Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Anschlag auf Tesla-Fabrik in Grünheide: Wer bricht hier die Regeln?
> Der Brandanschlag auf Tesla war falsch. Noch viel dramatischer ist aber,
> wie Politik und Unternehmen Mitbestimmung und Umweltschutz missachten.
Bild: Protestcamp gegen die Erweiterung der Tesla-Fabrik in Grünheide, Ende Fe…
Der demolierte Strommast in der Nähe von Grünheide mag bei Tesla Kosten von
Hunderten Millionen Euro verursachen – eine neue Stufe politischer Gewalt
war der Anschlag nicht. [1][Gegner des Atomkraftwerks Brokdorf] etwa fanden
sich in den 80er Jahren in Gruppen wie „Revolutionäre Heimwerker“ zusammen
und sägten über 100 Strommasten um. Die erfolgreiche Anti-AKW-Bewegung ist
zwar mit den Jahren friedlich und bürgerlicher geworden – ein Teil von ihr
war aber militant.
Insofern war der [2][Anschlag der Vulkangruppe] auf das Tesla-Werk zwar
gefährlich und falsch, er greift aber zugleich ein bekanntes Motiv auf, das
es vor ein paar Jahren sogar ins Kino schaffte: In der Thrillerkomödie
[3][„Gegen den Strom“] setzt die Ökoaktivistin Halla auf Island Strommasten
außer Gefecht, um ein klimaschädliches Aluminiumkraftwerk stillzulegen.
Anders als Halla darf die mutmaßliche Tätergruppe „Vulkan“ nicht auf
Sympathie hoffen. Ihr Anschlag auf Tesla trifft auf eine Öffentlichkeit,
die Umweltaktivisten jeglichen Erregungsgrades nahezu feindlich
gegenübersteht.
Logischerweise hat nun in Sachen Strommast-Attentat die Bundesanwaltschaft
die Ermittlungen übernommen. Sie sieht einen Anfangsverdacht unter anderem
der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der
verfassungsfeindlichen Sabotage sowie der gemeinschaftlichen Brandstiftung.
Da kann die Vulkangruppe in ihrem Bekennerschreiben noch so sehr den
Schulterschluss mit Ökos und Anwohnerinnen suchen – verständlicherweise
haben diese sich schnell distanziert. Mit Linksterroristen möchte man nicht
auf einem Baum sitzen.
Apropros. Versetzen wir uns kurz in die Nachrichtenlage von vergangenem
Montag. Da hatten sich in dem Kiefernforst, der dem neuen
Güterbahnanschluss für Tesla, mehreren Lagerhallen und einer Betriebskita
weichen soll, Baumbesetzer eingerichtet. Mit Zustimmung der örtlichen
Bürgerinitiative bauten sie Baumhäuser und aßen vegane Pizza. Derweil
grübelten Bürgermeister und Gemeindevertreter:innen von Grünheide
über dem Ergebnis einer Bürgerbefragung, das die Tesla-Erweiterung
ablehnte. Hinter verschlossenen Türen stritt sich der örtliche
Abwasserverband Strausberg-Erkner, weil die „Gigafactory“ ihr Abwasser mit
stark erhöhten Phosphor- und Stickstoffwerten ins Netz pumpt. Kurz: Um das
öffentliche Ansehen von Tesla stand es am Montagmorgen nicht gut.
## Das Tesla-Desaster sollte zu denken geben
Seit Dienstagabend ist das anders. Seitdem geht es um Linksterror, der die
deutsche Infrastruktur zerstöre und damit den Wirtschaftsstandort ruiniere.
Diese Erzählung fügt sich ein in den erregten Diskurston dieser Tage. Doch
so wie radikale AKW-Gegner vor vierzig Jahren nicht die Republik aus den
Angeln hoben, wird man heute den Einfluss der Vulkangruppe kaum
unterschätzen können. Die Gefahr für den Standort wartet woanders.
Demonstrativ schätzt nicht nur der Tesla-Konzern Prinzipien und Verfahren
gering, die für die Bundesrepublik grundlegend sind: Demokratie,
Mitbestimmung, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz. Diese Geringschätzung
greift in Industrieverbänden und Parteien um sich. Eines der Schlagworte
dazu lautet „Bürokratieabbau“. Wie aber aus dem Triumph der Potsdamer
Landesregierung – Tesla in der Streusandbüchse! – das Desaster von heute
werden konnte, sollte allen zu denken geben, die mit neuem Tempo die
Transformation der fossilen Wirtschaft vorantreiben wollen.
Man kann von Tesla halten, was man will. Elektroautos sind die Zukunft des
Autoverkehrs, und wir brauchen Fabriken, in denen sie gebaut werden, genau
wie Windparks, Infrastruktur für Wasserstoff, Batterie- und Chipfabriken.
Auch im grüneren Kapitalismus wird es Eingriffe in Landschaft geben, er
wird Ressourcen verbrauchen, lokal Lärm und Dreck produzieren. Oder geht es
anders?
Katja Witte und Johannes Venjakob leiten den Forschungsbereich
Strukturwandel und Innovation am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und
Energie. Dort forschen und beraten sie zu zukünftigen Energie- und
Industriesystemen. Belastungen durch große Infrastrukturen und Fabriken
werden wir auch künftig hinnehmen müssen, sind sich die beiden sicher.
Autos, Batterien, Chips – sie können wettbewerbsfähig nur in großen Anlagen
hergestellt werden.
## Die Missachtung von Regeln hat ihren Preis
Eine Produktion in kleineren, vernetzten Einheiten, bei denen Wasser-,
Flächenverbrauch und Emissionen verteilt würden, halten sie für
ineffizient. „Das würde Verkehr schaffen und am Ende mehr Ressourcen
verbrauchen“, sagt Venjakob. Es gelte also, Belastungen, Interessen und
Ansprüche offenzulegen und gegeneinander abzuwägen. „Das scheint im Falle
Teslas nicht gelungen“, sagt Witte.
Erstaunlich, aber nicht überraschend. Er sehe Brandenburgs Landesregierung
und Tesla „als eine Art Beutegemeinschaft: Tesla will in Deutschland und
Europa Autos verkaufen, wir wollen neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze“,
hatte Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) verkündet, als Tesla-Chef
Elon Musk seinen Standortwunsch bei Berlin öffentlich gemacht hatte.
Seitdem hielt die Maßeinheit „Tesla-Geschwindigkeit“ Einzug in den
politischen Sprachgebrauch. Doch die inzwischen in
„Deutschlandgeschwindigkeit“ umgetaufte Missachtung von Regeln hat ihren
Preis.
Die Tesla-Fabrik entstand mit jeder Menge Ausnahmegenehmigungen. Das macht
nun Schule. In Schleswig-Holstein will der schwedische Hersteller Northvolt
Lithium-Ionen-Batterien in Serie bauen, heiß begehrte Ware, die Europa
derzeit aus Asien importiert. Entsprechend begeistert drückt die Politik
aufs Tempo. Egal, ob es um die Schienenanbindung oder den Wasserhaushalt
geht – die „zwingend notwendige Gesamtbetrachtung wurde bislang
unterlassen“, schreibt der Umweltverband BUND in einer Stellungnahme, „für
die Menschen der Region werden die Gesamtauswirkungen des Projektes weder
im Einzelnen noch in der Gesamtheit erkennbar“. Dabei lehnt der BUND die
Fabrik an sich nicht ab.
„Natürlich sehen wir die großen Chancen für die Region“, sagt Joachim
Schulz, Sprecher des örtlichen BUND, „sie bietet Arbeitsplätze, und wir
brauchen Batterien für die Verkehrswende.“ Es sei besser, sie hier
herzustellen als in China unter wer weiß was für Bedingungen. Aber wie
Politik und Verwaltung die Genehmigungsverfahren durchpeitschten, sei nicht
in Ordnung.
## Es brauche ein sinnstiftendes Narrativ
Gespart habe sich die Verwaltung etwa ein Raumordnungsverfahren. Das sei
für ein Vorhaben dieser Größe jedoch unbedingt notwendig. Darin wird
geplant, wie sich alle Neubauten, neuen Straßen und Bahnstrecken auswirken.
„Das gibt allen vor Ort Sicherheit“, sagt Schulz, „aber es dauert bisweil…
ein wenig länger.“ Raumplanungs- und Planfeststellungsverfahren,
Umweltverträglichkeitsprüfungen – all diese Bürokratiemonster mit
schlechtem Ruf sind dafür gemacht, Gefahren zu erkennen. Für Anwohner, für
die Natur, aber auch für das Projekt selbst. Wer sie umgeht, löst
Interessenkonflikte und Umweltprobleme nicht auf. Sie erscheinen nur später
und sorgen für genau den Ärger, der sich bei Tesla besichtigen lässt.
Brauchen wir also nicht weniger, sondern mehr Bürokratie? „Nein“, sagt
Witte, „wir brauchen mehr Beteiligung“. Denn die bisherigen, aktenlastigen
Verfahren führten nicht dazu, dass die Betroffenen sich zur rechten Zeit
von der richtigen Stelle gehört fühlen. „Wir brauchen mehr Transparenz,
mehr Offenheit in den Prozessen“, sagt Witte. Mediationsverfahren etwa, bei
denen alle Betroffen wirklich mitgestalten könnten. Kurt Tucholsky würde
wohl lästern, dass die öffentliche Beteiligung an Behördenprozessen
verboten wäre, wenn sie wirklich etwas ändern würde. Doch die
Transformation klappt nur mit der Bevölkerung. Mit „not in my backyard“ hat
das nichts zu tun.
Es gelte, ein Dilemma aufzulösen, sagen Witte und Venjakob: „Eine schnelle
Transformation der Wirtschaft, unter Mitnahme der lokalen Bevölkerung und
Lösung neuer Zielkonflikte mit Arten- oder Landschaftsschutz“. Das sei
schwierig. Es bräuchte ein sinnstiftendes Narrativ. Man müsse den Menschen
erklären, warum Wandel nötig sei. Venjakob und Witte sehen eine
Überforderung derjenigen, die das Publikum emotional ansprechen könnten:
Politik, Medien, Bildung.
„Die Kunst kann es vielleicht“, sagt Venjakob. Womit wir wieder beim Kino
wären. Die isländische Bogenschützin Halla jedenfalls gerät am Ende des
Films in ein Unwetter und steht ratlos im Regen.
8 Mar 2024
## LINKS
[1] /Vom-militanten-zum-zahmen-AKW-Protest/!1842088/
[2] /Anarchistische-Brandleger/!5996893
[3] https://www.gegen-den-strom-film.de/
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
Tesla
Klimaschutzziele
Mitbestimmung
Brandstiftung
Tesla
Tesla
Grünheide
Schwerpunkt Klimaproteste
Schwerpunkt Klimawandel
Tesla
Tesla
Tesla
## ARTIKEL ZUM THEMA
Brennende Autos vor Gefängnissen: Schon längst ein Politikum
Ein unechtes Bekennerschreiben und viel Spekulation: Die Serie brennender
Autos vor Berlins Gefängnissen beschäftigt inzwischen auch Kai Wegner.
Ist Tesla schlecht fürs Klima?: Auch unter den Neuen ist ein SUV
Tesla macht vor allem mit seinem Werk in Grünheide Schlagzeilen. Dort setzt
der E-Autobauer seine Fahrzeuge zusammen. Wie klimafreundlich sind sie?
„Tesla Stoppen“-Camp: Vorbereitungen auf den Ernstfall
Aus Protest gegen die Werkserweiterung von Tesla ist nach wie vor ein
Waldstück in Grünheide besetzt. Am Wochenende droht die Polizei
durchzugreifen.
Nach dem Brandanschlag gegen Tesla: Baumfreunde gegen Autoliebhaber
In Grünheide wird Elon Musk von jubelnden Mitarbeitenden empfangen. Derweil
wollen Umweltaktivisten weiter den Ausbau des Werks verhindern.
Brandanschlag auf Tesla-Werk: Das Gute am Tesla-Anschlag
Natürlich ist der Anschlag auf Tesla zu verurteilen. Aber man kann ihm auch
Positives abgewinnen.
Demos pro und contra Tesla: Kampf ums Brandenburger Wasser
Tesla bleibt in Grünheide? Dann bleiben die Waldbesetzer*innen auch –
und bekommen Solidarität. Doch es gibt auch Freunde des Musk-Unternehmens.
Brandanschlag auf Strommast: Tesla weiterhin nicht unter Strom
Die Produktion im Tesla-Werk in Grünheide fällt länger aus als gedacht.
Tausende Autos können nicht produziert werden.
Anarchistische Brandleger: Die Vulkan-Phantome
Seit 13 Jahren verübt eine „Vulkangruppe“ linksmilitante Brandanschläge,
nun gegen Tesla. Wer dahintersteckt, wissen die Behörden nicht.
Grenzwertüberschreitungen im Abwasser: Tesla das Rohr stopfen
Der Wasserverband Strausberg-Erkner droht, die Abwasserentsorgung
einzustellen, weil Tesla regelmäßig zu viele Schadstoffe ableitet
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.