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# taz.de -- Nachruf auf Ingrid Strobl: Die Pionierin mit dem Wecker
> Ingrid Strobl recherchierte die Geschichte von Frauen im Widerstand gegen
> den NS. Wegen eines Weckers saß sie fünf Jahre in Haft. Nun ist sie
> gestorben.
Bild: Ingrid Strobl in Köln im Jahr 2020
Im Jahr 1989 sitzt Ingrid Strobl in Isolationshaft. Wegen Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Herbeiführen einer
Sprengstoffexplosion muss sie [1][fünf Jahre Haft] absitzen. Währenddessen
erscheint ihr Buch über Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
und wird zum Bestseller. Die Recherchen zu [2][„Sag nie, du gehst den
letzten Weg“] hatte sie so gut wie fertig, als sie ins Gefängnis kam. Das
Buch gilt bis heute als Standardwerk.
Verurteilt worden war Strobl, weil sie einen Wecker gekauft hatte, einen
Emes-Sonochron, Seriennummer 6457. Diesen Wecker hatte die linksradikale
[3][Gruppe Revolutionäre Zellen], genannt RZ, 1986 in einer Bombe
verarbeitet, die bei einem Anschlag auf ein Verwaltungsgebäude der
Lufthansa in Köln explodierte. Die RZ wollten mit dem Anschlag Sextourismus
skandalisieren, zu dem die Flüge in den Fernen Osten beitrugen.
Die Solidarität mit der damals schon als Journalistin bekannten Ingrid
Strobl war riesig. Die Freilassungskampagne, die unter anderem von der
Autorin Katja Leyrer und dem damaligen taz-Redakteur Oliver Tolmein
initiiert wurde, unterstützten Prominente wie Elfriede Jelinek, Dieter
Hildebrandt und Jan Philipp Reemtsma. Jahrzehntelang galt Strobl als
politische Gefangene, die unschuldig im Gefängnis saß und die Opfer der
Verdachtsjustiz im Rahmen der RAF-Verfolgung geworden war. Dass Strobl den
Wecker gekauft hatte, stand außer Frage.
## Frauen im Gefängnis
Dass sie gewusst hatte, wofür der Wecker benutzt werden würde, hat sie erst
30 Jahre später zugegeben. In ihrem Buch [4][„Die vermessene Zeit. Der
Wecker, der Knast und ich“], das sie 2020 veröffentlichte, erinnert sie
sich an ihre Jahre im Gefängnis. Detailliert erzählt sie davon, wie sie
sich Disziplin auferlegte und im Gefängnis die Recherchen an [5][„Die Angst
kam erst danach“] aufnahm, ihrem nächsten Buch zu jüdischen Frauen im
Widerstand.
Sie erzählt von den verschiedenen Begegnungen mit Frauen im Gefängnis,
insbesondere von den Schließerinnen, die ihr unter anderem halfen, Bücher
in ihre Zelle zu bekommen. Ein außergewöhnlicher Blick für eine linke
politische Gefangene dieser Jahre, denen sämtliche Gefängnisangestellten
doch eigentlich als Handlanger des kapitalistischen Schweinesystems galten.
Außergewöhnlich ist Strobl sowieso. Geboren im Jahr 1952 im
österreichischen Innsbruck und aufgewachsen in sehr bescheidenen
Verhältnissen, kämpft sie für ihren eigenen Weg, studiert Germanistik und
Kunstgeschichte und wird an der Uni Wien mit einer Promotion über „Rhetorik
im Dritten Reich“ Dr. Ingrid Strobl. Sie engagiert sich in der
Frauenbewegung, arbeitet freiberuflich als Journalistin für den ORF und
zieht schließlich nach Köln, wo sie 1979 Redakteurin des Frauenmagazins
EMMA wird. 1986 verlässt sie die EMMA und arbeitet freiberuflich für den
WDR.
## Geschichten ohne Preise
Als Ingrid Strobl 1990 aus dem Gefängnis entlassen wird, nimmt der WDR sie
wieder auf, wo sie bis in diese Tage beschäftigt war und Geschichten
recherchierte, für die es wenig Aufmerksamkeit und keine Journalistenpreise
gab, wie jene der drogenabhängigen Frauen auf dem Straßenstrich, über die
sie ebenfalls ein Sachbuch veröffentlichte.
Zeit ihres Lebens hat sich Ingrid Strobl mit der Geschichte der Frauen
beschäftigt und unermüdlich recherchiert und publiziert. Sie hat
Hörfunkfeatures und Dokumentarfilme produziert und Dutzende Bücher
veröffentlicht.
Sie hat sich nach ihrem Gefängnisaufenthalt nicht weiter mit sich selbst
beschäftigt, sondern die Schicksale anderer Frauen in den Vordergrund
gestellt. Es war Ingrid Strobl, die Chaika Grossmans Buch über den
jüdischen Widerstand in Bialystok „Die Untergrundarmee“ übersetzte und das
Vorwort zur deutschen Ausgabe schrieb.
Ihr Dokumentarfilm [6][„Mir zeynen do!“] über den Ghettoaufstand und die
Partisaninnen von Bialystok liegt in hebräischer Übersetzung auch in den
Archiven Yad Vashem und Beit Lochamej haGeta’ot. 1995 kuratierte Ingrid
Strobl unter anderem mit Arno Lustiger die Ausstellung „Im Kampf gegen
Besatzung und ‚Endlösung‘. Widerstand der Juden in Europa 1939–1945“ f…
das Jüdische Museum Frankfurt.
In einem [7][Gespräch, das die Autorin mit Ingrid Strobl im Jahr 2020 für
die taz] geführt hat, sagte sie über ihre Motive, den Terror der RZ zu
unterstützen: „… ich finde keine Antwort auf die Frage, was ich damals
gedacht und warum ich das gemacht habe. Ich frage mich nie, warum ich in
der Frauenbewegung war und mich dort so engagiert habe. Aber woher diese
furchtbare Radikalität kam, schon. Da war richtig Hass in mir. Es mag sein,
dass es bei mir ein verschobener Klassenhass war, aber das ändert ja nichts
daran, dass das nichts mit meinem Wesen zu tun hatte.“
Ingrid Strobl ist am 25. Januar in Köln gestorben.
4 Feb 2024
## LINKS
[1] /Fuenf-Jahre-Knast-gegen-Ingrid-Strobl/!1809323/
[2] /Sag-nie-du-gehst-den-letzten-Weg/!1794182/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Zora_(Terrororganisation)
[4] /Ingrid-Strobl-ueber-Knast-und-Klasse/!5671159
[5] https://www.fischerverlage.de/buch/ingrid-strobl-die-angst-kam-erst-danach-…
[6] https://www.youtube.com/watch?v=XEKnFjns5YU
[7] /Ingrid-Strobl-ueber-Knast-und-Klasse/!5671159
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Schwerpunkt Antifa
NS-Forschung
NS-Gedenken
Terrorismus
GNS
DDR-Rock
NS-Literatur
Terrorismus
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