Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: „Lassen Sie mich hier kleben!“
> Das Wahrheit-Exklusiv-Interview: Der Aktivist Bodo Schierke über die
> geplante Herabstufung des berühmten Hundertwasserbahnhofs in Uelzen.
Bild: Protest gegen Downsizing: Schmuckstück Bahnhof Uelzen
taz: Herr Schierke, Sie haben sich vorgestern hier im Uelzener
Hundertwasserbahnhof, den der verstorbene Künstler Friedensreich
Hundertwasser gestaltet hat, an den Service Point geklebt und befinden sich
seither im Hungerstreik. Warum?
Bodo Schierke: Weil ich dagegen bin, dass der Hundertwasserbahnhof in einen
Fünfzigwasserbahnhof umgewandelt wird.
Für dieses Downgrading gibt es aber einen guten Grund: Es ist mittlerweile
schlichtweg zu kostspielig, einen Hundertwasserbahnhof zu finanzieren.
Man kann doch auch anderswo sparen. Bei den Renten oder beim Kindergeld.
Auf der anderen Seite hätte es noch viel schlimmer kommen können: Eine Zeit
lang war die Herabstufung zu einem Dreißigwasserbahnhof im Gespräch, und
manche Experten meinten sogar, dass ein Siebenwasserbahnhof genüge …
Dagegen sage ich: Selbst ein Neunundneunzigwasserbahnhof wäre absolut
indiskutabel! Ich würde sogar noch weitergehen und ein drastisches
Upgrading fordern: Her mit dem Zweitausendwasserbahnhof!
Sie wissen selbst, dass ein solcher Schritt schon aus ökologischen Gründen
vollkommen unverantwortlich wäre.
Es muss ja kein Trinkwasser sein. Von mir aus ginge auch Salzwasser.
So gesehen könnte man auch auf ganz andere Flüssigkeiten ausweichen. Wie
wäre es mit einem Hundertklärschlämmebahnhof?
Ich bitte Sie! Wäre das aus ökologischer Sicht etwa vernünftiger als ein
Zweitausendsalzwasserbahnhof?
Gegenfrage: Weshalb bringt Sie das alles so auf die Palme? Andernorts
werden ähnliche Sparmaßnahmen relativ gelassen hingenommen. Niemand hat
sich über das Downsizing des Siebengebirges zum Fünfgebirge aufgeregt, aus
der Stadt Neunkirchen ist ohne größeres Aufsehen die Stadt
Dreieinhalbkirchen geworden, die Fußballfans können gut damit leben, dass
man den Elfmeterpunkt auf einen Elfzentimeterpunkt reduziert hat, und
niemand trauert dem Zwölffingerdarmgeschwür nach, seit es aus Kostengründen
zu einem Sechsfingerdarmgeschwür gesundgeschrumpft worden ist.
Aber das lässt sich doch überhaupt nicht vergleichen! Der
Hundertwasserbahnhof ist weder ein Gebirge noch eine Stadt und auch kein
Elfmeterpunkt und erst recht kein Geschwür!
Darüber gehen die Meinung auseinander, aber lassen wir das. Wie lange
wollen Sie Ihren Hungerstreik fortsetzen?
Bis zum bitteren Ende. (Singt:) Und lieg ich dereinst auf der Bahre, dann
denkt an meine Gu-i-tah-re! Und gebt sie mir mit in mein Grab!
Und wenn Ihre Protestaktion Erfolg haben sollte: Was würden Sie dann als
erstes essen?
Eine Currywurst … danach vielleicht eine Portion King’s Crunchy Pepper
Chicken … und anschließend ein Rindertartar mit gebeiztem Eigelb und
Wagyu-Croûtons, ein Hirschrückenfilet mit Birnentartelette und
Silberohrpilzen, ein gebratenes Milchkalbsbries auf Lebkuchensoße mit
soufflierter Quinoa sowie ein Entrecôte Hereford maturée avec sauce
béarnaise und zum Nachtisch ein Dutzend Fruchtzwerge-Quetschies in der
Geschmacksrichtung Banane-Erdbeer.
Denken Sie während Ihres Hungerstreiks oft ans Essen?
Eigentlich nicht. Genau genommen haben erst Sie mich darauf gebracht.
Knurrt Ihnen denn nicht der Magen?
Ja, durchaus, aber ich wünschte, Sie würden das Thema wechseln.
Gut! Kehren wir noch einmal zu den Sparmaßnahmen zurück. Anfang Januar hat
auch das Wirtshaus am Neunerköpfle im österreichischen Tannheim den Gürtel
enger geschnallt und sich in Wirtshaus am Viererköpfle umbenannt. Die
dadurch eingesparten Betriebsausgaben in Höhe von jährlich etwa 6.000 Euro
sollen gemeinnützigen Zwecken zugute kommen. Finden Sie auch das verkehrt?
Dazu kann ich nichts sagen. Mich interessiert dieses Wirtshaus nicht.
Sollte es aber! Dort stehen Gerichte auf der Speisekarte, nach denen sich
gerade ein Hungerstreikender sämtliche zehn Finger lecken dürfte: Tiroler
Zwiebelrostbraten, Rumpsteak mit Pfefferrahmsoße, Speckbohnen und
Röstischiffchen oder auch Schlutzkrapfen mit Spinat-Ricotta-Füllung …
Wie gesagt: Das interessiert mich nicht!
Nicht einmal der hausgemachte Topfenstrudel?
Nein!
Auch nicht die Germknödel mit Mohnzucker, Vanillesoße und
Kirschmarmeladenfüllung?
Nein! Und jetzt gehen Sie bitte weg! Lassen Sie mich hier einfach am
Service Point kleben …
Wie Sie wollen, Herr Schierke. Vielen Dank für das Gespräch.
29 Jan 2025
## AUTOREN
Gerhard Henschel
## TAGS
Bahnhöfe
Kunstwerk
Niedersachsen
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Gedicht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: „Haben Sie was gegen Träume?“
Der Dichter Thomas Gsella über seine umstrittene „Gsellakotta-Armee“ und
die deutsche Bürokratie. Das Wahrheit-Interview.
Die Wahrheit: Der lange Schatten des Dichters
Endlich eröffnet und schon ein großer Erfolg – der Internationale
Thomas-Gsella-Erlebnisbahnhof im Essener Südviertel.
Die Wahrheit: Quasi gottgleicher Studiker
Ein jetzt ans Licht gekommenes historisches Dokument wirft viele Fragen
auf: Ist es wirklich möglich, dass Franz Beckenbauer mal immatrikuliert
war?
Die Wahrheit: Nit schlääch, Häär Späch!
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Zur Weiberfastnacht gibt es
ein Karnevalslied mit hochdeutscher Übersetzung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.