| # taz.de -- RAF-Geschichte: Die Nachlassverwalterin | |
| > Die RAF hat nichts hinterlassen außer Verzweiflung, Tod und kryptischen | |
| > Texten. Dann ist sie vergessen worden. Bis zur Festnahme von Daniela | |
| > Klette. | |
| Bild: Die zerstörte Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt nach einem Bombenansc… | |
| Als Daniela Klette vermutlich 1989 der RAF beitrat, wurde sie Teil einer | |
| Organisation in einer tiefen Krise. Die Terrorgruppe ermordete 1989 den | |
| Bankier Alfred Herrhausen und 1991 den Treuhandchef Detlev Rohwedder. Doch | |
| die großen, im Rückblick heroisch verzerrt wahrgenommenen Zeiten waren | |
| vorbei. Die RAF war in den 70ern eine winzig kleine, streng hierarchisch | |
| organisierte Kadertruppe mit einem überschaubaren Umfeld von | |
| Unterstützern. Aber sie galt als bedeutsamer Teil des bundesdeutschen | |
| Familienromans: als radikale Vertreter der Jüngeren, die mit den | |
| Repräsentanten der postfaschistischen Bundesrepublik nur eine | |
| Kommunikationsform kannten – schießen. | |
| Drei Dutzend Militante hatten es in den 70er Jahren geschafft, als ernste | |
| Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie wahrgenommen zu werden. Die RAF | |
| weckte Angst, Hass, Abwehr, Faszination – gleichgültig war niemand. | |
| Intellektuelle hatten Ulrike Meinhof, die sich 1976 selbst getötet hatte, | |
| zu einer Art Opfer deutscher Verhältnisse stilisiert – und wurden deshalb | |
| von Konservativen als Sympathisanten gebrandmarkt. Über die Gründerfiguren | |
| Andreas Baader und Gudrun Ensslin wurden Spielfilme gedreht und voluminöse | |
| Bücher geschrieben. | |
| In den 80er Jahren war das Drama abgeklungen. Die RAF mordete noch immer, | |
| es gab noch immer Hungerstreiks gegen Isolationsfolter. Aber die | |
| Terrorgruppe hatte seit dem Deutschen Herbst 1977, den Selbsttötungen der | |
| Spitze der ersten Generation in Stammheim ihre glitzernde | |
| Bedeutungsschicht, die Zuschreibung, etwas Zentrales auszudrücken, | |
| verloren. | |
| Die RAF wurde zu einem Gespenst – für Polizei und Justiz unfassbar, und für | |
| die Linke ein Relikt einer Zeit, die man hinter sich lassen wollte. Die | |
| undogmatische Linke hatte lange gebannt mit einer ambivalenten Mixtur von | |
| Bewunderung und Abscheu auf die Terrorgruppe gestarrt. Das wich in den 80er | |
| Jahren entnervter Gleichgültigkeit. | |
| ## Mit der RAF verwoben | |
| Das galt auch für die taz, deren Geschichte mit der RAF verwoben war. 1978 | |
| war die RAF und die finstere Atmosphäre des Deutschen Herbstes vielleicht | |
| der entscheidende Grund für die taz-Gründung. Man wollte ein eigenes, | |
| unzensiertes Medium. In den 80er Jahren war die taz ein Auffangbecken für | |
| Ex-Angehörige von RAF oder 2. Juni, die aus dem Knast kamen, wie Fritz | |
| Teufel, Wolfgang Grundmann und Brigitte Heinrich. | |
| In den 80er Jahren belagerten RAF-Solikomitees öfters die taz, um den | |
| Abdruck von langwierigen Erklärungen durchzusetzen. Der taz-Redakteur | |
| Wolfgang Gast war damals einer der besten Kenner der RAF-Unterstützerszene. | |
| Gast beschrieb den Zoff zwischen der Redaktion, die RAF-Texte ermüdend | |
| fand, und den Antiimperialisten: „Die Besetzungen verliefen meist ähnlich. | |
| Zuerst wurde stundenlang diskutiert. Dann schlug die Stunde der | |
| Pragmatiker. Die Schriftgröße wurde so weit verkleinert, bis der Text auf | |
| eine Seite passte und man die RAF Erklärungen nur mit der Lupe lesen | |
| konnte.“ | |
| In den 90er Jahren hörten die Hungerstreiks und die taz-Besetzungen auf. | |
| Und die Erklärungen der dritten Generation der RAF hatten einen neuen Ton: | |
| offener, dialogischer, fast selbstkritisch. 1992 schrieb die RAF, sie wolle | |
| „darüber nachdenken, was wir falsch gemacht haben“. Nach 1989 könne es | |
| „nicht mehr so weiter gehen wie bisher“. Weil Morde bei den Bürgern nicht | |
| so gut ankämen, werde man damit aufhören. Die RAF rüstete ab – von der | |
| irren Hybris, Avantgarde der Weltrevolution von eigenen Gnaden zu sein, zu | |
| Mieterinitiativen oder wildem Streik. | |
| Die Praxis zu der neuen Theorie war der Anschlag auf das leere Gefängnis in | |
| Weiterstadt 1993, das die dritte Generation mit 200 Kilo Sprengstoff in die | |
| Luft jagte. Die Straße zum Gefängnis sperrte die Gruppe mit einem selbst | |
| gebastelte Schild: „Knastsprengung in Kürze. Sofort wegrennen!“ Weiterstadt | |
| war auch als Abschiebeknast geplant. Die RAF versuchte ein neues | |
| Unterstützermilieu zu gewinnen – antirassistische und autonome Gruppen. | |
| Doch der Versuch blieb vergeblich. RAF, das roch zu streng nach Todestrip, | |
| ML-Dogmatismus und Vergangenheit. | |
| 1996 schickte die RAF eine [1][Erklärung an die taz]. Die Knastsprengung, | |
| so das Selbstlob, wurde „von außergewöhnlich vielen Leuten gut gefunden, | |
| auch über die Linke hinaus.“ Aber insgesamt befinde sich das linksmilitante | |
| Milieu leider „in einem Zerfallsprozess“. | |
| Das einzige Pfund, das die dritte Generation in der Hand zu haben meinte, | |
| war ihre klandestine Struktur. Die Staatsorgane „wissen nicht viel über | |
| uns. Sie haben noch nie wirklich durchgeblickt, wie unsere Strukturen | |
| aussehen oder wer in der RAF organisiert ist“, hieß es. | |
| 1998 löste sich die RAF endgültig auf. Die drei Verdächtigen der dritten | |
| Generation, die Nachlassverwalter der RAF, überfielen danach Banken. Nicht | |
| mehr für den antiimperialistischen Kampf, sondern für den nächsten | |
| Sommerurlaub oder Tanzkurs. | |
| Was ist von der RAF geblieben? 34 Tote. Mehr als 500 Verurteilungen und | |
| viele ungeklärte Morde. Baader und Ensslin sind in der kollektiven | |
| Zeichensprache keine Pop-Embleme geworden, wie Che Guevara, dessen | |
| Konterfei auf Bikinis, T-Shirts oder Wodkawerbung auftaucht. Die RAF hat | |
| nichts hinterlassen außer Verzweiflung, Tod und kryptischen Texten, die | |
| Jüngere kaum noch entschlüsseln können. Dann ist sie einfach vergessen | |
| worden. | |
| [2][Bis zur Festnahme von Klette]. Medien verkündeten „RAF-Terroristin | |
| Daniela Klette in Berlin festgenommen.“ Das Präsens ist erstaunlich. Gibt | |
| es gut 25 Jahre nach der Selbstauflösung noch eine „RAF-Terroristin“? Die | |
| 65-Jährige wurde mit einem gepanzerten Fahrzeug an einen geheimen Ort | |
| gebracht, um Befreiungsaktionen zu verhindern. Es fühlt sich an wie eine | |
| Zeitreise. War zu befürchten, dass palästinensische Militante den | |
| Regionalzug von Verden nach Etelsen entführen, wie 1977 die Lufthansa | |
| Maschine Landshut? | |
| Wahrscheinlich folgt jetzt, was immer folgt. Ein langer Indizienprozess, | |
| beharrliches Schweigen der Angeklagten. Kein Deal mit dem Schweinesystem – | |
| das ist die RAF-Omertà. | |
| Brauchen wir noch einen langwierigen Prozess, der trotz dürftiger | |
| Beweislage damit endet, die letzten Ex-RAF-RentnerInnen ein paar Jahre in | |
| den Knast zu schicken? Gibt es keinen Weg, das Schweigegelübde zu brechen? | |
| Könnte man es nicht mit einer Art Wahrheitskommission probieren? Aussagen | |
| gegen Straffreiheit. Das will auch Carolin Emcke, Publizistin und Patenkind | |
| von Alfred Herrhausen. | |
| Dann könnten wir den Prozess der Abkehr von der mörderischen Gewalt in den | |
| 90er Jahren von innen verstehen. Vielleicht würden Angehörige von Opfern | |
| der RAF erfahren, wer die TäterInnen waren. Es wäre keine Versöhnung mit | |
| dem Grauen der RAF-Geschichte. Aber ein Ende. | |
| Das wird kaum passieren. Nicht in Deutschland, nicht in einem Land mit so | |
| eisernen Prinzipien. | |
| 2 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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