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# taz.de -- Tattoo-Performance von Monty Richthofen: Das Gefühl stechen
> Monty Richthofen hat seine eigene Theorie des Gekrakels entwickelt. Das
> zeigte der Künstler kürzlich in seiner Performance in einer Berliner
> Galerie.
Bild: Tattoo-Performance von Monty Richthofen in der Galerie Dittrich & Schlech…
Notizzettel sind treue Begleiter, um Termine, Einfälle oder Telefonnummern
festzuhalten. Man schreibt auf, was man nicht vergessen will. Der Berliner
Künstler Monty Richthofen, auch bekannt als [1][@maison_hefner auf
Instagram], postet seit einigen Jahren krakelig beschriebene Notizzettel
und (Lein-)Wände, besprüht sie mit Sprüchen wie „the best things in life
are free if you steal them“, „this is what happens if you go to school“
oder „follow me inside my head“.
Manchmal erscheint auf Richthofens Kanal ein paar Tage später derselbe
Schriftzug noch einmal. Diesmal allerdings rot umrandet und etwas
geschwollen auf der Haut eines Menschen. Der 29-jährige Tätowierer hat in
London Performance Practice und Design studiert.
[2][Die Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem] lud in der vergangenen
Woche zu einer Tattoo-Performance Richthofens ein. Die Körperintervention
trug den Titel „The Cards You were Dealt“. Personen, deren Namen ausgelost
wurden, konnten an zwei Tagen kostenlos einen Text des Künstlers auf ihre
Haut gestochen bekommen.
Die Person, die jeweils zuvor tätowiert wurde, suchte drei Texte aus, aus
denen der*die Nächste wählen konnte. Jeder der ausgewählten Sätze wurde
vom Künstler auf einem Leuchtkasten festgehalten, am Ende ergab sich so ein
Gesamtbildnis der getroffenen Entscheidungen.
## „Thank God Social Media is dead“
Mit einem lauten Zischen der Nebelmaschine beginnt die
Eröffnungsperformance im Untergeschoss der Galerie. In der Mitte des
dunstigen, durch die Leuchtboxen rot erhellten Raums steht Richthofen,
neben ihm eine schwarze Liege. Nach und nach zieht Richthofen sechs kleine
Notizzettel aus der gläsernen Box, in welche interessierte Personen eine
Woche lang ihren Namen werfen konnten. Es folgen unterschiedliche
Reaktionen auf das Hören des eigenen Namens – manche erfreut, manche
überrascht. Richthofen wird umarmt, ein anderer reagiert mit einem „Oh.“
Der erste Teilnehmer der Performance heißt Julien und hat sich von drei
Texten einen ausgesucht, [3][den er nun unter die Haut gestochen bekommt.]
Richthofen zieht den Handschuh an, desinfiziert die zu beschriftende
Stelle, dann ertönt das Summen der Nadel. Gelassen tätowiert er den Oberarm
des seitlich vor ihm liegenden Mannes, motorische Feinarbeit, von Hunderten
Augen verfolgt.
Nach einigen Minuten verstummt das Surren der Nadeln, stattdessen ertönt
das Quietschen des Eddings, als Richthofen den gerade tätowierten Text nun
auf die schummrig rot leuchtende Lichtbox schreibt: „Thank God Social Media
is dead“.
## Eine Sache des Vertrauens
Wer sind die Personen, die sich unter eingeschränkten Auswahlbedingungen
tätowieren lassen? Richthofen glaubt, wer sich melde, wolle eine gewisse
Erfahrung machen. Für ihn selbst sei das Tätowieren ein intimer Akt
zwischen zwei Personen, der auf Gegenseitigkeit und Vertrauen basiere: „Es
geht auch um eine Hingabe, man widmet sich gemeinsam einer Sache.“
Richthofens Äußeres ist unauffällig, ganz anders als seine frechen, teils
provokanten Texte. Auf der Eröffnung seines Events geht er in heller Hose
und schwarzem Oberteil unter in der Menge der ungefähr hundert, meist
auffällig gekleideten Kunstinteressierten. Im Gespräch wird klar, dass er
keine Äußerlichkeiten braucht, um im Gedächtnis zu bleiben. Seine
Ausdrucksweise ist bedacht und zieht das Gegenüber in seinen Bann. Ihm
liegt viel an der Sache, das merkt man, und er begegnet ihr mit
Ehrlichkeit.
Seine Texte entstünden intuitiv, erzählt er. „Ich sehe das Schreiben wie
eine Momentaufnahme, man kann es mit einer Fotografie vergleichen. Das kann
der Versuch sein, ein Gefühl oder eine Situation einzufangen, oder es kann
wie ein Selbstporträt funktionieren. Ich versuche dabei so ungefiltert wie
möglich zu sein, für mich ist diese Ehrlichkeit in den Texten die Brücke zu
meinem Gegenüber.“
## Wie ein Spiegelbild der Gefühlswelt
Er setze sich in seinem Schreiben [4][oft kritisch mit seinem Umfeld],
seiner Rolle als Mensch oder auch als Individuum in einer Gesellschaft
auseinander. Seinen unverwechselbar krakeligen Stil habe er gefunden, indem
er sich lange mit Text und Schrift befasst habe und manchmal auch mit links
schreibe.
„Man fängt in der Grundschule an, die Schrift auf die Perfektion zu lernen.
Jetzt will ich sie wieder dekonstruieren und so schreiben, wie ich mich
fühle. Sie ist wie ein Spiegelbild der inneren Gefühlswelt. Wenn ich mich
nach Unordnung oder Irrationalität fühle, dann schreibe ich auch so.“
Richthofen erzählt, die Performance seiner Arbeit vor Publikum habe ihm
Raum zur Verletzlichkeit und für neue Erfahrungen geboten.
Auch war für ihn der Zufall des Auswahlprozesses ein wichtiger Aspekt der
Veranstaltung: „Wenn man nicht weiß, mit wem man arbeiten wird, macht es
das einfach spannender. Für mich ist es ein wichtiger Bestandteil für mein
eigenes Schaffen, nicht zu wissen, wie genau es jetzt abläuft. Ich finde,
in unseren alltäglichen Strukturen ist alles ziemlich festgesetzt – sich da
besonders im Schaffensprozess bereitzustellen für zufällige Momente und
Zufallsbegegnungen, das fasziniert.“
26 Feb 2024
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/maison_hefner/?hl=de
[2] /Ausstellungen-zum-Mikrokosmos-Club/!5952412
[3] /Soziologin-ueber-Schoenheit/!5960901
[4] /Tagebuch-schreiben/!5961662
## AUTOREN
Cara Hofmann
## TAGS
Tattoo
Performance-KünstlerIn
Berlin Ausstellung
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Zeitgenössischer Tanz
Kunst
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