Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinder-Jugend-Theaterfestival in München: Die Kleinen groß denken
> Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche ist Mangelware. Das
> Münchner Festival Think Big! für Tanz-, Musiktheater und Performance
> setzt da an.
Bild: „Beat by Bits“, ein Openair-Stück von Haptic Hide, zu sehen beim Fes…
In Ceren Orans „Spiel im Spiel“ machen drei brillante Tänzer*innen den
herrlichsten Blödsinn und halten damit der Natur des kindlichen Spiels
einen fein geschliffenen Spiegel vor. In Jasmine Morands „Mirkids“ hängt
ein solcher riesengroß an der Decke. Und während die jungen
Zuschauer*innen in einem dichten Kreis am Boden liegen, ist im Spiegel
ein Muster aus Körpern zu sehen – ein buntes, menschliches Mandala in
Bewegung.
Es ist „Think Big!“-Time in München. Bereits zum zehnten Mal dokumentiert
das internationale Tanz-, Musiktheater- und Performance-Festival für junges
Publikum, wie sich diese hierzulande eher Nische zu nennende Sparte
allmählich ausdifferenziert.
Lang hat’s gedauert, und ein Grund dafür ist, wie man in Deutschland noch
immer auf Kinder schaut: Bildung ist en vogue, am besten schon im
Mutterleib. Aber als Bildung gilt nur, was in der Zukunft zählbare Erträge
zeitigt: gute Noten, beruflicher Erfolg. Wie aber sieht es mit kultureller
Bildung aus?
## Musik- und Kunstunterricht zurückgefahren
In den bayerischen Grundschulen wird gerade der Musik- und Kunstunterricht
zurückgefahren, weil die Kinder so schlecht lesen und rechnen. Kann das der
Weg sein? Den Jüngsten das wegzunehmen, worin sie sich, wenn es die
Lehrperson erlaubt, zumindest noch ein bisschen selbst ausdrücken könnten?
Gerade, wenn Deutsch nicht die Muttersprache ist. Oder die Eltern sich
keine private Mal- oder Musikschule leisten können.
Am Rande eines kulturpolitischen Panels bei Think Big! erzählt eine
engagierte Lehrerin, dass viele ihrer Kolleg*innen keinen Begriff davon
hätten, was kulturelle Bildung überhaupt sein soll: „Meint das, mit den
Kindern mal ins Theater zu gehen?“ Nein, das meint weit mehr: Eine Schule
der Wahrnehmung, ein Über-sich-hinaus-Blicken und zugleich die Erfahrung
von Selbstwirksamkeit.
Nie werde ich meine erste Begegnung mit dem Projekt „Anna tanzt“ vergessen,
in dem Tänzer*innen des Bayerischen Staatsballetts für mehrere Wochen
alle Achtklässler eines Münchner Gymnasiums unter ihre Fittiche nahmen: Ein
hektisches Gewimmel von pubertären Gockeleien und Fluchtversuchen im
Ballettsaal.
## Maximal rührender Ernst
Und dann die Aufführung, in der alle ihren Platz gefunden hatten: Ganz
schöner, konzentrierter und maximal rührender Ernst! Das kann passieren,
wenn der Fokus des „Unterrichtens“ von Defizitorientierung auf
Wertschätzung umgelegt wird.
Inzwischen belegen Evaluationen dieser und ähnlicher Projekte, dass vor
allem der zeitgenössische, wenig formalisierte Tanz – verkürzt formuliert �…
kreativer, offener, fokussierter und empathischer macht. Maike Gunsilius,
Professorin für Medien, Theater und populäre Kultur in Hildesheim,
schreibt:
„Damit kann die körperzentrierteste aller Kunstformen Kindern und
Jugendlichen sowohl als Zuschauer*innen als auch als Beteiligten
ganzheitliche Erfahrungen und andere Zugänge zu einer komplexen, nicht
immer fassbaren Welt eröffnen.“ Schwer vorstellbar, dass eine so gebildete
Jugend rechte, undemokratische Parteien bevorzugt wie jüngst bei der
Europawahl.
## Perspektivwechsel durch Kunst
Auch wenn Kunst kein Zaubermittel ist und schon gar kein
Umerziehungsprogramm: sie zielt, wenn sie diesen Namen verdient, nicht auf
Verkehrskasperlbotschaften wie „Nicht bei Rot über die Ampel!“, sondern
ermöglicht Perspektivwechsel wie die eingangs genannten Stücke oder fördert
aktives Mittun, und sei es nur in Sachen Entschlüsselung von vieldeutigen
Bildern und Figuren.
Rotem Weissmans „Prisma“ hat einige davon zu bieten. Die ebenfalls bei
Think Big! zu sehende Performance der israelischen Choreografin gehört zu
den kleinen, mobilen Pop-up-Formaten, die das Netzwerk explore dance seit
2018 produziert.
Der Zusammenschluss aus fabrik moves Potsdam, Fokus Tanz | Tanz und Schule
e. V. München, K3 | Tanzplan Hamburg und HELLERAU – Europäisches Zentrum
der Künste Dresden wird im Oktober mit dem Deutschen Tanzpreis für
herausragende Entwicklung ausgezeichnet. Und der neueste
Unesco-Staatenbericht nennt explore dance sogar als innovatives Beispiel
dafür, wie Deutschland Vielfalt fördert.
Denn das bundesübergreifende Netzwerk verführt nicht nur international
renommierte Choreograf*innen teils erstmals zur Arbeit für junges
Publikum, sondern bringt die künstlerisch hochwertigen und oft divers
besetzten Stücke auch dahin, wo man die größte Vielfalt an jungen Menschen
antrifft: in die Grundschulen, an die städtische Peripherie oder aufs Land.
Dabei können die Kids auch Künstler*innen treffen, Workshops belegen und
bereits im Vorfeld ihre Meinung sagen. Wenn sie sehen, dass einer ihrer
Tipps umgesetzt wurde, sind sie nicht nur stolz, sondern auch ein Teil des
Ganzen.
11 Jul 2024
## AUTOREN
Sabine Leucht
## TAGS
Kindertheater
Theaterfestival
München
Kindertheater
Theater
Theater
München
Puppentheater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tanz und Musik für Klein und Groß: Geschrumpft wird nachmittags um drei
Das Format Schrumpf! der Musikerin Daniella Strasfogel richtet sich an
Familien mit Kindern. Bald feiert es sein fünfjähriges Jubiläum.
„Hamlet“ beim Wiener Impulstanz Festival: Nackt, fragil und mit Blumen im A…
Die südafrikanische Choreographin Dada Masilo verschafft Shakespeares
„Hamlet“ ein zweites Leben. Es liegt jenseits der Hegemonieansprüche
Europas.
Theaterfestival in Braunschweig: Formen, die die Welt bedeuten
Das Festival „Theaterformen“ in Braunschweig zeigt Installationen von
indigenen südamerikanischen Künstler:innen. Über den Versuch eines Dialogs.
Abdel-Maksoud und Schleef in München: In steter Grenzüberschreitung
An den Münchner Kammerspielen fühlen Nora Abdel-Maksoud und Marie Schleef
mit ihren neuen Theaterinszenierungen der Gegenwart auf den Zahn.
Puppenspielerin über Demenz: „Das Thema liegt Kindern nicht fern“
Mit dem Stück „Portrait eines Vogels“ erinnert die Puppenspielerin Karin
Schmitt an ihren Vater: Der Maler Claude Henri Schmitt litt an Demenz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.