| # taz.de -- Kammermusik zum Mittag: Romantische Hotelpool-Atmosphäre | |
| > Die Laeiszhalle lockt mit Kammermusik zur Mittagszeit. Der Eintritt ist | |
| > frei. Und schon wird Hamburgs Konzerthaus zum Spielfeld für | |
| > Platzbesetzer. | |
| Bild: Reserviert für den Platz an der Sonne | |
| Kurz ist im Gespräch, so richtig früh hinzugehen. Früh im Sinne von: | |
| Stunden vor dem Einlass, der um 11.30 Uhr beginnt. Damit es auf jeden Fall | |
| klappt. Immerhin steht in der Ankündigung, dass sich die Attraktivität der | |
| kostenlosen Kammerkonzerte in der Hamburger Laeiszhalle herumgesprochen | |
| habe und es sich lohne, früh da zu sein. Die Plätze sind begrenzt, die | |
| Sitzplätze noch begrenzter, und es gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. | |
| Als wir etwa um 11:32 Uhr den benachbarten Park Planten un Blomen | |
| verlassen, sehen wir schon von Weitem die Warteschlange, die sich ein gutes | |
| Stück über den Brahmsplatz zieht und Schritt für Schritt vom Hauptportal | |
| der neobarocken Laeiszhalle verschluckt wird. Wir schlüpfen auch rein, | |
| laufen auf dem roten Teppich die eleganten Treppen in den ersten Stock | |
| hinauf, hinein ins Gold-Creme-Grau gehaltene Brahms-Foyer mit geschwungenen | |
| Bögen, Fischgrätparkett, hoher Decke und riesigen Sprossenfenstern. | |
| Vor Corona haben die Symphoniker Hamburg – sie sind das Residenzorchester | |
| der Laeiszhalle, seitdem das NDR Symphonie-Orchester in die | |
| Elbphilharmonie übergesiedelt ist – die Lunchkonzerte, wie dieses | |
| Kammermusikformat heißt, regelmäßig veranstaltet. Eintritt frei, wer will, | |
| kann was spenden. Nun läuft die Reihe wieder an, soll bald alle ein bis | |
| zwei Monate stattfinden. Dieses Mal stehen Stücke von Saint-Saëns, | |
| Schumann, Debussy und Pasculli auf dem Programm. Die Instrumente: Oboe und | |
| Harfe. | |
| Im Brahms-Foyer warten nicht nur das Johannes-Brahms-Denkmal von Max | |
| Klinger, Büsten von [1][Joseph Joachim], Clara Schumann, [2][Julius | |
| Stockhausen] und Hans von Bülow, eine Bar und die Harfe, sondern es wuseln | |
| viele Leute herum. Die Schlange an der Bar ist lang, die Ersten laufen mit | |
| gefüllten Suppentellern herum. Und ganz schön viele Weißweingläser sind | |
| hier unterwegs für so einen Dienstagmittag. Unter 50 ist augenscheinlich | |
| außer uns niemand. Viele tragen Turnschuhe in gedeckten Farben und bequeme | |
| Pullis. | |
| ## Die Handtuch-auf-Liegen-Taktik | |
| Sofort ist klar: Sitzplätze können wir uns abschminken. Die Leute sind hier | |
| reingestürmt und haben sich oder ihre Jacken und Mäntel auf Stühle und | |
| Bänke geschmissen. Die Handtuch-auf-Liegen-Taktik funktioniert nicht nur am | |
| Hotelpool. Wir ergattern einen Platz am Rand, können uns an der Wand | |
| anlehnen und hinter Brahms immerhin den Harfenkopf und den Oboisten sehen. | |
| Hamburg verdankt diese wunderschöne Konzerthalle dem Reeder Carl Heinrich | |
| Laeisz. Der vermachte der Stadt einst 2 Millionen Mark, unter der | |
| Voraussetzung, dass damit eine Musikhalle gebaut werde. Als die Laeiszhalle | |
| am 4. Juni 1908 eröffnet wurde, galt sie als das größte und modernste | |
| Konzertgebäude Deutschlands. Noch heute ist es – innen wie außen – das | |
| schönste der Stadt, mindestens. Im Großen Saal sind 2.025 Sitzplätze, im | |
| Kleinen Saal gibt es 640 Sitze und im Brahms-Foyer haben sich heute 180 | |
| Leute eingefunden, mehr dürfen nicht rein. | |
| „Es ist so heiß hier, wenn man von draußen reinkommt“, sagt der Oboist und | |
| muss nach wenigen Tönen erst mal absetzen. Er sieht etwas mitgenommen aus, | |
| zieht bald das schwarze Sakko aus und spielt im schwarzen Hemd weiter. | |
| Später wechselt er für das letzte Stück auf das Englischhorn, das sich für | |
| den Laien und aus der Ferne betrachtet nicht von der Oboe unterscheidet. | |
| Wäre er nicht in der Begrüßungsrede erwähnt worden, ich hätte den | |
| Instrumentenwechsel nicht bemerkt. | |
| ## Hey Leute, was ist los? | |
| Das Mittagskonzert zieht einige Gelegenheitsklassikhörer an. Etwa die zwei | |
| Herren in schwarzen Hemden, die an einem der Stehtische lehnen und Weißwein | |
| trinken. Sie applaudieren während Camille Saint-Saëns Sonate D-Dur op. 166 | |
| in die Stille zwischen Andantino und Allegretto hinein und sehen sich etwas | |
| irritiert um, als wollten sie sagen: Hey Leute, was ist los? Der Saal fällt | |
| dann doch in schütteren Applaus. | |
| 45 Minuten später ist das Konzert vorbei und wir schlendern hinaus in den | |
| Tag. Nächstes Mal kommen wir noch früher, vielleicht bringen wir ein | |
| Reservierhandtuch mit. | |
| 12 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Joachim | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Stockhausen_(Musiker) | |
| ## AUTOREN | |
| Ilka Kreutzträger | |
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