Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Festnahme von Daniela Klette: Untergrund mit Selfies
> Das relativ offene Leben der gefassten Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette
> wirft Fragen auf. Die Suche nach den Weggefährten geht weiter.
Bild: Ausschnitt eines RAF-Fahndungsplakats: Sabine Elke Callsen, Daniela Klett…
BERLIN taz | Corinna Melcher (Name geändert) ist auch am Mittwoch noch
perplex. „Ich kann das immer noch nicht glauben.“ Jahrelang habe sie mit
Claudia Capoeira praktiziert, in einem kleinen Kreuzberger Verein. Ihre
Mitstreiterin habe Kurse für Kinder gegeben, man sei sogar zu Auftritten
nach Frankreich oder Brasilien geflogen. Bei den Gesprächen mit Claudia sei
nie etwas Extremistisches gefallen, berichtet Melcher. Der Verein setze
sich für kulturellen Austausch und gegen Rassismus ein. „Man denkt, man
kennt jemanden, und dann das.“
[1][Denn seit Montagabend ist klar]: „Claudia“ war Daniela Klette, die
frühere RAF-Terroristin. Seit 30 Jahren wurde sie von Ermittlungsbehörden
gesucht, zusammen mit ihren Weggefährten Ernst-Volker Staub und Burkhard
Garweg. Bis heute ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen das Trio,
[2][zuletzt jagte es die Staatsanwaltschaft Verden], weil die
Untergetauchten von 1999 bis 2016 noch sechs Raubüberfälle in Niedersachsen
und Nordrhein-Westfalen verübt haben sollen. Maximal 150.000 Euro Belohnung
sind für Hinweise ausgelobt. Doch bis Montagabend half das alles nichts.
Dann erfolgte Klettes Festnahme mitten in der Hauptstadt, ausgerechnet in
Kreuzberg, dem traditionell linksalternativen Stadtteil. Im November hatte
das LKA Niedersachsen nach eigener Auskunft einen Hinweis aus der
Bevölkerung auf die Wohnung bekommen, diese danach observiert. Zielfahnder
klopften am Montagabend dann an die Tür. Und Klette ließ sich
widerstandslos festnehmen. Über Fingerabdrücke wurde die 65-Jährige laut
Polizei zweifelsfrei identifiziert.
Es war das Ende einer beispiellosen Jagd. Klette, Garweg und Staub sollen
zur dritten und letzten Generation der RAF gehören – über welche die
Ermittler bis heute nicht wissen, wer genau alles dazugehörte. Die Gruppe
verübte etwa die Morde an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und
Treuhand-Chef Detlev Rohwedder. Klette selbst werden drei Anschläge
vorgeworfen: 1990 auf die Deutsche Bank in Eschborn, ein Jahr später auf
die US-Botschaft in Bad Godesberg und 1993 auf die im Bau befindliche JVA
Weiterstadt.
## In ihrem Capoeira-Verein trat Klette öffentlich auf
Klettes Festnahme wurde von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
bejubelt. Auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sprach
von einem „Meisterstück“. Aber kann man das wirklich so sagen? Denn
offenbar wohnte Klette seit vielen Jahren in Kreuzberg – und kaum
versteckt.
Noch am Mittwoch sperrten Polizeibeamte das graue, siebenstöckige Mietshaus
in Kreuzberg ab, in dem Klette zuletzt wohnte. Kolleg*innen sicherten in
ihrer Wohnung jede Spur. Tags zuvor hatten auch Nachbarn
Journalist*innen berichtet, dass die Festgenomme sich „Claudia“ genannt
habe. Dass sie schon viele Jahre im Haus lebte, unauffällig freundlich,
Nachhilfe habe sie gegeben.
Wie sicher sich Klette offenbar fühlte, zeigen ihre Aktivitäten im
örtlichen Capoeira-Verein. Deren Chef und „Mestre“ will sich nicht äußer…
Aber Mitstreiterin Corinna Melcher berichtet, dass „Claudia“ schon dabei
gewesen sei, als sich die Gruppe vor gut zehn Jahren zusammenfand. Was
„Claudia“ sonst noch so mache, da habe sie nie so genau nachgefragt. Ihr
Geld bekomme sie vom Jobcenter, soll sie erzählt haben. „Das ist ja noch
nichts Besonderes.“ Am Ende, vor rund vier Jahren, habe „Claudia“ dann ab…
den Verein verlassen. Es habe zwischenmenschlich nicht mehr gepasst, sagt
Melcher. „Nichts Dramatisches.“
Zumindest hier in Kreuzberg hatte sich Klette also nicht versteckt. Für
ihren Capoeiraverein trat sie auch nach außen hin öffentlich auf. Im Sommer
2018 veranstaltete sie im Namen des Vereins ein Infotreffen für
Interessierte in einem Neuköllner Kulturzentrum mit. Auf einem Foto von
diesem Tag ist sie zu sehen, untergehakt mit anderen Frauen. Ihre langen,
grauen Haare sind zum Zopf gebunden, fast schüchtern schaut sie in die
Kamera. Alle Anwesenden würde die „herzliche und schöne Atmosphäre in
Erinnerung“ bleiben, steht über dem Bild.
## Wenige Likes auf ihrem Facebook-Account
[3][Laut Welt] tanzte Klette im Jahr 2011 auch auf dem jährlichen „Karneval
der Kulturen“. Fotos zeigen sie in einem weiß-gelben Kleid und mit
Stirnband, inmitten einer großen Menge. Sie muss sich sehr sicher gefühlt
haben in Berlin.
Und auch sonst war Klette nicht übermäßig vorsichtig. Auch heute noch, zwei
Tage nach der Festnahme, finden sich von Klette zahlreiche Spuren im
Internet. Seit 2011 betrieb sie ein Profil auf Facebook, [4][unter ihrem
Pseudonym „Claudia Ivone]“. Dort postete sie vor allem Werbung für ihren
Capoeiraverein und Fotos von Pflanzen, Wäldern, Seen. Man sieht sie in
bunter Pluderhose in einem Kreis sitzen und mit anderen musizieren. Ein
anderes Bild zeigt sie untergehakt mit jungen Leuten auf einer
Capoeira-Veranstaltung. Der letzte Beitrag stammt von Anfang 2023: Blumen
in den Berliner Prinzessinnengärten – nur wenige hundert Meter von ihrer
Wohnung entfernt.
Viel Resonanz erfuhr sie nicht auf ihrem Profil, nur hin und wieder ein
Daumen Hoch für eines ihrer Fotos. Politisch hat sie sich bei Facebook nie
geäußert. Einen Hinweis darauf, wo sie politisch steht, gibt nur die Liste
der Vereine und Gruppen, die Klette likt: brasilianische Künstler*innen,
aber auch Bündnisse und Vereine, die sich gegen Rassismus engagieren, und
die taz.
Am Ende war ihr auch ein Podcast-Team auf den Fersen. Im Dezember 2023
erschien bei der ARD [5][der zweiteilige Podcast „Legion“] der
Podcast-Firma Undone. In zwei Teilen spürt das Team dem Gerücht hinterher,
Daniela Klette lebe unbemerkt in einer deutschen Großstadt. Die
Macher*innen kommen Klette tatsächlich auf die Spur – mit Hilfe von
Bilderkennungssoftware im Internet. Sie stoßen auf die Bilder Klettes bei
dem Berliner Capoeira-Verein. Dort erfahren die Journalist*innen dann
ebenfalls, dass Klette seit Jahren nicht mehr aktiv sei. Finden können sie
Klette schließlich nicht. „Aber heute wissen wir, dass wir ziemlich nah an
ihr dran waren“, sagt Patrick Stegemann, der den Podcast mitproduziert hat.
## Klette droht eine mehrjährige Haft
Wie kann es sein, dass Journalist*innen eine untergetauchte Terroristin
fast finden, die Polizei in mehreren Jahrzehnten Ermittlungsarbeit aber
nicht? Und war es womöglich die Podcast-Recherche, die im November den
entscheidenden Anstoß bei der Polizei gab und jetzt zur Ergreifung von
Klette führte? Stegemann, der Podcast-Produzent, kann dazu nichts sagen,
auch die Staatsanwaltschaft Verden wollte sich am Mittwoch nicht äußern.
Ob Klette auch noch Kontakt in die linke Szene hielt, blieb vorerst offen.
Die gebürtige Karlsruherin war in den 70ern Teil der Anti-Nato-Bewegung und
Roten Hilfe. In den Untergrund soll sie 1989 gegangen sein – kurz nach dem
Herrhausen-Attentat. Die Szenesolidarität bleibt vorerst überschaubar. In
Hamburg hisste am Mittwoch die Rote Flora ein Solidaritätsbanner. „Viel
Kraft und Lebensfreude, lasst es euch gut gehen!“, schrieb der
Solidaritätsverein Rote Hilfe schon 2016 in seiner Mitgliederzeitung.
Bundesvorständin Anja Sommerfeld nennt die Festnahme Klettes das Ergebnis
einer „jahrzehntelangen Verfolgungswut“ und eines „staatlichen
Rachebedürfnis“. Es sei zu befürchten, dass in dem neuerlichen
RAF-Verfahren „sämtliche rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt
werden, um eine möglichst hohe Haftstrafe zu erreichen und Reuebekundungen
zu erpressen“.
Tatsächlich droht Klette, die nun in der JVA Vechta sitzen soll, eine
mehrjährige Haft. Da bei den Raubüberfällen auch Schüsse fielen, laufen die
Ermittlungen hier auch wegen versuchten Mordes. Als politisch motiviert sah
die Staatsanwaltschaft diese Taten nicht mehr, dennoch wiegen die Delikte
schwer. Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist zwar
verjährt, nicht aber die Vorwürfe zu den Anschlägen in Eschborn, Bad
Godesberg und Weiterstadt, bei denen jeweils DNA von Klette gefunden wurde.
Personen wurden damals nicht verletzt, dennoch prüft die
Bundesanwaltschaft, ob auch sie noch einen Haftbefehl gegen Klette
verhängt.
Weiter auf der Flucht sind Garweg und Staub. Noch am Dienstag hatte das LKA
die Hoffnung, einen der beiden erwischt zu haben, ein weiterer Mann wurde
in Berlin festgenommen. [6][Vom LKA hieß es am Mittwochmorgen dazu], der
Betroffene sei „zweifelsfrei“ nicht Garweg oder Staub und wieder
freigelassen. Nachmittags vermeldeten Medien eine weitere Festnahme im
RAF-Fall – die Staatsanwaltschaft wollte sich dazu nicht äußern. Doch auch
hier kein Treffer: „Es wird weiter nach den zwei Gesuchten gefahndet“,
erklärte eine LKA-Sprecherin.
Schon im Dezember hatte die Staatsanwaltschaft Verden nochmal
Familienangehörige und vermeintliche frühere Bekannte des RAF-Trios zu
Befragungen geladen. Zuletzt wurde der Fall auch über die ZDF-Sendung
„Aktenzeichen XY … ungelöst“ ausgestrahlt, 250 Hinweise erfolgten im
Anschluss.
Die Ermittler hoffen jetzt aber vor allem auf Hinweise von der Festnahme
und aus der Wohnung von Klette. Bisher wurden dort etwa zwei Magazine und
Munition beschlagnahmt, aber keine Waffe. Eine könnte wohl sagen, wo Staub
und Garweg sind: Aber Daniela Klette schweigt bisher.
Aktualisiert und ergänzt am 29. 02. 2024 um 08:15 Uhr. d. R.
28 Feb 2024
## LINKS
[1] /RAF-Terroristin-Daniela-Klette-verhaftet/!5992157
[2] /Verschollene-Mitglieder-der-RAF/!5266543
[3] https://www.welt.de/politik/deutschland/article250311820/Daniela-Klette-Ex-…
[4] https://www.facebook.com/claudia.ivone.31
[5] https://www.ardaudiothek.de/sendung/legion/12015417/
[6] /Nach-der-Festnahme-von-Daniela-Klette/!5995313
## AUTOREN
Konrad Litschko
Anne Fromm
## TAGS
Rote Armee Fraktion / RAF
Linksextremismus
Polizei
Kreuzberg
Tanz
Fahndung
GNS
IG
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fahndungsplakate der RAF: Die Porträts der Gesuchten
Die alten RAF-Fahndungsplakate haben sich ins Gedächtnis gebrannt.
Originale aus den Siebzigern kann man heute auf Ebay kaufen.
Rechercheur über Aufspüren von Klette: „Ich hätte lieber Neonazis gefunden…
In 30 Minuten gelang es Michael Colborne, was deutsche Behörden in 30
Jahren nicht vermochten. In Jubellaune ist er trotzdem nicht.
RAF-Geschichte: Die Nachlassverwalterin
Die RAF hat nichts hinterlassen außer Verzweiflung, Tod und kryptischen
Texten. Dann ist sie vergessen worden. Bis zur Festnahme von Daniela
Klette.
Gefasste RAF-Terroristin: Gesuchte RAF-Leute in Berlin?
Die Polizei findet in der Wohnung der einstigen RAF-Terroristin Klette
Waffen. Das LKA vermutet ihre flüchtigen Begleiter Staub und Garweg in
Berlin.
Festnahme von Daniela Klette: Der kleine Knall zum langen Zerfall
Dass die Rechnung zwischen Behörden und RAF beglichen wird, geht in
Ordnung. Wer als „Sympathisant“ verfolgt wurde, wird das aber nicht
vergessen.
Verhaftete „RAF-Rentnerin“ Klette: Härte statt Vernunft
Der Staat tut so, als seien die drei ehemaligen RAFler heute noch die
Staatsfeinde Nummer 1. Er hätte ihnen längst die Hand reichen können.
SEK sucht Rentner: Deutsche wieder mobilisiert
lm Regionalverkehr von NRW wurde die RAF-Vergangenheit erfolgreich
nachgestellt: Denunziation, Kopfgeld, Spezialeinsatzkräfte – alles war
dabei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.