# taz.de -- Hürden der Bürgerbeteiligung: Eine echte Herausforderung | |
> Es gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Partizipation ist das noch | |
> nicht. Vor allem aber irritiert unsere Kolumnistin der Tonfall, der oft | |
> herrscht. | |
Bild: BürgerInnen im bestimmt konstruktiven Gespräch | |
Es tut mir leid, aber ich muss in dieser Kolumne nochmal auf das Thema | |
[1][meiner letzten zurückkommen]: Ich hatte da darüber nachgedacht, wie | |
Verkehrsberuhigung in meinen Kiez in Berlin-Neukölln durchgesetzt wird und | |
welche exklusive Form von Bürgerbeteiligung dabei wohl angewendet wurde, | |
die an mir als anwohnender (damals noch) Lokaljournalistin – und als solche | |
eigentlich gut informiert – vorbeigegangen ist. Ich habe auf diese Kolumne | |
so viele Reaktionen bekommen, dass ich darauf gerne eingehen möchte. Denn | |
manche davon haben mich wirklich schockiert. | |
Da schrieb mir etwa jemand, dass in Berlin doch alle Beteiligungsverfahren | |
auf der Webseite [2][mein.berlin.de] veröffentlicht würden. Das stimmt, | |
allerdings ist dies eine Plattform für dafür qualifizierte und damit | |
keineswegs für alle Bürger*innen. Man muss über ein internetfähiges | |
Endgerät und eine E-Mail-Adresse verfügen, zudem braucht man einiges Wissen | |
über Lokalpolitik und Partizipationsverfahren, um die Seite zu verstehen, | |
und muss sehr gerne sehr viel lesen und auch Zeit dazu haben und ziemlich | |
anspruchsvolles Deutsch verstehen können. | |
Was man aber übrigens nicht sein muss – da ist die Webseite überraschend | |
inklusiv –, ist Berliner*in: Jede Person mit E-Mail-Adresse kann sich auf | |
der Seite anmelden und ihre Meinung zu den sehr lokalen verkehrspolitischen | |
und sonstigen Projekten in die Beteiligungsverfahren einbringen. | |
Nach welchen Kriterien diese Meinungen dann Eingang in die Verfahren | |
finden, dazu gibt es auf der Webseite keine Erläuterung. In den knapp 200 | |
Seiten Text über „Präsentationsveranstaltungen“ und | |
„Beteiligungswerkstätten“ in meinem Kiez erfuhr ich immerhin, dass auf | |
diesen Veranstaltungen für mein.berlin.de und auf der Webseite dann | |
wiederum für die Veranstaltungen geworben wurde: Vermutlich wurde deshalb | |
darauf verzichtet, den Anwohner*innen mal einen Infoflyer in die | |
Briefkästen zu stecken. | |
## Komplizierte Hürden | |
Sorry, aber das ist keine Bürgerbeteiligung, das ist bloß eine mit vielen | |
komplizierten Hürden versehene Umsetzung des Rechts auf freie | |
Meinungsäußerung – das übrigens ein Menschen- und keineswegs nur ein | |
Bürger*innenrecht ist: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, | |
Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“, steht im deutschen | |
Grundgesetz. Dafür muss man überhaupt kein*e Bürger*in dieses Landes | |
sein. | |
Schockiert hat mich auch der Tenor mancher Mails, die mich nach meiner | |
Kolumne erreichten. Er sei von der Verkehrsberuhigung völlig überrumpelt | |
worden und habe durch sie auch viele Kund*innen verloren, hatte da ein | |
Ladeninhaber seine Erfahrungen beschrieben. „Das stimmt gar nicht!“, nutzte | |
darauf ein anderer Bürger, der sich „Teilnehmer an der Bürgerbeteiligung“ | |
nannte, sein Recht auf freie Meinungsäußerung – hallo? Geht’s noch | |
herrischer beziehungsweise autoritärer? Ehrlich, Leute: Eure Hybris kotzt | |
mich manchmal wirklich an. | |
Im Ernst: Wollen wir so diskutieren, geht ihr so miteinander um bei diesen | |
Partizipationsveranstaltungen? Dann habe ich ehrlich gesagt überhaupt keine | |
Lust, mich daran zu beteiligen – und hoffe, dass in euren | |
„Beteiligungswerkstätten“ nicht wirklich irgendwo ein Hammer hängt! | |
Wohlgemerkt: Ich kritisiere hier nicht Ziele; weniger Autos in der Stadt | |
sind aus vielen Gründen gut. Ich kritisiere Methoden und den Umgang mit | |
Bürger*innen der für die Verfahren Verantwortlichen – und nun auch | |
miteinander. | |
Demokratie ist kein Zustand wie schönes Wetter: „Oh, guck mal, so ein Mist, | |
jetzt zieht es sich zu!“ Demokratie ist vor allem eine Praxis, und weil sie | |
Demokratie heißt, eben eine mit möglichst umfassender Beteiligung. Und: Man | |
muss sie wie jede Praxis praktizieren. Denn sonst verlernt man sie. | |
8 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Verkehrspolitik-in-Neukoelln/!5993328 | |
[2] https://mein.berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Kolumne Die Fußgängerin | |
Bürgerbeteiligung | |
Diskussion | |
Demokratie | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Schwerpunkt Stadtland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Demokratische Grundrechte: Das gute Recht auf Meinung | |
Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert das Recht auf Meinungsfreiheit. Und | |
er besagt eben auch, diese Meinung dann äußern zu dürfen. | |
Verkehrspolitik in Neukölln: Der Siegeszug der Poller | |
Gute Verkehrspolitik soll die Lebensqualität für Anwohnende verbessern. | |
Reichen dafür Verbote und Absperrungen? | |
Das Miteinander in der Öffentlichkeit: Die Welt als Schlafzimmer | |
Der öffentliche Raum als Zuhause, um das sich alle kümmern: könnte das | |
nicht wunderbar sein? Aber zum Miteinander gehören halt auch die anderen. | |
Radrowdies auf Berlins Gehwegen: Das Rollen neben der Straße | |
Auf dem Gehweg Fahrrad fahren? Aber das machen doch alle! Ein flottes und | |
unbekümmertes Rollen – unsere Kolumnistin hat das sowas von satt. |