# taz.de -- AfD in Brandenburg: Lübben und das Spiel mit der Angst | |
> Eine geplante neue Unterkunft für Geflüchtete in der Spreewaldstadt sorgt | |
> für Unruhe. Eine Bürgerinitiative mit AfD-Kontakten macht Stimmung. | |
Bild: In Lübben soll am Bahnhof eine zweite Geflüchtetenunterkunft gebaut wer… | |
Berlin taz | Seit Jahresbeginn herrscht Unruhe im beschaulichen Lübben im | |
Landkreis Dahme-Spreewald. Die Ankündigung des Baus einer zweiten | |
zukünftigen Unterkunft für Geflüchtete ist der Auslöser dafür. Dieser soll | |
in der Nähe des Bahnhofs in Lübben entstehen. Die Bewohner sind dagegen, es | |
wurden bereits Hunderte Flugblätter verteilt, in denen Panik gegen die | |
geplante Unterkunft verbreitet wird. | |
Mitte Februar versammelten sich 20 bis 30 Menschen vor der geplanten | |
Unterkunft und brachten A4-Plakate gegen Migration am Bauzaun an, kurz | |
darauf tauchte dort ein Holzschild mit einem volksverhetzenden Spruch auf. | |
Weitere rassistische Taten folgten, unter anderem auch Morddrohungen gegen | |
die Familie, die das Grundstück für den Bau der Unterkunft zur Verfügung | |
gestellt hat. | |
Nun ermittelt der polizeiliche Staatsschutz. Zwar seien nicht alle | |
Äußerungen strafrechtlich relevant, sagt Maik Kettlitz, Sprecher der | |
zuständigen Polizeidirektion Süd in Cottbus, zur taz. Doch „vom Anbringen | |
von Flugblättern bis zur offenen Gewaltandrohung ist es ein weiter | |
Schritt“. Die Polizei versucht, diese Dynamik zu unterbrechen, hat ihre | |
Präsenz nun erhöht und steht im Austausch mit der Familie, so Kettlitz | |
weiter. | |
Seit dem Frühjahr 2023 ist bekannt, dass in Lübben eine zweite Unterkunft | |
für Geflüchtete entstehen soll, woraufhin die Bürgerinitiative (BI) „Unser | |
Lübben“ mit Unterstützung der AfD gegründet wurde. Die BI verteilte | |
Hunderte Flyer in AfD-Farben und organisiert seit Mai Demonstrationen und | |
Kundgebungen in Lübben. | |
## 20 bis 30 Menschen brachten A4-Plakate gegen Migration am Bauzaun an | |
Zentrale Figur der BI ist die Lübbenerin Nancy Schendlinger. Sie ist | |
Sprecherin auf allen Kundgebungen, aber auch AfD-Funktionäre hielten Reden, | |
darunter Hans-Christoph Berndt und Steffen Kotré. | |
Berndt ist seit Oktober 2020 Fraktionsvorsitzender [1][der AfD im | |
brandenburgischen Landtag] und Gründer des „erwiesen rechtsextremistischen“ | |
Vereins Zukunft Heimat, der rassistische Demonstrationen in Cottbus und | |
Umgebung organisiert. „Mit einem vermeintlich bürgerlichen Auftreten trägt | |
Zukunft Heimat dazu bei, rechtsextremistische Inhalte zu normalisieren und | |
gesellschaftlich anschlussfähig zu machen“, schrieb der Verfassungsschutz | |
im Jahr 2022. | |
[2][Im November fand eine Kundgebung der BI zeitgleich mit dem | |
Wahlkampfabschluss der AfD] für die Landratswahl im Landkreis | |
Dahme-Spreewald statt. Der AfD-Kandidat Steffen Kotré erreichte im ersten | |
Wahlgang beachtliche 35 Prozent und verlor erst in der Stichwahl gegen den | |
parteilosen Kandidaten Sven Herzberger. | |
Am 1. März, dem Tag der Amtseinführung des neuen Landrats, dringt die Sonne | |
kaum durch den Hochnebel, es ist kühl. Auf dem Marktplatz sind mehr Stände | |
als Menschen. Auf die Frage nach der Situation in Lübben reagieren sie | |
knapp mit „Bin nicht von hier“ oder „Bin vom Dorf“. | |
## Laut dem Brandenburger Ministerium für Soziales wird es 2024 ein | |
Aufnahmesoll von 1.202 Personen geben | |
Eine Verkäuferin in einem Bekleidungsladen ist gesprächiger: „Die Mütter | |
haben Angst“, sagt sie bestimmt, „Angst um ihre Kinder.“ Man wisse ja | |
nicht, was kommt, aber: „Es braut sich was zusammen.“ | |
Das Brandenburger Ministerium für Soziales hat dem Landkreis | |
Dahme-Spreewald für 2024 ein Aufnahmesoll von 1.202 Personen mitgeteilt. In | |
Lübben mit seinen 14.000 Einwohner*innen machen die 64 Geflüchteten 0,5 | |
Prozent der Bevölkerung aus. Sollten alle 100 Plätze der geplanten zweiten | |
Unterkunft belegt werden, läge ihre Quote bei 1,3 Prozent. | |
Der Sozialdezernent des Landkreises, Stefan Wichary, empfängt im | |
lichtdurchfluteten Verwaltungsgebäude am Stadtrand. Der gemütliche Herr mit | |
Bart ist für die vorläufige Unterbringung der Geflüchteten zuständig. Er | |
bestätigt, dass eine Unterkunft in Modulbauweise mit voraussichtlich 100 | |
Plätzen errichtet und dem Landkreis im zweiten Quartal dieses Jahres | |
übergeben werden soll. | |
„Dass jetzt diese neue Situation so eskaliert, liegt offensichtlich auch | |
daran, dass dort Ängste geschürt wurden, die vorher nicht bestanden haben.“ | |
Im Oktober hat er mit seinen Mitarbeiter*innen ein Gespräch mit der | |
Bürgerinitiative geführt. „Wir haben dort alle Fragen beantwortet. Wir | |
haben aber danach gemerkt, dass das am Agieren der Bürgerinitiative nichts | |
geändert hat.“ | |
## Von den Morddrohungen distanzieren sich Schendlinger und Gosdschan | |
[3][Alle Informationen würden so schnell wie möglich kommuniziert, um auch | |
die Bürger*innen zu erreichen], die „jetzt etwas verunsichert sind“. | |
Wenn der Eröffnungstermin steht, möchte er zusammen mit der Stadt Lübben | |
eine Informationsveranstaltung mit den öffentlichen Einrichtungen vor Ort | |
und einigen Nachbar*innen durchführen sowie bei der Inbetriebnahme einen | |
Tag der Offenen Tür organisieren. „Bis dahin heißt es leider: durchhalten�… | |
fügt er hinzu. „Wenn wir mehr Zeit darin investieren würden, das als | |
Bereicherung zu sehen und als Möglichkeit, dort zu helfen, dann wären wir | |
alle schon einen deutlichen Schritt weiter.“ | |
Carsten Saß ist Mitglied im Gemeindekirchenrat. „Lübben hat seit 30 Jahren | |
Erfahrung mit Asylbewerbern, Flüchtlingen und internationalen Zugezogenen | |
aller Art“, sagt er bedächtig. „Insofern bin ich da ein bisschen | |
überrascht, dass jetzt durch die Unterbringung von 80 bis 90 Asylbewerbern | |
plötzlich durch interessierte Kreise Ängste konstruiert werden.“ Die große | |
Kundgebung für Demokratie und Vielfalt, die das neue Bündnis „Buntes | |
Lübben“ Ende Januar veranstaltet hat, war für ihn ein ermutigendes Signal. | |
Er will deutlich machen: „Wer auch immer hierher kommt, ist in Lübben | |
willkommen.“ | |
Die BI „Unser Lübben“ hat zuletzt am 27. Februar eine Kundgebung | |
veranstaltet. Dieses Mal geht es aber nicht um die geplante Unterkunft, | |
sondern wolkig um eine „Neuausrichtung der Politik“. Nancy Schendlinger | |
beschwört einen Schulterschluss zwischen Bauern, Gewerbetreibenden, | |
Handwerker*innen und Bürger*innen, zusammenhalten sei das Gebot der | |
Stunde. | |
Bei dieser Kundgebung der BI waren allerdings auch Steffen Kotré und | |
Hans-Christoph Berndt im Publikum. Berndt hatte die Kundgebung auf seinem | |
Facebook-Profil beworben. | |
## Das Geld werde weniger, die Leute seien unzufrieden | |
Ein weiterer Redner und Mitglied der BI ist Rainer Gosdschan, der in Lübben | |
ein Sportgeschäft betreibt und Werbung gestaltet. Als man ihn spontan in | |
seinem Geschäft aufsucht, lässt Gosdschan erst mal Dampf ab. | |
Die Kosten seien durch Corona und den Ukrainekrieg gestiegen, er könne | |
seine Leute nicht ordentlich bezahlen, mehrere Betriebe hätten schon | |
Insolvenz angemeldet. Kurz darauf taucht Schendlinger auf. Ein verwirrendes | |
Weltbild tut sich auf: Das Geld werde weniger, die Leute seien unzufrieden, | |
Arbeit müsse sich wieder lohnen. Gosdschan zeigt einen Gruppenchat mit etwa | |
300 Teilnehmenden, in dem Panik verbreitet wird. Mütter hätten Angst um | |
ihre Kinder, heißt es wieder, der Zaun sei nicht hoch genug, man müsse der | |
Familie, die ihr Grundstück für Flüchtlinge zur Verfügung stellen, die | |
gesammelten Beschwerden in den Briefkasten werfen. | |
Von den Morddrohungen distanzieren sich Schendlinger und Gosdschan. Beide | |
wollen die BI neu ausrichten und als parteilose Kandidat*innen bei der | |
Kommunalwahl im Juni in Lübben antreten. Niemand in der BI sei Mitglied in | |
der AfD. Im Nachgang des chaotischen Gesprächs besteht Schendlinger auf die | |
„Nichterteilung der Freigabe des nicht stattgefundenen und zuvor | |
unangemeldeten Interviewtermins“. | |
4 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Darius Ossami | |
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