| # taz.de -- Filmfestival „achtung berlin“ wird 20: Made in Berlin (und Bran… | |
| > Seit 20 Jahren bringt das Festival „achtung berlin“ Produktionen aus der | |
| > Hauptstadtregion auf die Leinwand. Alternative Lebensentwürfe sind im | |
| > Fokus. | |
| Bild: Aufm Dach in der Liebigstraße in Berlin-Friedrichshain: eine Szene aus d… | |
| Berlin taz | Was für eine gute Wahl. [1][„Berlin Utopiekadaver“] von | |
| Johannes Blume ist eine von 12 Produktionen, die im | |
| Dokumentarfilm-Wettbewerb bei der diesjährigen Ausgabe des „achtung berlin | |
| Filmfestival“ laufen, das am Mittwoch beginnt – es findet diesen April zum | |
| 20. Mal statt. Gäbe es eine taz-Jury, wäre dem Film wohl ein Preis gewiss. | |
| „Berlin Utopiekadaver“ porträtiert die sich auflösende Hausbesetzerszene, | |
| die kaum noch Platz findet in der Stadt. Blume steigt mit einer | |
| Trauerzeremonie ein, bei der Schilder getragen werden, die im Stile einer | |
| Todesanzeige Namen von geräumten Orten – vom Tacheles über die Liebig34 bis | |
| hin zum Syndikat – zeigen. Der Film ist eine Art Zeitreise, er zeigt | |
| Protestaktionen und Polizeiaufmärsche. Die Kamera war auch bei Räumungen | |
| wie der des Køpi-Platzes dabei. | |
| Johannes Blume lässt seinen vielen, oft stadtbekannten | |
| Protagonist:innen gebührend Zeit, ihre Geschichte zu erzählen. Das | |
| macht sie nahbar. Ihre Motivation, geschützte Freiräume zu schaffen, wird | |
| deutlich. Mit dem [2][Tuntenhaus] in der Kastanienallee ist auch ein akut | |
| von Schließung und Räumung bedrohtes queeres Hausprojekt dabei – wir sehen | |
| unter anderem den Bewohner:innen dabei zu, wie sie ein Frühstück im | |
| Innenhof vorbereiten, das allen Bedürftigen offen steht. | |
| Letztlich geht es allen um Kapitalismuskritik, aber die ist ja doch aus der | |
| Mode gekommen… „Die Liebig war eine Utopie“, sagt eine Protagonistin. Da | |
| ist Resignation zu spüren, aber auch ein Unglaube angesichts der | |
| Entwicklung der vergangenen Jahre: „Die Stadt hat sich total verändert“, | |
| sagt ein anderer Protagonist, die Gentrifizierung kritisierend. „Es | |
| herrscht eine repressive Stimmung.“ | |
| ## „Das sympathischste Filmfest Berlins“ | |
| „Berlin Utopiekadaver“ – eine Koproduktion der Berliner Filmproduktion | |
| „Filmgalerie 451“ mit dem ZDF – ist also ein gutes Beispiel für den | |
| Anspruch von „achtung berlin“, dem Filmfestival für junges deutsches Kino | |
| aus Berlin und Brandenburg, das Programm mit ambitionierten Produktionen zu | |
| bestücken. | |
| Filmwissenschaftlerin Regina Kräh, die zusammen mit Sebastian Brose das | |
| Festival leitet, beschreibt das Festival auf Nachfrage so: „Es ist das | |
| sympathischste und größte deutschsprachige Filmfest Berlins“ und fügt | |
| hinzu: „Wir sind eine Art Leistungsschau des deutschen Kinos, das auch | |
| international geprägt ist.“ Filme müssen eines von drei Kriterien erfüllen, | |
| so Kräh, die seit zehn Jahren beim Filmfestival dabei ist: „Entweder ist | |
| die Regisseurin/der Regisseur wohnhaft in Berlin, die Produktion oder | |
| Co-Produktion ist in Berlin ansässig – oder die Region ist der Drehort.“ | |
| Co-Festivalleiter Sebastian Brose ist von Anfang dabei. Es ist über 20 | |
| Jahren her, als er zusammen mit seinem „Kompagnon“ Hajo Schäfer das | |
| Festival aus der Taufe hob. Schäfer hatte zuvor schon für mehrere | |
| Filmfestivals gearbeitet und hegte die Idee zum eigenen Festival. Brose, | |
| von Hause aus Literaturwissenschaftler, hatte sich mit dem Poesiefestival | |
| der „Literaturwerkstatt Berlin“ einen Namen gemacht. | |
| „Es gab nur die Berlinale und die war so international“, erzählt Brose üb… | |
| die Beweggründe von damals, ein eigenes Filmfestival zu gründen. „Und es | |
| gab keine Filme aus Berlin oder Brandenburg zu sehen. So ist die Idee für | |
| unser Filmfestival entstanden. Wir sahen die Notwendigkeit für ein | |
| Schaufenster für Filme aus Berlin und Brandenburg.“ Es vergingen dann noch | |
| eineinhalb Jahre mit der Arbeit am Konzept etc., bevor „achtung berlin“ im | |
| Jahr 2005 zum ersten Mal über die Bühne ging. „Damals noch im Kino in den | |
| Hackeschen Höfen“, wie Brose zurückblickt, „und nur vier Tage lang“ –… | |
| mit einer Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds. | |
| ## Fast 100 Produktionen im Programm | |
| Das seit dem deutlich gewachsene Festival beginnt am Mittwoch und geht bis | |
| zum 17. April. Als Eröffnungsfilm ist im historischen Saal des Kinos | |
| Colosseum im Prenzlauer Berg der Wettbewerbsfilm [3][„Milchzähne“] zu | |
| sehen. Sophie Bösch erzählt darin von einem isolierten Dorf in nicht allzu | |
| ferner Zukunft, in dem Aberglaube und Misstrauen die Gesellschaft | |
| beherrschen. Es gibt allein 12 Wettbewerbsfilme in der Kategorie | |
| „abendfüllender Spielfilm“, allesamt Berlin-Premieren. Das Programm weist | |
| fast 100 Produktionen aus (jubiläumsbedingt sind es gut zwei Dutzend mehr | |
| als sonst). Das lockt im Durchschnitt 10.000 Gäste an. | |
| Einen ganz eigenen Blick auf Berlin gewährt das Jubiläumsprogramm, das | |
| Streifen von Filmschaffenden aus aller Welt zeigt, die in Berlin leben. Ein | |
| Rahmenprogramm lädt zum Diskutieren ein. Es gibt die Talkreihe „Klappe | |
| Auf!“ oder Panels etwa zu den sonst allzu oft vergessenen Filmgewerken | |
| Szenen- und Kostümbild unter dem schönen Titel „Ach, das wurde | |
| hergestellt?“. | |
| Apropos: Täuscht der Eindruck, dass noch vor ein paar Jahren viel mehr | |
| Filme und Serien in Berlin gedreht wurden? Gefühlt alle paar Wochen war | |
| irgendeine Straße wegen Dreharbeiten gesperrt – und die Anwohner:innen | |
| genervt. | |
| „Corona war sicher eine schwere Zeit auch für die Filmbranche“, sagt Brose. | |
| „Aber Berlin und Brandenburg haben in der Vergangenheit ja viel dafür | |
| getan, dass die Filmleute hierher kamen. Es gab ja den Hype: die | |
| Amerikaner, die in Babelsberg ihre Filme drehten; der Serienboom Ende der | |
| 2010er Jahre.“ Aber auch heute werde noch viel gemacht. Bosse erzählt von | |
| einer Landkarte Brandenburgs beim [4][Medienboard], „die zeigt, was es dort | |
| überhaupt für tolle Drehorte gibt“. | |
| ## „Auf Augenhöhe mit dem Publikum“ | |
| Kräh sagt: „Von diesem Boom hatte unser Festival profitiert.“ Eine | |
| Besonderheit ist ihr wichtig: Das Schöne sei, „dass es eher die | |
| mittelständischen Unternehmen und Filmschaffenden sind, die das Festival | |
| abbildet. Also nicht die großen Player wie auf der Berlinale.“ | |
| Selbstverständlich besuchen auch Berlinale-Fans das „achtung | |
| berlin“-Festival, sagt Kräh. „Viele von ihnen sagen dann immer, ach wie | |
| schön ist das bei euch!“ Denn auf der Berlinale sind „immer alle bussy und | |
| haben gar keine Zeit, Filme zu schauen. Das können sie dann bei uns – oder | |
| sich mit Kollegen austauschen.“ | |
| Das klingt nach einer entspannten Atmosphäre. Und so lautet dann auch ein | |
| Werbespruch: „Auf Augenhöhe mit dem Publikum und ohne Absperrgitter!“ Hier | |
| gibt es keine Limousinen, die vorfahren mit den Stars. Hier kommen die | |
| Filmschaffenden, weil sie ja meist in Berlin leben, oder auch bekannte | |
| Schauspieler:innen, einfach mit dem Fahrrad zum Festivalkino, erzählt Kräh. | |
| Hier wird genetzwerkt, hier findet mancher neue Film einen Verleih, hier | |
| entstehen Kooperationen (etwa mit dem RBB). | |
| Bei uns „läuft das anspruchsvolle Arthouse-Kino“, sagt Sebastian Brose – | |
| nur eben mit Bezug zur Region. Ein vergleichbares Festival von der | |
| Grundidee her in Köln oder Hamburg wäre deshalb auch nicht vorstellbar. „Da | |
| käme vielleicht eine kleine Sektion zusammen, aber nicht so viel, wie in | |
| Berlin rumkommen.“ Berlin wäre eben eine filmfreundliche Stadt. „Und | |
| natürlich“, sagt Regina Kräh, „profitieren wir vom Filmnachwuchs, der in | |
| Berlin und Potsdam an den staatlichen Hochschulen, aber auch den vielen | |
| privaten Schauspielschulen ausgebildet wird.“ | |
| Und wenn sich die beiden etwas für die Zukunft wünschen könnten? „Volle | |
| Kinosäle“, sagt Kräh. „Und, klar, auch eine gesicherte Finanzierung, damit | |
| man mittelfristig planen kann“, ergänzt Brose. Dazu muss man wissen, dass | |
| das Filmfestival vom Medienboard Berlin-Brandenburg wie viele andere | |
| Projekte in Berlin auch immer wieder neu von Jahr zu Jahr gefördert werden. | |
| 10 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://achtungberlin.de/2024/berlin-utopiekadaver | |
| [2] /Verkauf-des-queeren-Projekts-Tuntenhaus/!5998687 | |
| [3] https://achtungberlin.de/2024/milchzaehne | |
| [4] https://www.medienboard.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hergeth | |
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