# taz.de -- Die Wahrheit: Quasi gottgleicher Studiker | |
> Ein jetzt ans Licht gekommenes historisches Dokument wirft viele Fragen | |
> auf: Ist es wirklich möglich, dass Franz Beckenbauer mal immatrikuliert | |
> war? | |
Bild: „Geht’s raus und spuit’s Fußball“: Franz Beckenbauer beim analog… | |
Nach Franz Beckenbauers Tod am 7. Januar 2024 hat Fußballdeutschland seinen | |
Frieden mit dem „Kaiser“ geschlossen: Verziehen und vergessen sind die | |
leidigen Steuergeschichten und Korruptionsvorwürfe, mit denen er sich | |
herumschlagen musste. | |
Was zählt, sind seither endlich wieder seine großen sportlichen Erfolge, | |
der Ruhm, den ihm seine elegante Spielweise eintrug, und die undeutsche | |
Lässigkeit, die ihm zu eigen war: „Man wird von Franz Beckenbauer in | |
Erinnerung behalten, wie schön er spielte, wie herzhaft er wütete, wie | |
charmant er scherzte“ (Münchner Merkur). „Er war der Kaiser, der weltliche | |
Herrscher über den Fußball, später sogar die Lichtgestalt für den Sport in | |
Deutschland. Quasi gottesgleich“ (Deutschlandfunk). „Egal, wie und in | |
welchem Zusammenhang man sich an ihn erinnern mag: Lasst den Kaiser dabei | |
lächeln“ (Kicker). „Eine Ikone und ein deutscher Held“ (Tuttosport) … | |
Doch jetzt fallen neue Schatten der Vergangenheit auf die Lichtgestalt. | |
Wenn es stimmt, was die Pasingerin Ottilie Schießl berichtet, hat | |
Beckenbauer sich Mitte der siebziger Jahre mehrmals mit einem gefälschten | |
Studentenausweis ermäßigten Eintritt verschafft. „Und zwar in dem Kino | |
Arena in der Hans-Sachs-Straße im Glockenbachviertel“, sagt Ottilie | |
Schießl. | |
„Da hat meine Mutter Babett an der Kasse gesessen und sich immer wieder | |
darüber gewundert, dass der gutbetuchte Herr Beckenbauer mit einem | |
Studentenausweis angekommen ist. Davon hat sie mir oft erzählt. ‚Aber Herr | |
Beckenbauer‘, hat sie beim ersten Mal gesagt, ‚sind Sie jetzt unter die | |
Studiker gegangen?‘ Darauf hat er geantwortet: ‚Studieren geht über | |
Probieren!‘ Meine Mutter hat gefragt: ‚Was studieren Sie denn?‘ Und | |
Beckenbauer hat erwidert: ‚Jura, Papyrologie und Numerus clausus!‘“ | |
Ottilie Schießl zufolge ist von ihrer Mutter auch überliefert worden, | |
welche Filme Beckenbauer sich damals angesehen hatte: „Schwarzwaldfahrt aus | |
Liebeskummer“, „Godzilla und die Urweltraupen“, „Blutnacht des Teufels�… | |
„Zwei Schlitzohren in der gelben Hölle“, „Todeskommando Panthersprung“, | |
„Dicke Luft in Sacramento“ und „Bruce Lee – Das Geheimnis der grünen | |
Hornisse“ sowie „Champagner aus dem Knobelbecher“. | |
Wie man weiß, strebte Beckenbauer zu jener Zeit jedoch allmählich in höhere | |
kulturelle Sphären hinauf. 1977, sagt Ottilie Schießl, habe ihre Mutter | |
auch einmal bei den Bayreuther Festspielen an der Kasse gesessen, und | |
selbst dort habe Beckenbauer seinen Studentenausweis gezückt: „Da wollte er | |
sich den verbilligten Eintritt für eine Aufführung von ‚Tristan und Isolde�… | |
erschleichen. Und als seine Studienfächer hat er auf Nachfrage | |
Tropenmedizin und Gießereitechnik angegeben! Meine Mutter hat dann | |
Rücksprache mit dem Festspielleiter Wolfgang Wagner gehalten, und der hat | |
ihr mitgeteilt, dass sie den Franz einfach durchwinken soll …“ | |
Den Studentenausweis hat Babett Schießl in Bayreuth allerdings einbehalten | |
und ihn später ihrer Tochter vererbt. Die Tatsache, dass es sich um eine | |
Fälschung handelt, geht bereits aus dem Schreibfehler im Namen der | |
Universität mit Doppel-l hervor. Bezeichnenderweise fehlt außerdem die | |
Angabe des Semesters. Offenkundig hatte Beckenbauer keine Lust dazu, | |
zweimal jährlich einen neuen Ausweis zu fälschen. | |
Eine Rückfrage bei der Ludwig-Maximilians-Universität hat ergeben, dass | |
Beckenbauer dort nie immatrikuliert war. Anlässlich der Veröffentlichung | |
seiner Single „Du bist das Glück“ (mit der B-Seite „1:0 für die Liebe�… | |
Jahre 1967 soll man dort allerdings überlegt haben, ihm die | |
Ehrendoktorwürde zu verleihen – ein Plan, der jedoch fallengelassen wurde, | |
nachdem Beckenbauer signalisiert hatte, dass er nicht gerade wild darauf | |
sei, deswegen seinen Skiurlaub in Kitzbühel zu unterbrechen. | |
## Ausweis dann eben auf Ebay anbieten | |
Ottilie Schießl, die von einer kleinen Witwenrente lebt, hat den | |
Studentenausweis inzwischen sowohl dem Museum des FC Bayern, dem Münchner | |
Filmmuseum und der Deutschen Kinemathek in Berlin als auch dem Deutschen | |
Fußballmuseum in Dortmund und dem Bonner Haus der Geschichte zum Kauf | |
angeboten. Und ist überall abgeblitzt: „Die haben sich das Ding nicht mal | |
näher anschauen wollen! ‚Da könnte ja jeder kommen‘, hat es geheißen, und | |
in Dortmund hat man mir sogar ein Hausverbot angedroht! Jetzt werde ich den | |
Ausweis halt auf Ebay anbieten. Oder in der ZDF-Trödelshow ‚Bares für | |
Rares‘. Es sei denn, dass mir vorher jemand ein Angebot macht, das ich | |
nicht ablehnen kann …“ | |
Bei der Münchner Kriminalpolizei gibt man sich unterdessen gelassen. Nach | |
Auskunft ihres Pressesprechers Wastl Haselwantner ist die Sache längst | |
verjährt: „Wann dea Franz do wirkli a Urkundenfälschung begangn hod, ko erm | |
bloß no dea Herrgott dafia zua Rechenschoft ziang.“ | |
27 Feb 2024 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Henschel | |
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