| # taz.de -- Puppenspielerin über Demenz: „Das Thema liegt Kindern nicht fern… | |
| > Mit dem Stück „Portrait eines Vogels“ erinnert die Puppenspielerin Karin | |
| > Schmitt an ihren Vater: Der Maler Claude Henri Schmitt litt an Demenz. | |
| Bild: Verarbeitet in ihrem Stück die Krankheitsgeschichte ihres Vaters: Puppen… | |
| taz: Frau Schmitt, Sie stehen mit einem großen und, ehrlich gesagt, etwas | |
| unheimlichen Vogel auf der Bühne. Das Thema Ihres Stückes ist Demenz. Warum | |
| ein Vogel? | |
| Karin Schmitt: Der Vogel ist für mich ein Wesen, das zwischen den Welten, | |
| zwischen Himmel und Erde schwebt. In dem Stück geht es um die Verwandlung | |
| eines Menschen, ähnlich wie bei Kafka, wo sich der Protagonist als Käfer | |
| wiederfindet. Ich schildere den ganzen Prozess dieser Verwandlung bis zum | |
| Abflug. Da ich Figurenspielerin bin, war es naheliegend, mit Figuren zu | |
| arbeiten. Ich wollte kein Abbild meines Vaters schaffen, sondern etwas, das | |
| weiter von der Person entfernt ist, in das man aber etwas | |
| hineininterpretieren kann. | |
| In dem Stück „Portrait eines Vogels“ verarbeiten Sie die Demenz-Erkrankung | |
| Ihres Vaters, des Malers [1][Claude Henri Schmitt]. Er ist im Jahr 2021 | |
| verstorben. Hatten Sie Gelegenheit, mit ihm zu besprechen, dass Sie seine | |
| Krankheitsgeschichte in einem Stück verarbeiten? | |
| Nein, das war für mich damals gar kein Thema. Die Erkrankung hat fünf Jahre | |
| gedauert. Meine Geschwister und ich haben uns abgewechselt, damit immer | |
| jemand bei unserem Vater war. Die Idee, diese [2][intensive Zeit zu | |
| verarbeiten], kam erst viel später, und ich brauchte eine lange Zeit dafür. | |
| Die Premiere fand im Sommer 2023 statt. | |
| Sie spielen das Stück in der Flensburger Pilkentafel. Ist es nicht schwer, | |
| diese persönliche Geschichte Abend für Abend auf die Bühne zu bringen? | |
| Auf jeden Fall bleibt es für mich ein sehr emotionales Stück. Bei der | |
| Uraufführung in Frankreich waren viele Verwandte dabei. Viele haben | |
| geweint. Aber es ist auch schön, die Erinnerungen wach zu halten. Daher ist | |
| es auch ein Geschenk, diese Geschichte spielen und anderen mitteilen zu | |
| können. Ich hoffe, dass dieses Gefühl auch die Zuschauer erreicht. | |
| Demenz ist eine Krankheit, die die Betroffenen verändert – Sie finden dafür | |
| ganz eindrucksvolle Bilder, einmal platzt dem Vogel buchstäblich der Kopf. | |
| Wie haben Sie aus diesen Eindrücken das Stück entwickelt? | |
| Tatsächlich bin ich von einzelnen Bildern ausgegangen und habe mit ihnen | |
| gespielt, die Texte sind erst nach und nach entstanden. Das Besondere an | |
| der Lewy-Körper-Demenz, unter der mein Vater litt, sind visuelle | |
| Halluzinationen. Die Betroffenen leben wie in einer parallelen Welt, zu der | |
| andere keinen Zugang haben. | |
| Zu diesem Effekt trägt bei, dass Sie Bilder Ihres Vaters bei der | |
| Inszenierung einsetzen, manchmal sitzen Sie direkt in seinen Bildern. Haben | |
| Sie so seine Kunst neu für sich entdeckt? | |
| Das passierte bereits, als wir nach dem Tod meines Vaters einen Verein | |
| gegründet haben, um seine Bilder zu verwalten und zu zeigen, zurzeit im | |
| Institut français in Kiel. Das Stück hat mir die Gelegenheit gegeben, mich | |
| noch einmal hinein zu vertiefen. Wir haben während seiner Krankheit | |
| gemeinsam Aquarelle angeschaut, dabei war er immer sehr aufmerksam und | |
| wusste viele Geschichten. Das waren lebendige Momente für uns beide, bei | |
| denen ich den Eindruck hatte, wir erreichen uns. | |
| Sie sind freischaffende Puppenspielerin – Sie sprechen von Puppenspiel, | |
| nicht Figurentheater? | |
| Ich setzte die Begriffe gleich. Vielleicht ist es ein Unterschied zwischen | |
| Ost und West: In Berlin, wo ich ausgebildet wurde, heißt es Schule für | |
| Puppenspielkunst, in Stuttgart Figurentheater. Vielleicht integriert das | |
| Wort Puppenspiel das Erbe, die lange Tradition von Puppenspielern, etwas | |
| stärker als das Wort Figurentheater. | |
| Sie sind Mitglied der [3][„Exen“], ein Ensemble freischaffender | |
| Puppenspielerinnen. Der Name reimt sich auf Hexen und Echsen – so richtig | |
| nett wollen Sie nicht sein, oder? | |
| Eigentlich ist der Name dadurch entstanden, dass die Gründungsmitglieder | |
| alle Ex-Studentinnen eines Jahrgangs der Ernst-Busch-Schule waren – also | |
| die Exen. | |
| Aber nett, gefällig und kindgerecht sind Sie trotzdem nicht? | |
| Ich habe auch schon [4][Kindertheater] gemacht, aber meine Hauptzielgruppe | |
| sind Jugendliche und Erwachsene. Allerdings spiele ich nun das „Portrait | |
| eines Vogels“ für Schulklassen und bin sehr gespannt auf die Reaktionen. | |
| Ich denke, dass Kinder und Jugendliche mit dem Gefühl des Andersseins viel | |
| anfangen können, sodass das Thema [5][Demenz] für sie gar nicht so fern | |
| liegt. | |
| Die Exen sind ein Ensemble ohne feste Bühne, wie sieht Ihre Zusammenarbeit | |
| aus? | |
| Wir sind eine lose Gruppe, ich bin die einzige im Norden, andere leben in | |
| Brandenburg oder Bayern. Aber wir setzen ähnliche Mittel ein, haben auch | |
| einige Stücke gemeinsam erarbeitet. Seit ich im Norden bin, arbeite ich | |
| viel mit Künstler:innen aus der Region. So auch mit der Pilkentafel, | |
| deren Leiterin Elisabeth Bohde die Dramaturgie beim „Portrait eines Vogels“ | |
| gemacht hat. | |
| Ihr Vater war freischaffender Maler, Sie selbst sind freischaffende | |
| Puppenspielerin – haben Ihre Eltern Ihnen mal geraten, lieber einen | |
| vernünftigen Beruf zu lernen? Reich wird man mit Kunst ja nicht … | |
| Meine Eltern haben mir alle Freiheiten gelassen. Aber ich habe tatsächlich | |
| mal etwas Vernünftiges gelernt, nämlich Literaturwissenschaften und | |
| Germanistik auf Lehramt studiert. Mein Referendariat in einem Pariser | |
| Vorort war aber schwierig und hat mir keinen Spaß gemacht. Also habe ich | |
| die Kurve gekriegt und Puppenspiel gelernt. | |
| 16 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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