# taz.de -- COP 29 in Aserbaidschan: Ein Jahr nach Bergkarabach | |
> Aserbaidschan ist autoritär, lebt von Öl und Gas und richtet die nächste | |
> Klimakonferenz aus. Was ist der richtige Umgang mit dem Gastgeberland? | |
Bild: Eine Ölförderanlage in Baku, Aserbaidschan | |
Aserbaidschan hat in den letzten Jahren international vor allem negative | |
Schlagzeilen gemacht. Es hat jahrelang Mitglieder der parlamentarischen | |
Versammlung des Europarats, darunter auch Bundestagsabgeordnete, bestochen, | |
wie in dieser Woche im deutschen Fernsehfilm [1][„Am Abgrund“] zu sehen | |
ist. Durch seine militärische Rückeroberung Bergkarabachs und der | |
umliegenden Gebiete hat es über 100.000 Armenier*innen faktisch zur | |
Flucht gezwungen. Jetzt will Aserbaidschan als Gastland der COP29, die im | |
November in Baku stattfinden wird, sein internationales Image aufpolieren | |
und Finanzierung für die Modernisierung seines Energiesektors an Land | |
ziehen. | |
Baku ist auf fossilen Energien erbaut. Die Stadt wurde zu Beginn des 20. | |
Jahrhunderts durch den Ölboom zur globalen Metropole. Nach dem Zerfall der | |
Sowjetunion und dem Ende des ersten Bergkarabachkriegs im Jahr 1994 begann | |
Haidar Alijew, Vater des jetzigen Präsidenten Ilham Alijew, mit British | |
Petroleum die Ölförderung und so das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. | |
Mit der Entdeckung des Shah-Deniz-Gasfelds im Jahr 1999 baute Aserbaidschan | |
[2][auch die Gasförderung] aus. Staat und Energiewirtschaft sind eng | |
verwoben – dafür stehen die Flammentürme, die hoch über Baku thronen, | |
sinnbildlich. | |
Öl- und Gasexporte machen etwa [3][90 Prozent der Exporte] aus. Die | |
Einnahmen werden partiell über Löhne für Staatsbedienstete an die | |
Mittelschicht verteilt, wodurch der Staat sich deren [4][Loyalität | |
sichert]. | |
## Korruption und Unterdrückung | |
Aserbaidschan gehört zu den autoritärsten Staaten der Welt. Im | |
Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International [5][belegt das | |
Land Platz 154 von 180]. Mit Festnahmen, restriktiver Gesetzgebung und | |
Kooptierung geht das Regime gegen die Zivilgesellschaft vor. Unabhängige | |
Vereine werden vom Staat nicht registriert und können keine Zuwendungen aus | |
dem Ausland erhalten. Sogenannte Gongos, regierungsnahe Vereine, werden | |
hingegen staatlich finanziert und bei politischen Entscheidungen | |
scheinbeteiligt. | |
Proteste werden meist brutal niedergeschlagen – so im Sommer 2023 bei | |
[6][Protesten gegen den Bau eines Abwasserreservoirs] einer Goldmine. Vor | |
den Präsidentschaftswahlen am 7. Februar 2024 ging die Regierung besonders | |
massiv vor. Unter anderem wurden Gubad Ibadoglu, Gastwissenschaftler der | |
London School of Economics und Oppositionspolitiker, sowie sechs | |
Journalist*innen inhaftiert. Sie werden von | |
Menschenrechtsverteidiger*innen zu über 250 politischen Gefangenen | |
gezählt. | |
Indes ist nicht von der Hand zu weisen, dass Alijew und seine Frau und | |
Vizepräsidentin Mehriban Alijewa im Land beliebt sind. Seit der | |
Wiederherstellung der Kontrolle über Bergkarabach hat Präsident Alijew | |
kurz- und mittelfristig keine ernsthafte politische Konkurrenz zu erwarten. | |
## Aserbaidschans Klimapolitik | |
Die Klimakrise wird in Aserbaidschan zu einem schnelleren Anstieg der | |
Temperaturen führen als im globalen Durchschnitt, und das Land wird | |
zunehmenden Extremwetterereignissen ausgesetzt sein. Die Klimaziele des | |
Landes sind dennoch wenig ambitioniert: Bis 2040 sollen die CO2-Emissionen | |
um 40 Prozent gesenkt werden; verglichen mit 1990, das heißt, vor dem | |
Zusammenbruch der Sowjetindustrie, die für große Emissionen verantwortlich | |
war. Bis 2030 sollen 30 Prozent der Stromproduktion durch Erneuerbare | |
erzeugt werden. Aktuell machen sie jedoch nur [7][7 Prozent] aus. | |
[8][Expert*innen kritisieren], dass die Erneuerbaren primär dazu genutzt | |
werden sollen, im heimischen Verbrauch Gas einzusparen und dieses | |
exportieren zu können. | |
Brisant ist darüber hinaus: In den 2020 von Armenien zurückeroberten | |
Gebieten soll eine [9][„grüne Energiezone“] entstehen. Im Februar 2024 | |
organisierte die deutsche Außenhandelskammer Aserbaidschan eine | |
Veranstaltung zum „Wiederaufbau der Wasser- und Abwasserinfrastruktur in | |
der Region Karabach“, die laut Medienberichten durch das | |
Bundesumweltministerium [10][unterstützt wurde]. | |
## Die EU als Hauptabnehmerin | |
Die EU ist mit einem Anteil von [11][zwei Dritteln der Exporte] der größte | |
Handelspartner des Landes. Insbesondere nach der russischen Vollinvasion | |
der Ukraine ist Aserbaidschan für die EU zu einem wichtigen | |
Energielieferanten geworden. Im Juli 2022 vereinbarten Brüssel und Baku, | |
die Gaslieferungen aus Aserbaidschan bis 2027 mehr als zu [12][verdoppeln]. | |
Hierzu wären allerdings sowohl ein Ausbau der Transitinfrastruktur als auch | |
der Gasförderung selbst notwendig. | |
Auch Strom will die EU künftig aus Aserbaidschan importieren: Im Dezember | |
2022 verabredeten Aserbaidschan, Georgien, Ungarn und Rumänien im Rahmen | |
der EU-Global-Gateway-Initiative den Bau eines Untersee-Stromkabels. | |
Sollten die Einnahmen aus fossilen Brennstoffen wegen der Hinwendung der EU | |
zur Klimaneutralität versiegen, würden Wirtschaft und Staatsmodell | |
versagen. Auch zur Sicherung der autoritären Stabilität wendet | |
Aserbaidschan sich also den Erneuerbaren zu. Außerdem kann das Regime nach | |
viel schlechter Presse ein Megaevent in Baku zur externen Legitimierung gut | |
gebrauchen. | |
Zur Bewältigung der Klimakrise ist Zusammenarbeit auch mit schwierigen | |
Partnern notwendig. Daher ist – sofern Aserbaidschan von weiteren | |
Eskalationen gegenüber Armenien absieht – von einem größeren Boykott der | |
COP29 nicht auszugehen. Einige [13][unabhängige aserbaidschanische | |
Akteur*innen] bitten die internationale Gemeinschaft stattdessen, sich | |
für echte zivilgesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten, die Stärkung | |
der Klima- und Umweltziele sowie die Freilassung der politischen Gefangenen | |
einzusetzen. | |
Ob die COP aus aserbaidschanischer Sicht nicht nur ein finanzieller, | |
sondern auch ein politischer Erfolg wird, wird maßgeblich davon abhängen, | |
wie das Land im Vorfeld mit seiner eigenen Zivilgesellschaft umgeht und ob | |
es ernsthafte Schritte in Richtung Frieden mit Armenien geht. Demokratische | |
Staaten sollten Sorge tragen, sich im Rahmen der COP – und darüber hinaus – | |
nicht für Greenwashing instrumentalisieren zu lassen. | |
7 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://globalvoices-org.cdn.ampproject.org/c/s/globalvoices.org/2024/02/28… | |
[2] https://www.theguardian.com/environment/2024/jan/08/cop29-host-azerbaijan-t… | |
[3] https://www.iea.org/reports/azerbaijan-2021 | |
[4] https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-030-82116-6 | |
[5] https://www.transparency.org/en/cpi/2023 | |
[6] https://iwpr.net/global-voices/azerbaijani-authorities-crack-down-eco-prote… | |
[7] https://eurasianet.org/azerbaijan-says-on-target-to-double-gas-exports-to-e… | |
[8] https://crudeaccountability.org/azerbaijans-green-energy-development-serves… | |
[9] https://area.gov.az/en/page/layiheler/yasil-enerji-zonasi/yasil | |
[10] https://www.merkur.de/politik/aserbaidschan-deutschland-deal-bezeihung-wir… | |
[11] https://policy.trade.ec.europa.eu/eu-trade-relationships-country-and-regio… | |
[12] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_22_4550 | |
[13] https://openazerbaijan.org/site/assets/files/2273/cop29_-_climate_of_justi… | |
## AUTOREN | |
Sonja Schiffers | |
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