# taz.de -- Projekt „Demenzfreundliche Museen“: Teilhabe durch Kunst und Ku… | |
> Schleswig-Holsteins Kompetenzzentrum Demenz lädt demenzkranke Menschen | |
> zur gemeinsamen Kunstbetrachtung. Ein Besuch auf dem Flensburger | |
> Museumsberg. | |
Bild: Montags werden Demenzkranke auf den Flensburger Museumsberg eingeladen | |
FLENSBURG taz | Durch die bleigefassten, bunten Scheiben fällt spärliches | |
Licht in den Raum mit seiner bemalten Holzdecke und dem dunklen Holzboden. | |
Stühle stehen im Halbkreis vor einer Staffelei, darauf ein Bild, das Kinder | |
beim Laternelaufen zeigt, seine warmen Farben leuchten im Licht des darauf | |
gerichteten Scheinwerfers. | |
Ein knappes Dutzend Männer und Frauen sitzen vor der Leinwand. Sie sind | |
unterschiedlich alt, stammen aus verschiedenen Orten, doch eines ist allen | |
gemeinsam: Sie leben mit einer dementiellen Krankheit. An diesem Nachmittag | |
sind sie ins Hans-Christiansen-Haus auf dem Flensburger Museumsberg | |
gekommen, um über Kunst zu sprechen. Für einige ist das eine neue | |
Erfahrung. | |
„Was tun die Kinder? Wer mögen sie sein? Welche Jahreszeit ist es wohl?“ | |
Mit offenen Fragen bringt die Kunsthistorikerin Marita Klose März die Runde | |
dazu, das Bild zu beschreiben und so eine kleine Geschichte zu erfinden. | |
„TimeSlips“ heißt diese Methode, sie stammt aus den USA. Michael Fuhr, | |
Direktor der Häuser auf dem Museumsberg, lernte die Technik bei einem | |
Vortrag der Psychologieprofessorin Karin Wilkening kennen. Das war 2015, | |
seither lädt das Museum regelmäßig Demenzkranke zu „Aufgeweckten | |
Kunst-Geschichten“ ein. | |
Nach der Bildbetrachtung geht es zur Kaffeetafel, die Ehrenamtliche gedeckt | |
haben. Bei der zweiten Tasse Kaffee runzelt Heinz Claaßen* die Stirn: „Ich | |
glaube, wir waren schon mal hier im Museum. Oder, Schatz?“ Silke Claaßen, | |
die neben ihm sitzt, lächelt kurz: „Oh, schon einige Male, aber das ist | |
lange her.“ | |
An der Veranstaltung nehmen die beiden zum ersten Mal teil, die Diagnose | |
Demenz ist noch ganz frisch: „Im Sommer sprach mich eine Frau an, sie hatte | |
die Anzeichen bei meinem Mann erkannt“, berichtet Silke Claaßen. Noch | |
funktioniert Heinz Claaßens Gedächtnis recht gut, aber der 79-Jährige spürt | |
bereits: „Mein Leben hat sich verändert.“ | |
Früher sei er lustig gewesen, hatte einen großer Bekanntenkreis, war | |
ständig im Trubel. „Ja, er war der King“, stimmt seine 75-jährige Frau ihm | |
zu. Aber sie wollen sich nicht unterkriegen lassen, alles mitmachen, was | |
geht, und jedes Angebot nutzen: „Ich kann noch vieles tun“, sagt Heinz | |
Claaßen. „Auch wenn ich nicht mehr alles behalte.“ | |
Bilder gucken und auch noch darüber reden? Jens Martensen hat sich früher | |
nie für Museen interessiert, „höchstens fürs Alkoholmuseum“, sagt der | |
83-Jährige und lacht. Er war Bauarbeiter in der DDR, ist kurz vor dem | |
Mauerbau über die Grenze, hat im Westen Ingenieurwesen studiert. Viel | |
gearbeitet, viel gesoffen: „Ich war nie brav.“ | |
Nun sitzt er zum ersten Mal in einem Museum. Seine Frau hat ihn geschickt, | |
und ja, es hat Spaß gemacht. Dass auf dem Bild Kinder dargestellt sind, | |
stört Martensen nicht: „Wir sind alle wieder große Kinder.“ | |
Doch es habe anfangs Bedenken gegeben, dass diese Art der Kunstbetrachtung | |
mit den einfachen Fragen „entwürdigend“ sein könnte, erinnert sich | |
Museumsdirektor Fuhr: „Vor allem von Seiten der Ärzteschaft und der | |
Pflegeeinrichtungen.“ Dort hatte er das Projekt vorgestellt, um Betroffene | |
zu finden, die das Angebot wahrnehmen wollen. Doch Bedenken hätten sich | |
schnell zerschlagen, auch durch die Alzheimer Gesellschaft, die seit 2017 | |
als Kooperationspartnerin mit im Boot ist. | |
„Das Ziel ist Teilhabe“, sagt Anneke Pietsch, die im [1][Kompetenzzentrum | |
Demenz] das Projekt „[2][Demenzfreundliche Museen]“ betreut. „Ins Museum | |
gehen, gehört zum Leben, auch mit der Krankheit.“ Weil es bei der | |
gemeinsamen Bildbetrachtung kein Richtig oder Falsch gibt, könnten alle | |
Beteiligten Erfolgserlebnisse feiern, und wenn ein Motiv Erinnerungen an | |
die eigene Jugend wecke: umso besser. | |
## „Aufgeweckten Kunst-Geschichten“ immer montags | |
Insgesamt führen 30 Häuser in Schleswig-Holstein den Titel | |
„demenzfreundlich“. Darunter sind das Nolde-Museum im Kreis Nordfriesland, | |
das Schleswiger Stadtmuseum, das Kieler Schifffahrtsmuseum oder das | |
Theater-Figuren-Museum in Lübeck. Einige bieten demenz-freundliche | |
Führungen an, andere leihen Exponate als „Museum im Koffer“ an | |
Pflegeeinrichtungen aus. | |
Für die Veranstaltungen in Flensburg sucht die Moderatorin Martina Klose | |
März die Bilder aus dem Bestand des Museums aus, wie auch das heutige Werk, | |
das von der Malerin Elsa Haensgen-Dingkuhn stammt und vermutlich aus den | |
1930er-Jahren datiert. Klose März hat Demenz in der eigenen Familie erlebt, | |
als ihre Mutter daran erkrankt war: „So kam der Kontakt mit der | |
[3][Alzheimer Gesellschaft] zustande.“ Die gemeinsame Kunstbetrachtung | |
funktioniere auch mit abstrakten Werken, sagt sie, aber mit Bildern, die | |
Menschen darstellen und vertraute Situationen erinnern, ginge es leichter. | |
Die „Aufgeweckten Kunst-Geschichten“ finden zurzeit montags statt, wenn das | |
Museum geschlossen ist. Museumsdirektor Fuhr bedauert das ein wenig: „Die | |
regulären Besucher sind immer ganz ehrfürchtig, wenn sie zuhören, wie | |
intensiv über ein Bild gesprochen wird. | |
* die Namen aller Demenzkranken und ihrer Angehörigen wurden von der | |
Redaktion geändert | |
18 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.demenz-sh.de/ | |
[2] https://www.demenz-sh.de/demenzfreundliche-kommune/kultur-natur-und-sport/#… | |
[3] https://www.deutsche-alzheimer.de/ | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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Beispiel. |