# taz.de -- Streit um Solidaritätszuschlag: Rettet den Soli! | |
> Wer den Solidaritätszuschlag abschafft, verschärft die soziale | |
> Ungleichheit. Eine Umwidmung zum „Krisensoli“ könnte genau das Gegenteil | |
> bewirken. | |
Bild: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus dem Blick verloren? Habeck, Lindn… | |
Dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner war der Solidaritätszuschlag schon | |
immer ein Dorn im Auge. Neuerdings begründet der Finanzminister die | |
Forderung, ihn abzuschaffen, damit, die international nicht mehr | |
wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft müsse auf diesem Wege entlastet | |
werden. Früher hieß es auch schon mal, die „kalte Progression“ oder der | |
„Mittelstandsbauch“ müssten beseitigt werden. | |
Dann wurde auf die „hart arbeitende Mitte“ hingewiesen, obwohl ihr das Ende | |
des Solidaritätszuschlages am wenigsten brächte, weil nur Spitzenverdiener, | |
Aktionäre, Wertpapierbesitzer und Kapitalgesellschaften davon profitieren | |
würden. Es geht einmal mehr um Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung. | |
Man erinnere sich: Für die [1][Kindergrundsicherung, deren Schicksal weiter | |
ungewiss ist], weil FDP und Union ihr kritisch gegenüberstehen, bewilligte | |
Lindner gerade einmal 2,4 Milliarden Euro, obwohl sie die einzig | |
nennenswerte Maßnahme der Ampelkoalition gegen Kinderarmut ist. Angeblich | |
fehlte dem Bund das Geld für ein größeres Sozialprojekt. Der gewünschte | |
Wegfall des Solidaritätszuschlages würde ihn aber jährlich gut 12 | |
Milliarden Euro kosten. | |
Hochvermögende würden nach der Verwirklichung des Plans zwei-, profitable | |
Konzerne sogar dreistellige Millionenbeträge pro Jahr sparen, weil die im | |
Volksmund liebevoll „Soli“ genannte Ergänzungsabgabe nicht nur auf die | |
Einkommensteuer, sondern auch auf die Kapitalertragsteuer, also Zinsen und | |
Dividenden, sowie die Körperschaftsteuer erhoben wird. | |
## Kein Widerspruch von der SPD | |
Erschreckend ist, dass [2][Vizekanzler Robert Habeck] mit seiner Klage über | |
die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit deutscher Wirtschaftsunternehmen und der | |
Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepublik sowie dem Vorschlag eines | |
„Sondervermögens“ für die Industrie im Umfang von 70 Milliarden Euro den | |
Türöffner für diese unsägliche Debatte gespielt hat. Seitens der SPD | |
erfolgte zunächst auch kein energischer Widerspruch. | |
Obwohl die 40 DAX-Konzerne, darunter alle bedeutenden Industrieunternehmen | |
des Landes, im Jahr 2024 die Rekordsumme von beinahe 60 Milliarden Euro an | |
Dividenden ausschütten und ihre (Groß-)Aktionäre noch reicher machen, wird | |
über die Abschaffung des Solidaritätszuschlages diskutiert. Es geht | |
überhaupt nicht mehr darum, ob es sinnvoll ist, gewinnträchtige Unternehmen | |
zu subventionieren und damit die sozioökonomische Ungleichheit weiter zu | |
erhöhen, sondern nur noch darum, wie man dies bewerkstelligt. | |
Offenbar beherrscht die neoliberale Standortlogik das Denken der | |
Regierungsmitglieder so stark, dass die verteilungspolitischen Konsequenzen | |
ihres Handelns keine Rolle mehr spielen. Dabei weiß jede/r, dass sich die | |
Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland nicht weiter vertiefen darf, | |
wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt gewährleistet und die AfD von der | |
Regierungsmacht in einem ostdeutschen Bundesland ferngehalten werden soll. | |
Aufgrund der hohen Freibeträge müssen den Solidaritätszuschlag in diesem | |
Jahr bloß noch Einzelveranlagte entrichten, die mehr als 18.130 Euro, und | |
zusammen Veranlagte, die mehr als 36.260 Euro an Einkommensteuer bezahlen. | |
Das entspricht einem zu versteuernden Jahreseinkommen von über 68.000 Euro | |
und bei zusammen Veranlagten über 136.000 Euro. | |
## Spitzenverdiener und Kapitaleigner zur Kasse | |
Für diese Steuerzahler/innen beginnt dort eine sogenannte Milderungszone, | |
in welcher der Prozentsatz an zu zahlendem Solidaritätszuschlag | |
schrittweise ansteigt, bis er bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen | |
von über 100.000 Euro und bei zusammen Veranlagten über 200.000 Euro in | |
voller Höhe von 5,5 Prozent auf die Steuerschuld fällig wird. Für die | |
Normal- und Geringverdiener/innen wäre die Abschaffung des | |
Solidaritätszuschlages ein Danaergeschenk. | |
Statt zu entfallen, könnte der Solidaritätszuschlag zu einem Krisensoli | |
umgewidmet werden und durch Verdopplung seiner Höhe von 5,5 Prozent auf 11 | |
Prozent der Steuerschuld dazu beitragen, dass Spitzenverdiener und | |
Kapitaleigner an den Folgekosten der sich überlagernden Krisen sowie des | |
inflationären Preisauftriebs für den Staat beteiligt werden. | |
Außerdem sollte eine Vermögensabgabe in Höhe von 10 Prozent, gestreckt auf | |
fünf Jahre, großen Reichtum begrenzen. Durch die im Erbschaft- und | |
Schenkungssteuerrecht geltende Freibetragsregelung würde sichergestellt, | |
dass nur Familien zu der Vermögensabgabe herangezogen werden, die über | |
ausreichende Finanzmittel verfügen. | |
Für die Steuerpflichtigen wäre ein Freibetrag in Höhe von einer Million | |
Euro angemessen, für ihre Ehepartner/innen betrüge er 500.000 Euro und für | |
jedes im Haushalt lebende Kind zusätzlich 400.000 Euro. Darüber hinaus | |
könnte beim Vermögen selbstgenutztes Wohneigentum bis zur Größe von 200 | |
Quadratmetern anrechnungsfrei bleiben. | |
## Mehr Spielraum mit Vermögenssteuer | |
Sinnvoll wäre auch die Wiedererhebung der unter Berufung auf ein Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts von CDU, CSU und FDP ab 1997 ausgesetzten | |
Vermögensteuer, die nicht nur der Steuergerechtigkeit dienen, sondern auch | |
die Länder finanziell handlungsfähiger machen würde. | |
Die Karlsruher Richter hatten in dem genannten Beschluss vom 22. Juni 1995 | |
nicht das Vermögensteuergesetz als solches für mit dem Grundgesetz | |
unvereinbar erklärt, sondern sie monierten nur, dass für Grundbesitz der | |
nach seiner Wertentwicklung nicht mehr angepasste Einheitswert wie auch für | |
sonstiges Vermögen der Gegenwartswert als Bemessungsgrundlage zugrunde | |
gelegt wurde. | |
Dadurch war die bis heute [3][in der Verfassung stehende Vermögensteuer] | |
keineswegs hinfällig, wie von interessierten Kreisen gern behauptet wird. | |
Vielmehr wurde dem Gesetzgeber eine Frist zur Nachbesserung eingeräumt, die | |
er mit seiner damals schwarz-gelben Mehrheit allerdings verstreichen ließ, | |
um sich der ungeliebten Steuerart zu entledigen. | |
16 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-mit-FDP-Finanzminister-Lindner/!5917940 | |
[2] /Steuerentlastungen-fuer-die-Wirtschaft/!5987263 | |
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_106.html | |
## AUTOREN | |
Christoph Butterwegge | |
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