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# taz.de -- Tucholsky-Museum in Rheinsberg: Am Ende verliert die Demokratie
> Das Tucholsky-Literaturmuseum ist durch Sparpläne der Freien Wähler
> bedroht. Zu seiner Rettung ziehen SPD, CDU und Linke an einem Strang.
Bild: Schauplatz des Konflikts: das Rheinsberger Schloss, das auch das Literatu…
Berlin taz | Das Städtchen [1][Rheinsberg] im Landkreis Ostprignitz-Ruppin
gehört zu den beliebtesten Brandenburger Ausflugsorten der BerlinerInnen.
Die Interessen sind dabei durchaus unterschiedlich: Manche zieht es
dorthin, weil der seenreiche Norden des Nachbarlands eine Idylle für
Paddlerinnen oder Hausboot-Liebhaber ist, andere träumen sich im hübschen
[2][Rheinsberger Schlösschen] zurück in die Jugendjahre von Preußenkönig
Friedrich. Für viele ist Rheinsberg aber die Tucholsky-Stadt: Der politisch
engagierte Publizist verbrachte hier viel Zeit, widmete dem Ort die
populäre Erzählung [3][„Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“] – u…
seit 1991 erinnert an ihn ein Museum, das ebenfalls im Schloss
untergebracht ist.
[4][Dieses Museum] steht nun auf der Kippe, zumindest als ernst zu nehmende
Kulturinstitution, die nicht nur Handschriften von Kurt Tucholsky oder
Gegenstände aus seinem Besitz sammelt und zeigt, sondern auch bereits
Hunderte Lesungen veranstaltet hat und regelmäßig StadtschreiberInnen aus
Deutschland und der ganzen Welt beherbergt.
Geleitet wurde das Kurt Tucholsky Literaturmuseum über 30 Jahre lang von
dem Literaturwissenschaftler Peter Böthig, der Ende März in den Ruhestand
ging. Eine Nachfolge mit entsprechender Expertise soll es nach dem Willen
des Rheinsberger Bürgermeisters aber nicht geben: Er will den Posten mit
der Leitung des örtlichen Tourismusmanagements zusammenlegen, um Geld zu
sparen.
Der Widerstand gegen diese Richtungsentscheidung ist in der Kulturszene
groß, aber Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow von den Freien Wählern (FW)
kümmert das wenig. Hinter ihm steht eine achtköpfige Fraktion in der
Rheinsberger Stadtverordnetenversammlung (SVV) mit engen Verbindungen zur
AfD*. Der Linken-Stadtverordnete Freke Over bezeichnet diese Konstellation
unter dem Freie-Wähler-Label als „das erfolgreichste Projekt der AfD in
Brandenburg“. Mit einem teuren Museum für jemanden wie Tucholsky können die
Rechten offenbar herzlich wenig anfangen.
## Der Kreis will die Trägerschaft
Argumentiert wird von ihnen mit den Kosten des Museums, die bei jährlich
rund 250.000 Euro liegen, von denen freilich rund 80.000 aus Fördermittel
des Landes, des Landkreises und auch des Bundes refinanziert werden. Die
Möglichkeit eines Weiterbetriebs zu einem deutlich geringeren Preis für die
Stadt liegt auch längst auf dem Tisch: Der Landkreis will die Trägerschaft
des Museums übernehmen. Das hat Schwochow bislang verhindert, unter anderem
indem er ankündigte, dem Kreis in diesem Fall nur noch einen Zuschuss von
15.000 Euro zahlen zu wollen. Dabei ist das Museum ein wichtiger
Tourismusfaktor für die Stadt mit rund 8.000 Einwohnern.
Am Dienstag schlugen die Rheinsberger SVV-Fraktionsvorsitzenden von SPD,
CDU und der Linken Alarm und luden zusammen mit Peter Böthig zu einem
gemeinsamen (digitalen) Pressegespräch. Der gerade ausgeschiedene
Museumsleiter erläuterte noch einmal die Bedeutung des Tucholsky-Museums:
Nicht nur habe man die Einrichtung seit 1991 zu einem „europaweit
anerkannten literarischen Ort entwickelt“, auch begeistere die Person Kurt
Tucholskys – der sich in der Weimarer Republik auch als Herausgeber der
Weltbühne gegen die Auflösung der Demokratie eingesetzt habe und von den
Nazis ins Exil und 1935 den Freitod getrieben worden sei –, die Menschen
noch immer. „Wir sind also auch ein demokratiefördernde Einrichtung und
haben eine Tradition aufrechtzuerhalten“, so Böthig.
Für Freke Over – der in den 1990er Jahren für die damalige PDS im Berliner
Abgeordnetenhaus saß – ist völlig klar, dass die Torpedierung des Museums
ideologische Gründe hat. Er wirft dem Bürgermeister argumentative Tricks
vor: So behaupte der, wegen des teuren Museumsbetriebs könne sich die
Gemeinde Wege- und Schulsanierungen nicht leisten. „Da bindet er der
Öffentlichkeit einen Bären auf“, so Over – schließlich werde das Museum …
Mitteln der Kurtaxe und weiteren zweckgebundenen Geldern für die
Tourismusförderung finanziert. „Die können für eine Schule überhaupt nicht
ausgegeben werden.“
Aus Sicht der SPD-Fraktionsvorsitzenden Ulrike Liedtke ist alles zu
unternehmen, um zu verhindern, dass das Museum zu einem Raum verkomme, „den
man auf- und zuschließt, ohne jedes Programm“. Ihr zufolge konnten der
Bürgermeister und die Freien Wähler bei der letzten SVV-Sitzung am 8. April
ein Votum gegen Schwochows Pläne verhindern, indem sie einen
SPD-Verordneten, der im Urlaub war, nicht digital abstimmen ließen. So kam
es zu einem Patt, obwohl SPD, CDU und Linke zusammen mit einem einzelnen
FDP-Verordneten in diesem Punkt eigentlich eine Mehrheit von 9:8 gehabt
hätten.
Jetzt wollen die drei Fraktionen einen neuen Anlauf machen: Sie haben für
Ende April eine SVV-Sondersitzung beantragt, auf der sie einen
Übernahmevertrag, den der Landkreis bereits erarbeitet hat, zur Abstimmung
stellen wollen. Nach diesem Vertrag ginge das Museum zum 1. Juni 2024 in
das Eigentum des Kreises über, die Zahlungen der Stadt Rheinsberg beliefen
sich auf 85.000 Euro jährlich.
Ob das klappt, bleibt abzuwarten. In jedem Fall wird die Zeit knapp, denn
am 9. Juni finden landesweit Kommunalwahlen statt. Im schlimmsten Fall
könnte das „erfolgreichste Projekt der AfD in Brandenburg“ mit einer noch
klareren Mehrheit in Rheinsberg daraus hervorgehen.
*In der ersten Version des Textes war davon die Rede, dass in der
FW-Fraktion AfD-Mitglieder sitzen. Das lässt sich allerdings nicht mit
völliger Sicherheit sagen. Sicher ist: Bei den letzten Kommunalwahlen
kandidierten ausgewiesene AfDler auf der Liste von BWB/FW, einer davon zog
auch in die Rheinsberger SVV ein. Dieser Stadtverordnete ist allerdings
mittlerweile krankheitsbedingt ausgeschieden.
16 Apr 2024
## LINKS
[1] https://www.rheinsberg.de/home.html
[2] https://www.spsg.de/schloesser-gaerten/objekt/schloss-rheinsberg/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinsberg:_Ein_Bilderbuch_f%C3%BCr_Verliebte
[4] https://www.tucholsky-museum.de/museum.html
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Brandenburg
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Kulturförderung
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