# taz.de -- Mentale Gesundheit im Journalismus: Arbeit im Haifischbecken | |
> An der Helpline von Netzwerk Recherche helfen Journalist*innen ihren | |
> Kolleg*innen. Das verbessert aber nicht die mentale Gesundheit am | |
> Arbeitsplatz. | |
Bild: AfD-Veranstaltungen wie diese können große Anspannung erzeugen. Vor all… | |
Hallo, hier ist die Helpline. Schön, dass du anrufst. Worüber möchtest du | |
reden? So beginnt ein Gespräch am ersten anonymen und kostenlosen | |
Telefonberatung für mental belastete Journalist:innen. Das Besondere: Am | |
Hörer sitzen Journalist:innen. „Das Peer-Support-Konzept ist ein ganz neuer | |
Ansatz im Journalismus“, sagt Projektleiter Malte Werner. | |
Die Helpline ist ein Projekt vom Journalismusverein Netzwerk Recherche e. | |
V. und dem Dart Center for Trauma and Journalism der Cambridge University | |
New York, einem Informations-Hub zu den Themen Journalismus und Trauma. | |
[1][Was im November 2023 als Testphase begonnen hat, geht in diesem | |
Frühjahr in den Regelbetrieb], gefördert von der Bundesregierung. | |
Ute Korinth ist eine von 14 Peers, die mehrmals im Monat eine Schicht | |
übernehmen. „Der Austausch mit Menschen aus dem gleichen Berufsfeld ist | |
sehr wichtig“, sagt die Journalistin und Resilienztrainerin. Zur | |
Vorbereitung wurden die Peers im aktiven Zuhören, Fragenstellen und | |
psychologischer Erste Hilfe geschult. | |
Die meisten Anrufer:innen fangen direkt an zu erzählen. „Da merkt man, | |
dass das Thema schon lange unter den Nägeln brennt“, sagt Korinth. Viele | |
seien froh, wenn jemand mal aufmerksam zuhört. Zwar werde mittlerweile mehr | |
über mentale Gesundheit berichtet, dennoch seien psychische Erkrankungen | |
noch immer mit einem Stigma belegt. „Viele befürchten, ihr Problem sei | |
nicht wichtig genug oder sie würden anderen die Zeit wegnehmen“, betont der | |
Projekteiter. Man müsse aber nicht erst traumatisiert aus einem | |
Kriegsgebiet kommen, um bei der Helpline anrufen zu dürfen. | |
## Fehlende Wertschätzung | |
Ein Drittel der Anrufe bisher waren Freie, die meisten Anrufer:innen | |
weiblich. Als Gründe nennen die meisten beruflichem Stress. „Als | |
Berufsgruppe, die in der Öffentlichkeit steht, stehen wir unter besonderem | |
Druck“, sagt Korinth. Laut [2][einer Studie des Hans-Bredow-Instituts aus | |
dem Jahr 2023 leidet nahezu jede:r zweite Journalist:in] in Deutschland | |
oft oder sehr oft unter Stress bei der Arbeit, insbesondere im | |
Privatfernsehen und Agenturjournalismus. | |
Dies erklärt sich Korinth mit dem steigenden Workload, fehlender | |
Wertschätzung aus der Gesellschaft und Sorge vor künstlicher Intelligenz. | |
„Leider wird das in Zukunft nicht besser. Das geht natürlich auf die | |
Gesundheit“, sagt Korinth. | |
Der Projektleiter der Helpline sieht die Stressursache in der großen | |
Medienkrise der Jahrtausendwende. „Durch das Internet kamen viele neue | |
Aufgaben hinzu“, sagt er. Waren es zunächst „nur“ Texte für die Website, | |
die Journalist:innen erstellen mussten, kam vor ein paar Jahren Social | |
Media hinzu. Gleichzeitig wurden viele Stellen abgebaut. | |
## Mehr Arbeit, weniger Personal | |
Das merkt auch Katharina Hamm. Die Journalistin möchte aus Angst vor | |
beruflichen Konsequenzen anonym bleiben, die taz hat deshalb ihren Namen | |
geändert. „Es liegt immer mehr Arbeit auf dem Rücken weniger Arbeitenden. | |
Da bleibt keine Zeit für Freundlichkeit“, erzählt sie. Die 32-Jährige | |
arbeitet als Social-Media-Redakteurin für eine TV-Nachrichtensendung beim | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ihr Arbeitsklima beschreibt sie als | |
„Haifischbecken“. | |
Dazu kommen ihre Depressionen. Die habe sie zwar nicht durch den Beruf | |
bekommen, aber durch ihn würden sie verstärkt. „An manchen Tagen geht der | |
Job echt auf mein Selbstbewusstsein“, sagt sie. Sie habe sich zum Teil | |
damit abgefunden, dass sich im Journalismus eben viel um Egos und | |
Hierarchien drehe. „Es wird viel hinter dem Rücken über andere | |
Kolleg:innen geredet, in einem sehr herablassenden Ton. Ich würde mich | |
nicht wundern, wenn sie auch schlecht über mich reden“, sagt die | |
Journalistin. Damit wäre sie nicht die einzige: Laut der Hans-Bredow-Studie | |
sind knapp 16 Prozent der Befragten von Mobbing am Arbeitsplatz betroffen. | |
Als Social-Media-Redakteurin sieht sich Hamm als „unterstes Glied der | |
Nahrungskette“. Manche Redakteur:innen behandelten sie wie Luft. | |
„Obwohl ich seit zwei Jahren dort arbeite, haben sich einige | |
Kolleg:innen nicht mal meinen Namen gemerkt“, sagt sie. Das sei aber | |
auch ein strukturelles Problem: Die Redaktion ist groß, es wird viel | |
rotiert. Laut Otto-Brenner-Studie von 2022 haben fast 60 Prozent aller | |
Befragten – insbesondere Nachwuchsjournalist:innen – wiederholt | |
darüber nachgedacht, ihren Job aufzugeben. Warum sie trotzdem bleibt? „Der | |
Job ist gut bezahlt und gibt mir Stabilität“, sagt sie. | |
## Hatespeech und Angriffe | |
Weitere Stressfaktoren im Journalismus sind laut der Hans-Bredow-Studie | |
sexuelle Belästigung und Hass im Netz. Seit 2018 haben fast 60 Prozent der | |
Befragten erniedrigende oder hasserfüllte Äußerungen in Bezug auf ihre | |
Arbeit erlebt, 26 Prozent wurden bedroht oder eingeschüchtert. | |
Für solche Beispiele muss man etwa auf X nicht lang suchen. Dort schreibt | |
zum Beispiel die Reporterin Sophia Maier, dass „Journalist:innen, die | |
sichtbar und meinungsstark sind, [immer wieder] öffentlich herabgewürdigt“ | |
würden. Nach einem Interview mit einem AfD-Abgeordneten wurde sie Opfer | |
mehrerer Shitstorms, inklusive Diskreditierung ihrer Arbeit in einer | |
AfD-Pressemitteilung. | |
[3][Journalist:innen sorgen sich auch um ihr körperliches Wohl.] „Als | |
ich noch zur Uni ging, sollte man auf keinen Fall Security zur Demo | |
mitnehmen, weil es eine Barriere schafft“, erinnert sich | |
Helpline-Projektleiter Werner. Mittlerweile sei ein Sicherheitsteam oft | |
Standard. Laut Hans-Bredow-Studie fürchten zudem 41 Prozent, dass ein | |
Angriff gegen Medienschaffende in Deutschland nicht bestraft werde. | |
Insbesondere bei Kriegsberichterstatter:innen und mexikanischen | |
Journalist:innen, die über den Drogenhandel berichten, bestünde laut Dart | |
Center ein hohes Risiko für psychische Erkrankungen – vor allem, wenn die | |
äußeren Stressoren auf bereits vorhandene Burn-out-Symptome, Ängste oder | |
Depressionen treffen. | |
## Kein Therapieersatz | |
Kann eine Telefonberatung da Abhilfe schaffen? „Unser Anspruch ist es | |
nicht, eine Therapie zu ersetzen, sondern ein unverbindliches Gespräch | |
unter Kolleg:innen anzubieten“, sagt der Projektleiter. Durch die | |
Helpline können unangenehme Gefühle wahrgenommen und ausgesprochen werden. | |
„Die kollegiale Unterstützung kann mögliche Scham- und Schuldgefühle | |
verringern“, betont Tabea Grzeszyk vom Dart Center. | |
Dass auch nicht jede:r Journalist:in aus einem Kriegsgebiet automatisch | |
psychisch krank wird, hat einen Grund. Wir können an unserer Resilienz | |
arbeiten. „Über ihre Berichterstattung nehmen Medienschaffende eine aktive | |
Rolle ein, durch die sie das Erlebte besser verarbeiten können“, sagt | |
Grzeszyk. | |
Dadurch bekommt der Beruf einen Sinn – ein wichtiger Faktor für die mentale | |
Gesundheit. Während man äußere Belastungsfaktoren nur bedingt ändern kann, | |
kann man Einfluss auf die eigenen Schutzfaktoren nehmen. Insbesondere | |
soziale Beziehungen wirken der Einsamkeit und Isolation entgegen und | |
stärken die Resilienz. | |
Zur Selbstfürsorge empfiehlt das Dart Center Sport, spazieren, meditieren, | |
Austausch mit Freund:innen und Familie, ausgewogene Ernährung und | |
ausreichend Schlaf. Leichter gesagt als getan. Eine gesunde Abgrenzung vom | |
Job kann nämlich auch missverstanden werden. „Wer erlaubt sich eine | |
Mittagspause außerhalb der Redaktion, wenn der Rest sein aufgewärmtes Essen | |
am Arbeitsplatz bei laufendem Nachrichtenticker zu sich nimmt?“, fragt | |
Grzeszyk vom Dart Center. | |
## Über Depressionen berichten | |
Martin Gommel ist Reporter für psychische Gesundheit bei Krautreporter. | |
„Wenn du krank bist, ist das eine andere Realität, die sich nicht mit | |
Badezusätzen und einem Wellnesswochenende gut machen lässt“, sagt er. Dass | |
„irgendwas nicht stimmt“, das wusste er eigentlich schon immer. Das erste | |
Mal diagnostiziert wurde ihm seine Depression 2010 in der Psychiatrie. Zu | |
dem Zeitpunkt war Gommel noch als Fotograf und Blogger tätig. | |
Acht Jahre und zahlreiche Krankenhausaufenthalte später veröffentlichte er | |
zum ersten Mal einen Text über seine Depressionen. „Ich fand es wichtig, | |
der Öffentlichkeit zu zeigen, wie das so ist, wenn man depressiv wird und | |
in die Klinik muss. Insbesondere als Mann, weil sich Männer tendenziell bei | |
Depressionen eher zurückziehen“, erzählt er. Mehr Berichterstattung führe | |
nur leider nicht zu mehr Therapieplätzen. | |
Mit seinen Texten will er Menschen ins Gespräch bringen, die nicht gesehen | |
werden. Gerade im Journalismus, wo viel Druck herrscht, lassen sich viele | |
psychische Krankheiten nicht anmerken. „Zu Hause brechen sie dann | |
zusammen“, sagt er. Manchmal stellt sich Martin Gommel vor, wie es wäre, | |
wenn Menschen ihre Krankheiten nicht mehr auf der Arbeit verheimlichen | |
müssten. „Es macht einsam, wenn du krank bist und an dem Ort, wo du viel | |
Zeit verbringst, nicht mal darüber sprechen kannst“, sagt er. Und selbst | |
wenn Betroffene offen darüber reden, seien sie nicht vor dummen Sprüchen | |
geschützt à la „aber die Sonne scheint doch“. | |
Gommel selbst habe noch nie ein Krisentelefon wie die Helpline angerufen. | |
„Die Hemmschwelle ist extrem groß“, sagt er. Aber es sei ein Kanal für | |
Menschen, die sonst niemanden in ihrem Umfeld haben. So sehr er das Angebot | |
schätzt, wünscht er sich, dass es die Helpline nicht bräuchte. „Dass man | |
eine externe Nummer braucht, zeigt, dass man innerhalb der Arbeit nicht | |
reden kann. Das ist ein Problem“, sagt er. „Aber allein die Tatsache, dass | |
es meinen Job gibt, ist ein gutes Zeichen, dass sich etwas ändert, eine | |
Form der Anerkennung“, sagt er. | |
[4][Die Helpline ist Montag und Dienstag] von 18–20 Uhr, Donnerstag von | |
16–18 Uhr und Freitag von 8–10 Uhr unter der (0 30) 75 43 76 33 erreichbar. | |
Mehr Infos zur Selbstfürsorge: Dart Center www.jtsn.org/dart-center | |
14 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Hilfetelefon-fuer-Journalistinnen/!5900812 | |
[2] https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/89555/ssoar-2023-loo… | |
[3] /Angriffe-auf-Journalistinnen/!6000591 | |
[4] https://netzwerkrecherche.org/helpline/ | |
## AUTOREN | |
Elisa Kautzky | |
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