolitiker] in ihren BMWs
vorüber, lachend, winkend, man kennt sich. Schöne Zeiten waren das, die
nach den Vorstellungen des Landesfürsten doch bitte niemals enden mögen.
18 Apr 2024
## LINKS
[1] /Braune-Tradition-zwischen-Main-und-Alpen/!5956403
[2] /Merz-ueber-Gillamoos-und-Kreuzberg/!5955170
[3] /Datenspeicherung-bei-Cannabis-Clubs/!6000363
[4] /Betrunkene-Gruene-zeigt-Hitlergruss/!5985650
## AUTOREN
Uli Hannemann
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