| # taz.de -- Jon Stewart zurück mit „Daily Show“: Trostspender fürs libera… | |
| > Drei Präsidenten hat er mit seiner Show satirisch begleitet, nun kehrt | |
| > Jon Stewart nach langer Pause zurück. Ein Blick in die progressive Seele | |
| > Amerikas. | |
| Bild: Barack Obama 2015 zu Gast bei Jon Stewart in der „Daily Show“ | |
| New York taz | Als Jon Stewart [1][2015 seinen Rückzug als Moderator der | |
| „Daily Show“ bekannt gab], enthüllte der Fox-News-Host Howard Kurtz etwas, | |
| das ohnehin schon die meisten wussten: „Ein schmutziges kleines Geheimnis | |
| ist, dass Expert:innen und Politiker:innen es lieben, von Stewart | |
| verspottet zu werden.“ In dessen Satiresendung aufzutauchen, sei ein | |
| Zeichen dafür, dass man es geschafft habe, so Kurtz. „Und dann konnte man | |
| zurückfeuern und eine kleine, übertriebene Fehde anzetteln.“ | |
| 16 Jahre lang hatte Stewart die „Daily Show“ moderiert, vier Abende pro | |
| Woche das politische Geschehen der USA aus linksliberaler Perspektive | |
| aufgearbeitet, oft mit verdammt witzigen Monologen, gelegentlich sogar mit | |
| großem Ernst. | |
| Clinton, Bush, Obama, die Präsidenten kamen und gingen, mit ihnen Krisen, | |
| Kriege und Peinlichkeiten – Stewart war immer da. Manche sagen, dass er | |
| Trump hätte verhindern können, wäre er doch nur etwas länger geblieben. | |
| Andererseits glauben viele Amerikaner:innen auch, dass Big Foot | |
| existiert. | |
| Seit Februar ist Stewart zurück. „A second term we can all agree on“, steht | |
| auf den Werbeplakaten, die derzeit in New York hängen. „Eine zweite | |
| Amtszeit, auf die wir uns alle einigen können.“ Ist natürlich ironisch | |
| gemeint. [2][Während die USA gerade in den höchsten Gang der | |
| Hyperventilation, aka Wahlkampf,] schalten, und die eine Seite eine | |
| Rückkehr Trumps ins Weiße Haus und die andere Seite ein dortiges Verbleiben | |
| Bidens fürchtet, funkt Stewart mit seinem Comeback dazwischen, die freche | |
| Distanzierung zu sich selbst inklusive: Der fehlt ja gerade noch. | |
| ## Ein Win-Win-Win? | |
| Der schlimme Verdacht wäre nun, dass der ironische Plakat-Spruch | |
| unfreiwillig eine Wahrheit transportiert: Stewart ist der Satiriker, auf | |
| den sich alle einigen können, rechts, links, Mitte. Jede:r bekommt das, | |
| was er braucht. Win-win-win. | |
| Zunächst aber die Frage: Was darf Satire? | |
| Kleiner Spaß, das ist ja zum Sterben langweilig. | |
| Schauen wir lieber, was Satire konkret kann, denn mit dieser Frage stößt | |
| man im Zweifel auf echte Probleme. Beobachten wir, wie Stewart diese halbe | |
| Stunde jeden Montagabend bei Comedy Central füllt, mit welchen Themen und | |
| Gästen. Blicken wir in die Seele des progressiven Amerikas, da muss doch | |
| was zu holen sein. | |
| Das Erste, was auffällt, als Stewart Mitte Februar wieder an seinem | |
| Fernsehschreibtisch sitzt: Der Mann, inzwischen 61, scheint einfach perfekt | |
| zu altern. Silberne Haare, zartes Stirnrunzeln, schicker Dreitagebart, | |
| schlankes Gesicht. Ums Alter geht es dann auch, Bidens natürlich. 81 ist | |
| der Präsident, das ist ein Problem. Es ist allerdings auch das | |
| offensichtlichste Problem, über das sowieso schon alle reden. Deshalb hätte | |
| man von Stewart erwarten können, dass er sich ein anderes Thema sucht, | |
| etwas Originelleres. Womöglich will er am Anfang auch nur klarmachen, dass | |
| bei ihm alle auf den Deckel bekommen werden, nicht nur die Rechten, sondern | |
| auch die Democrats und ihr fast schon bemitleidenswert fragiler Chef. | |
| Zu Gast ist die Chefredakteurin des britischen Nachrichtenmagazins The | |
| Economist, Zanny Minton Beddoes, die den sachlichen Blick von außen liefern | |
| soll. Biden habe nach einer „unglaublich“ erfolgreichen ersten Amtszeit | |
| nicht die Zeichen der Zeit erkannt und Platz für die neue Generation | |
| gemacht, beklagt sie. Zusammen machen sich Minton Beddoes und Stewart | |
| Sorgen, dass der Westen von einem neuen Nationalkonservatismus bedroht | |
| werde, von Trump, Putin, Orbán und Konsorten. Früher habe Kommunismus | |
| versus Kapitalismus die Welt geordnet, so Stewart, heute anti-woke versus | |
| woke. Wehmut über den Niedergang eines vernünftigen Konservatismus schwingt | |
| da mit. Ach, Kalter Krieg, wo bist du nur. | |
| ## 20 Jahre Fernsehfeindschaft | |
| Eine Woche drauf ist er zurück, der Kalte Krieg! Zumindest in der „Daily | |
| Show“. Stewart macht sich über ein Interview lustig, das der [3][rechte | |
| TV-Moderator Tucker Carlson] in Moskau mit Russlands Präsident Putin | |
| geführt hat, vor allem über Carlsons rosige Beschreibungen des Moskauer | |
| U-Bahn-Systems, das schöner sei „als alles in unserem Land“. Mit | |
| Journalismus hat das gewiss nichts zu tun, wie Stewart bemerkt. Spott über | |
| die Dumpfbacke Carlson ist zwar irgendwie einfach, aber Stewart beherrscht | |
| es auch wirklich gut. Die beiden pflegen seit 20 Jahren eine | |
| Fernsehfeindschaft. | |
| Absurd wird es, als Stewart in Reaktion auf Carlsons Russland-Propaganda zu | |
| einer Verteidigung der Vereinigten Staaten ansetzt, die wiederum auch was | |
| von Propaganda hat, aber eben liberaler. „Der Unterschied zwischen unseren | |
| nach Urin stinkenden, chaotischen U-Bahnen und euren mit Kerzenständern | |
| ausgestatteten, schönen U-Bahnen ist der buchstäbliche Preis der Freiheit“, | |
| so Stewart. Als wäre Freiheit nicht ohne Pissgeruch zu bekommen. Als wäre | |
| das öffentliche Verkehrsnetz der USA nicht deswegen desolat, weil über | |
| Jahrzehnte keine Investitionen stattfanden. Als würde Carlson sich nicht | |
| über Stewarts Reaktion freuen. | |
| Man bekommt den Eindruck, dass Stewart den Fascho-Narrativen nur mit einem | |
| Nationalstolz der Mitte beikommen kann. Dazu passt es dann auch, dass er in | |
| einer Sendung einige Wochen später dem mehrfach angeklagten Trump und | |
| anderen Republikanern vorwirft, ihren Patriotismus nicht ernst genug zu | |
| meinen. Die Rechten täten laut Stewart nur so, als würden sie die | |
| Verfassung lieben – wirklicher Patriotismus sei es hingegen, die Gesetze zu | |
| achten. Irgendwie klingt das alles ein bisschen zu sehr wie das, was man | |
| zurzeit so von Biden hört, der ja auch dauernd den Mythos des „wirklichen“ | |
| – ergo guten –„Amerikas“ bemüht. Bei Biden kann man es noch verstehen:… | |
| Politiker im Wahlkampf. Aber wäre es für einen Komiker wie Stewart nicht | |
| die Aufgabe, gerade diesen verklärten Patriotismus der Mitte aufzuspießen? | |
| ## Das Dilemma der politischen Satire | |
| Die folgenden Sendungen gewinnen an Substanz und verlieren an Witz, und | |
| vielleicht handelt es sich hierbei um das Dilemma politischer Satire. | |
| Stewart macht jedenfalls den Krieg im Nahen Osten zum Thema, fordert von | |
| der US-Regierung eine deutliche Positionierung gegen Israels „militärische | |
| Belagerung“ in Gaza, und spricht mit den zwei Journalisten Murtaza Hussain | |
| und Yair Rosenberg, die miteinander befreundet sind, aber unterschiedliche | |
| Haltungen haben, über mögliche Friedenswege. Den Abend beendet Stewart mit | |
| einem traurigen Abschied von seinem Hund Dipper, der kurz zuvor gestorben | |
| ist. | |
| Als es Anfang März um das Thema Immigration geht, greift Stewart nicht nur | |
| Trumps rechte Panikmache beim Thema Kriminalität an, sondern betont auch | |
| die Heuchelei der Demokraten, die allzu schnell das Ideal der „We are a | |
| nation of immigrants“-Politik aufgäben, wenn es politisch gelegen ist. Sein | |
| Gast, der Journalist Jonathan Blitzer, spricht von einem „Teufelskreis“ der | |
| Symbolpolitik. Endlich wird der progressive Zuschauer mal ein kleines | |
| bisschen herausgefordert, womöglich sogar in Verlegenheit gebracht. Das ist | |
| ja genau das, was Satire kann: konstruktive Unbehaglichkeit erzeugen. | |
| Am besten war Stewart über all die Jahrzehnte immer dann, wenn er an der | |
| Weltanschauung seines Publikums gerüttelt hat. Bis heute zieht niemand so | |
| witzig und charmant die Augenbrauen hoch wie er. „Angry Optimist“ lautet | |
| der Titel seiner Biografie, passend, weil Stewart bei aller Tirade weiter | |
| an das Gute Amerikas zu glauben scheint, den Sieg der Vernunft, trotz all | |
| des Wahnsinns. | |
| Mit dieser Mischung aus Kritik und Pathos funktioniert er wie ein | |
| Trostspender fürs liberale Amerika. Man lacht mit, schüttelt gemeinsam den | |
| Kopf, „what the fuck are we doing here?“, schlummert anschließend friedlich | |
| und fragt am nächsten Tag im Büro: Habt ihr gesehen? | |
| Man könnte es einen Bewältigungsmechanismus nennen, positiv formuliert. | |
| Oder eine Betäubungsmaschinerie, aber das klingt dann gleich so dramatisch. | |
| Und wenn man an Freud glaubt und von Stewart nichts hält, lässt sich auch | |
| eine Art Wiederholungszwang darin sehen, dass politische Satire immer noch | |
| so klingt, als wäre es 2015. Überbewerten darf man Stewarts Rolle | |
| jedenfalls auch nicht. Am Ende ist es nur Comedy. Präsidenten kommen und | |
| gehen, Stewart ist wieder da. Alles wiederholt sich, bis er wieder geht. | |
| 25 Mar 2024 | |
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| [3] /Tucker-Carlson-Interview/!5989391 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Hermsmeier | |
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