| # taz.de -- BDI-Kritik an Regierung: Selbst schuld | |
| > BDI-Chef Siegfried Russwurm klagt, dass die ersten zwei Jahre der | |
| > Ampel-Regierungszeit verlorene Jahre seien. Das sieht einem | |
| > Wirtschaftsboss ähnlich. | |
| Bild: Wenn die Industrie boomt, sind die Menschen nicht zwangsläufig glücklich | |
| BDI-Chef Siegfried Russwurm jammert. Es seien „zwei verlorene Jahre“ | |
| gewesen, zieht der oberste deutsche Industrielobbyist im großen | |
| Süddeutsche-Zeitungs-Interview Halbzeitbilanz über die Regierungszeit der | |
| Ampel. Es sei zu wenig investiert und unternommen worden, um den | |
| [1][Wirtschaftsstandort Deutschland] zu sichern, so der Tenor, „auch wenn | |
| manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden“. | |
| Es ist schon bemerkenswert, wie der Präsident des Bundesverbands der | |
| Deutschen Industrie (BDI) da Staatsknete für Unternehmen fordert. Nach dem | |
| Motto: Wenn die [2][chinesische Konkurrenz] Geld von Peking bekommt, wollen | |
| wir auch Subventionen aus Berlin. Unter kapitalistischen Bedingungen und in | |
| Zeiten des Umbruchs hat Russwurm damit auch nicht ganz unrecht. | |
| Nicht umsonst wird seit Monaten diskutiert, wie die heimische Industrie fit | |
| für eine klimaneutrale Zukunft gemacht werden kann. Ganz ohne staatliche | |
| Eingriffe und Investitionen wird das nicht funktionieren, weshalb manche | |
| Äußerung Russwurms auch von einem IG-Metall-Mitglied stammen könnte. | |
| Schließlich geht es bei der ganzen Diskussion auch um gut bezahlte – und | |
| gewerkschaftlich gut organisierte – Industriearbeitsplätze. | |
| Grund zum Meckern hat Russwurm trotzdem nicht. Denn zum Großteil ist die | |
| deutsche Industrie selbst schuld an ihrer Lage. Die hiesigen Autobauer zum | |
| Beispiel haben lange die Antriebswende verschlafen und setzten lieber auf | |
| große Benziner und Diesel, weshalb sie [3][in Sachen Elektromobilität] | |
| jetzt Nachteile gegenüber der Konkurrenz haben. Zum Beispiel bei der | |
| Batterieproduktion, die in der Elektromobilität einen zentralen Teil der | |
| Wertschöpfung ausmacht. Die Folge ist, dass der Staat nun der schwedischen | |
| Firma Northvolt 900 Millionen Euro an Subventionen gibt, damit sie in | |
| Schleswig-Holstein eine Batteriefabrik baut. | |
| Die deutsche Industrie hat also ein Moral-Hazard-Problem. Das heißt, sie | |
| lagert ihre Probleme und Risiken bewusst auf die Allgemeinheit aus. Genauso | |
| wie Banken vor der Finanzkrise 2007/08 auf der Suche nach möglichst großen | |
| Profiten viel zu große Risiken eingingen und sich nach dem Crash mit | |
| Steuergeldern retten ließen, feierte sich die Industrie für ihre | |
| Exporterfolge und angeblich so große Ingenieurskunst, als es ihr gut ging, | |
| und ruft nun nach Subventionen. Das Prinzip ist also immer dasselbe: | |
| Verluste vergesellschaften und Profite privatisieren. | |
| ## Bundesregierung muss handeln | |
| BDI-Chef Russwurm sagte im Interview, dass er bei Kanzler Olaf Scholz kein | |
| offenes Ohr gefunden habe. „Die Klage ist das Lied des Kaufmanns“, hat der | |
| Kanzler laut Russwurm zuletzt häufig gesagt. Wenn dies so stimmt, dann muss | |
| man Scholz mal zustimmen. Auch wenn es wehtut. | |
| Denn die erste Hälfte der Regierungszeit der Ampelkoalition waren in der | |
| Tat „zwei verlorene Jahre“. Doch nicht für die Industrie, sondern die | |
| Menschen im Land. Denn viele von ihnen mussten in den vergangenen Jahren | |
| den Gürtel deutlich enger schnallen. Wegen der horrenden Inflation beliefen | |
| sich die Reallohnverluste allein im Jahr 2022 auf einen Rekordwert von 4 | |
| Prozent, nachdem sie die beiden Jahre davor schon gesunken waren. Und auf | |
| diesen enormen Kaufkraftverlust hat die Bundesregierung noch keine Antwort | |
| gefunden. | |
| Die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro war bereits im Koalitionsvertrag, also | |
| vor der Energiekrise, beschlossen und damals schon zu niedrig, um | |
| Armutslöhne zu unterbinden. Statt die Gewerkschaften zu stärken, die höhere | |
| Löhne für die Beschäftigten erkämpfen könnten, wurde im Zuge des | |
| Bahnstreiks eine [4][Einschränkung des Streikrechts] diskutiert. | |
| Dabei müsste die Bundesregierung schon aufgrund von EU-Recht die Lage der | |
| Gewerkschaften stärken. Die neue EU-Mindestlohnrichtlinie sieht nämlich | |
| vor, dass Mitgliedsstaaten Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung | |
| einführen sollen, wenn diese unter 80 Prozent beträgt. In Deutschland ist | |
| nur noch knapp die Hälfte der Beschäftigten tariflich abgesichert. Die | |
| Ampel schweigt sich aber bisher aus, wie sie dieses Problem angehen will. | |
| Es braucht also einen Restart. Doch muss es danach in eine andere Richtung | |
| gehen, als es dem BDI-Chef vorschwebt. Ansonsten drohen zwei weitere | |
| verlorene Jahre. | |
| 3 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Deutschland-in-der-Wirtschaftskrise/!5949696 | |
| [2] /Konkurrenz-auf-EU-Automarkt/!6001513 | |
| [3] /Aus-fuer-E-Auto-Zuschuesse/!5977781 | |
| [4] /FDP-will-Streikrecht-beschneiden/!5998609 | |
| ## AUTOREN | |
| Simon Poelchau | |
| ## TAGS | |
| Wirtschaftspolitik | |
| BDI | |
| Olaf Scholz | |
| Großkonzerne | |
| Schwerpunkt Bahnstreik | |
| Robert Habeck | |
| Robert Habeck | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| DAX-Konzerne schütten Gewinne aus: Rekorddividende trotz Flaute | |
| Während die Klagen über die konjunkturelle Lage groß sind, zahlen die | |
| DAX-Konzerne Rekorddividenden. Besonders spendabel sind | |
| Industrieunternehmen | |
| Tarif-Einigung zwischen Bahn und GDL: Es lohnt sich, zu kämpfen | |
| Weniger Arbeit für mehr Geld – der neue Tarifvertrag ist ein wahrer Erfolg | |
| für die GDL. Davon sollten sich andere Gewerkschaften ein Scheibchen | |
| abschneiden. | |
| Klimaschutzverträge für die deutsche Wirtschaft: Köder fürs Klima | |
| Die Klimaschutzverträge sind ein Argument für den grünen | |
| Wirtschaftsstandort Deutschland. Unternehmen dürfen vom Staat finanziell | |
| erleichtert werden. | |
| Aus für E-Auto-Zuschüsse: Union will Förderung bis Jahresende | |
| Die Opposition fordert Vertrauensschutz für Käufer:innen. Auch die SPD will | |
| Übergangsfristen statt des abrupten Endes des Umweltbonus. |